Hamburg. „Die Gräfin“ erzählt von Diana zu Reventlow-Criminil, die im Zweiten Weltkrieg auf der Hallig Südfall lebte und Juden Schutz bot.

Es ist nie zu spät, einen Roman zu schreiben. Irma Nelles ist das beste Beispiel dafür: Mit 78 Jahren veröffentlichte die Autorin, die lange im Hamburger Büro des „Spiegel“ bei Rudolf Augstein tätig war und darüber in „Der Herausgeber“ schrieb, ihre erste eigene Geschichte. In „Die Gräfin“ verarbeitet sie ihre Kindheits- und Jugendjahre auf der Halbinsel Nordstrand und lässt eine Frauenfigur lebendig werden, die sie schon damals faszinierte.

Am 19. August ist das Buch bei hanserblau erschienen. In diesem Fall kam allerdings die Veröffentlichung zu spät: Diesen großen Moment erlebte Irma Nelles tragischerweise nicht mehr, sie starb nach schwerer kurzer Krankheit am 24. Juli in Bad Aibling.

Im Verlag sei man sehr geschockt über den plötzlichen Tod der Autorin. Umso mehr freue man sich, dass die Leserinnen und Leser mit dem Buch nun eine weitere, sehr persönliche Facette der Biografie von Irma Nelles kennenlernen.

„Die Gräfin“: Autorin Irma Nelles stirbt, bevor ihr erster Roman erscheint

Autorinnenfoto Irma Nelles
Irma Nelles erlebte die Veröffentlichung ihres ersten Romans am 19. August nicht mehr. Sie starb am 24. Juli. © privat | Privat

Wer schon einmal auf einer Hallig Urlaub gemacht hat, weiß, wie unglaublich abgeschieden das Leben dort sein kann: Wetter und Gezeiten ausgesetzt, mitten im Meer. Nelles‘ Roman spielt 1944 auf der Hallig Südfall, südwestlich von ihrer eigenen Heimat Nordstrand gelegen. Von dort wehten damals Geschichten herüber, die sich um das sonderbare Leben der Gräfin Diana zu Reventlow-Criminil drehten. Eine Aristokratin, die ihren Familiensitz Gut Emkendorf bei Rendsburg verließ, „um sich von allen ihr widerstrebenden Einflüssen und Machenschaften“ zurückzuziehen, heißt es im ersten Kapitel.

„Ihr ebenmäßiges, stets leicht gebräuntes Gesicht, ihr kluger, melancholischer Blick aus tief liegenden dunklen Augen, ihr volles, kaum ergrautes Haar zeugten von ungewöhnlicher Schönheit junger Jahre“, schreibt Irma Nelles. Und es hat diese Gräfin tatsächlich gegeben.

„Die Gräfin“: Ein morgendliches Wannenbad mit Meerwasser als Ritual

Diana Henriette Adelaide Charlotte Gräfin von Reventlow-Criminil (1863–1953) hatte vermutlich die adligen Zwänge am Hof satt und kam 1910 im Alter von 47 Jahren auf die Hallig. Dort lebte sie nur mit ihrem Hausmädchen, einem Kutscher und ihren Pferden, betrieb etwas Viehzucht und widersetzte sich der „braunen Bagage“, wie sie die Nationalsozialisten zu nennen pflegte, indem sie jüdische Geflüchtete und Dissidenten mithilfe von Fischern nach Dänemark und Norwegen in Sicherheit brachte.

Hallig Suedfall aus der Luft, aerial view of Hallig Suedfall
Einsamkeit, die man mögen muss: die nordfriesische Hallig Südfall aus der Luft. © picture alliance / blickwinkel/C. Kaiser | C. Kaiser

Exzentrisch soll sie gewesen sein, stets in lange samtene Gewänder gekleidet und Shakespeare-Verse zitierend. Ungebetene Gäste habe sie mit einem geladenen Revolver und ihrem Jagdhund empfangen. Ein morgendliches Wannenbad mit Meerwasser sei ihr Ritual gewesen. Am meisten aber hat die Autorin ihr großer Mut beeindruckt: Der Sturmflut am 18. Oktober 1936 soll die Gräfin allein auf der Hallig getrotzt haben. „Bis zur völligen Erschöpfung hatte sie im hüfthohen Wasser gestanden und ihre verängstigten Tiere beruhigt. Mit einem Durchhaltewillen, der ihm für immer Respekt einflößte“, erinnert sich der literarische Kutscher Maschmann.

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Ein weiteres Abenteuer wird im Roman beschrieben: der bis zum Schluss ungeklärte Absturz des britischen Fliegers John Philip Gunter mitten im Wattenmeer. Die Gräfin findet den schwer verletzten jungen Piloten, pflegt ihn gesund. Er erinnert sie an ihre eigene Jugend, und es entwickelt sich eine besondere Beziehung zwischen den beiden.

Wie ihre Gefühle der „spiegelglatten, langsam ansteigenden Flut“ gleich aufwallen, grenzt an manchen Stellen an Kitsch. Und auch bei den Naturschilderungen hat Irma Nelles ein paarmal zu dick aufgetragen, das im Sonnenlicht schimmernde Watt, der dramatisch verfärbte Horizont. Das muss man mögen, um sich der rau-romantischen Geschichte hingeben zu können. Dann aber ist sie ein reiner Lesegenuss.

Irma Nelles: „Die Gräfin“ Verlag hanserblau, 176 Seiten, Hardcover, 20 Euro.