Hamburg. World Press Photo Award: Bilder von Schönheit und Schrecken werden im Altonaer Museum gezeigt. Kriege und Krisen dominieren die Schau.

Was bedeutet es, einen internationalen Preis für Fotografie zu gewinnen? Ist man zur richtigen Zeit an einem „falschen Ort“, wo ein Krieg wütet, Menschen durch Umweltkatastrophen sterben oder aus ihrem Land vertrieben werden? Zeigt man Missstände auf, ist man besonders mutig oder ganz einfach abenteuerlustig, und kann man Hoffnung machen, gar etwas verändern mit Bildern? Die Motivation, Arbeiten beim World Press Photo Award einzureichen, mag vielfältig sein. Doch die 3851 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des diesjährigen Wettbewerbs eint, in Zeiten der globalen Bilderflut mit der einen Fotografie oder Serie herauszustechen. Ein Zeichen zu setzen.

Wie ungleich schwer dies heute ist, zeigt ein Vergleich mit dem Teilnehmerfeld im Gründungsjahr: 1955, als einige Mitglieder der niederländischen Fotojournalistenvereinigung (Nederlandse Vereniging van Fotojournalisten/NVF) die Idee hatten, den nationalen Wettbewerb „Zilveren Camera“ zu einem internationalen zu erweitern, reichten 42 Fotografen aus elf Ländern gut 300 Beiträge ein. 2024 brauchte es sechs Jurys, um die 60.000 Beiträge aus den Weltregionen Afrika, Asien, Europa, Nord- und Mittelamerika, Südamerika, Südostasien und Ozeanien zu überblicken. Die besten Pressefotografien aus dem Jahr 2023 in den Kategorien Einzelaufnahmen, Foto-Serien, Langzeitprojekte und offene Formate sind jetzt im Rahmen der Woche der Pressefreiheit in Hamburg in einer Ausstellung im Altonaer Museum zu sehen.

World Press Photo Award: Bilder von Schönheit und Schrecken in Hamburg

Einen „gewaltigen Konkurrenzkampf zwischen Fotografinnen und Fotografen um Auszeichnungen“ nennt es Andreas Trampe, Senior Picture Editor beim „Stern“. Seit mehr als 25 Jahren präsentiert das Magazin zusammen mit „Geo“ den renommierten Wettbewerb.

War es früher üblich, die ausgezeichneten Bilder im Verlagshaus von Gruner + Jahr zu zeigen, weichen die Veranstalter nun schon im dritten Jahr ins Museum aus. Noch in diesem Jahr wird der Verlag in die HafenCity umziehen. Museumsdirektorin Anja Dauschek freut sich über den Publikumsmagneten World Press Photo Award, die Besucherresonanz darauf war bei den vergangenen beiden Ausstellungen „sehr positiv“.

World Press Photo
Lee-Ann Olwage begleitete die Familie des 91-jährigen Paul Rakotozandriny aus Madagaskar, der an Demenz erkrankt ist. Ihre preisgekrönte Fotoserie „Valim-babena“ verweist auf die Stärke familiärer Bindungen in Krisenzeiten. © Lee-Ann Olwage | Lee-Ann Olwage

Die Themen reichen von der Dokumentation politischer Auseinandersetzungen und kriegerischer Konflikte über die fotografische Schilderung von Herausforderungen der Klimakrise bis zu Reportagen aus dem Alltagsleben unterschiedlicher Gesellschaften. Die Leichtigkeit, die frühere Kategorien wie „Sport“, „Porträt“ oder „Natur“ noch bis vor wenigen Jahren in den Wettbewerb brachten, fehlt nun. Die Zeit, in der wir leben, ist eben ernster, besorgniserregender, von weltumspannenden Krisen und Kriegen geprägt. Die Siegerfotos des Awards machen dies schmerzhaft deutlich.

Fotografien klären über Missstände auf und machen Hoffnung

In der Königsdisziplin World Press Photo of the Year hat der palästinensische Fotojournalist Mohammed Salem gewonnen: Seine Aufnahme für die Agentur Reuters zeigt Inas Abu Maamar (36). Die Frau hält die Leiche ihrer Nichte Saly (5) im Arm, die zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester beim Einschlag einer israelischen Rakete in ihrem Haus in Khan Younis, Gaza, getötet wurde. Das getötete Kind ist in ein weißes Tuch gewickelt, ihre Tante sitzt mit in die Armbeuge gesenktem Kopf da. Ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. Die Fotografie erhält dadurch, über den israelisch-palästinensischen Konflikt hinaus, einen symbolischen Charakter, steht für Verlust und Trauer.

Palestinian woman embraces the body of her niece
Mohammed Salem erhielt die wichtigste Auszeichnung World Press Photo of the Year: Auf seiner Aufnahme hält die Palästinenserin Inas Abu Maamar die Leiche ihrer fünfjährigen Nichte Saly im Arm. Sie wurde zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester beim Einschlag einer israelischen Rakete in ihrem Haus in Khan Younis, Gaza, getötet.  © REUTERS | MOHAMMED SALEM

Für ihre Fotoserie „Valim-babena“ (für „Geo“) ist die südafrikanische Fotografin Lee-Ann Olwage mit der World Press Photo Story of the Year ausgezeichnet worden. Darin erzählt sie die Geschichte des 91-jährigen Paul Rakotozandriny aus Madagaskar, genannt „Dada Paul“, der seit elf Jahren mit Demenz lebt, ohne dass seine Familie etwas von der Krankheit wusste. Valim-babena bedeutet die Pflicht der erwachsenen Kinder, ihre Eltern zu pflegen und damit die Fürsorge und Sorgfalt ihrer Erziehung zurückzugeben. Durch die Unterstützung einer Organisation bekam Dada Pauls Tochter Fara wichtige Hilfe. Laut WHO sind in dem ostafrikanischen Inselstaat rund 40.000 Menschen von Alzheimer betroffen. Wegen mangelnder Aufklärung halten viele die Symptome für Anzeichen von Hexerei, dämonischer Besessenheit oder Wahnsinn. Es sind Beiträge wie die von Olwage, die nicht nur Missstände anprangern, sondern zugleich auf familiären Zusammenhalt und die Kraft zwischenmenschlicher Bindung verweisen.

Reportagen aus dem Hambacher Forst und aus Mexiko überzeugten die Jury

Den World Press Long-Term Project Award hat der Fotograf Alejandro Cegarra aus Venezuela mit seinem Beitrag „The Two Walls“ gewonnen. Auf dem Schlüsselbild läuft ein Einwanderer auf einem Güterzug, der als „The Beast“ in Piedras Negras, Mexiko, bekannt ist. Es ist ein künstlerisch beeindruckendes Foto, das einen riskanten Grenzgang der Migranten und Asylbewerber verdeutlicht. Viele von ihnen, die nicht über die finanziellen Mittel für einen Schmuggler verfügen, nutzen Güterzüge, um die Grenze zu den Vereinigten Staaten zu erreichen – was oft zu Verletzungen oder gar zum Tode führt. Im Auftrag für „The New York Times/Bloomberg“ dokumentiert Cegarra die Notlage von stark gefährdeten Migrantengemeinschaften und setzt sich mit dem Wesen der Zugehörigkeit, dem Streben nach einer Heimat und dem Anprangern von Menschenrechtsverletzungen in Venezuela und Mexiko, wo er derzeit lebt, auseinander.

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Ausgezeichnet mit dem World Press Long-Term Project Award: Alejandro Cegarras Foto-Serie „The Two Walls“ über die Notlage von stark gefährdeten Migrantengemeinschaften in Mexiko. © ALEJANDRO CEGARRA/The NewYorkTimes | ALEJANDRO CEGARRA/The NewYorkTimes

Beim besten Langzeitprojekt in der Sektion Europa konnte sich der in Hamburg lebende deutsch-französische Fotojournalist Daniel Chatard durchsetzen. Für seine Fotoserie „Niemandsland“ begleitete er über mehrere Jahre den Protest der Aktivistinnen und Aktivisten gegen die Vernichtung des Hambacher Forsts. Dort treibt der Energiekonzern RWE die Rodung und auch die Räumung ganzer Dörfer zugunsten des Kohlebergbaus voran. Chatard reiste dafür etwa 30-mal in das Gebiet und lebte zum Teil mit den Protestlern in ihren 20 Meter hohen Baumhäusern. Man sieht die riesigen Dimensionen des bisher geräumten Areals, wird Zeuge, wie die Pfarrkirche von Immerath abgerissen, Aktivisten von Polizisten abtransportiert werden. Seine Bilder zeugen vom Mut einzelner Akteure, sich dem Macht- und Profitstreben des Energieriesen entgegenzustemmen und die Natur und den Lebensraum vieler Menschen zu schützen.

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Eine schon in ihrer Präsentation außergewöhnliche Arbeit liefert die ukrainische Fotojournalistin und Dokumentarfilmerin Julia Kochetova in der Kategorie World Press Open Photo Format Award: Die Fotografie „War Is Personal“ ist Teil eines Projekts, das fotografische Bilder mit Lyrik, Audiosequenzen und Musik verwebt. Das Publikum kann über einen QR-Code diese multimediale Arbeit erfahren. Kochetova macht aus den abstrakten, nachrichtlichen Fragmenten des seit 2014 herrschenden Kriegs zwischen der Ukraine und Russland ein persönliches Tagebuch und bringt das Lebensgefühl in einem unterdrückten Land näher. Die harte Realität des Krieges begegnet den subjektiven Erlebnissen der Fotografin. Ihr Projekt zeigt, dass es neben Verlust, Schmerz, Verzweiflung und Resignation auch Hoffnung und Widerstandskraft gibt.

World Press Photo Award 18.9.–14.10., Altonaer Museum (S Altona), Museumstraße 23, Mo–Mi 10.00–17.00, Do/Fr 10.00–20.00, Sa/So 10.00–18.00, Eintritt 8,50/5,- (erm.), Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren frei, www.shmh.de