Hamburg. Saxofonist Oded Tzur lässt das Herz aufgehen, Trompeter Tomasz Stanko weckt Erinnerungen, Pianist Bill Charlap liebt Melodien.

Auch wenn nichts das Live-Erlebnis in einem Club oder Konzertsaal vollkommen ersetzen kann, manches kommt doch dicht heran. Zum Beispiel der Mitschnitt eines Auftritts des Tomasz Stanko Quartets am 9. September 2004 in der Münchner Muffathalle. Damals trat der Trompeter im Rahmen eines Symposiums für improvisierte Musik auf – und lieferte gleich ein lebendes Beispiel für diese Kunstform. Es ist schlicht überwältigend, mit welcher Spielfreude die vier Musiker hier interagieren, welche Klarheit und Weitsicht ihr Spiel durchdringt, wie sie bisweilen eigene Wege gehen, ohne die anderen je aus dem Blick zu verlieren.

Besonders zeichnet sich dabei Pianist Marcin Wasilewski aus, der ja später auch mit seinem eigenen Trio auf sich aufmerksam machte. „September Night“ ist vom ersten bis zum letzten Ton ein Meisterwerk im typisch transparenten ECM-Sound und eine schmerzhaft-schöne Erinnerung an den vor sechs Jahren gestorben Tomasz Stanko, einen der ganz Großen des europäischen Jazz.

So sehnsuchtsvoll: Wahrscheinlich das Jazz-Album des Jahres

Eine ebenso unverwechselbare Stimme, aber auf dem Saxofon, ist Oded Tzur. Der Israeli hat mit „My Prophet“ unlängst sein drittes Album für das ECM-Label vorgelegt und schließt nahtlos dort an, wo der Vorgänger „Isabela“ endete: Es sind diese sehnsuchtsvoll-melancholischen Melodielinien, denen man sich einfach nicht entziehen kann. Geradezu meditative Improvisationen sind das, die aus tiefstem Herzen zu kommen scheinen und entsprechende Intensität haben. Dabei kann Tzur mit Nitai Hershkovits (Piano), Petros Klampanis (Bass) und Cyrano Almeida (Schlagzeug) auf Mitstreiter vertrauen, die sich nicht nur von ihm führen lassen, sondern auch selbst in Vorlage gehen. Besonders deutlich Hershkovits, der mit seinem ECM-Debüt „Call On The Old Wise“ im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgte und beim Konzert in der Hamburger Halle 424 begeisterte. Ohne Frage hat „My Prophet“ auch dank ihm das Zeug zum Jazzalbum des Jahres.

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Pianist Bill Charlap: Der aktuelle Livemitschnitt seines Trios ist auf dem Blue-Note-Label erschienen. © picture alliance / ZUMAPRESS.com | Nancy Kaszerman

Ganz in diese Sphären schafft es das Bill Charlap Trio zwar nicht, unbedingt hörenswert ist „And Then Again“ (Blue Note/Universal) aber dennoch. Jedenfalls für alle, die mal energetisch nach vorne streben, mal nachdenklich-baladesken Jazz lieben, der fest in der Pianotrio-Tradition steht. So unaufgeregt wie souverän gespielt, natürlich mit Standards wie „Round Midnight“ und „All The Things You Are“, live aufgenommen im New Yorker Village Vanguard.

Charlap ist ein Routinier im besten Sinne, hat ganze Alben mit den Songs von Jerome Kern, Leonard Bernstein und George Gershwin veröffentlicht und stammt ja auch selbst aus einer Musical-Familie – sein Vater ist der Broadway-Komponist Morrison „Moose“ Charlap („Peter Pan“). Entsprechend groß ist seine Liebe zur Melodie, die auch dieses Album durchzieht. Einfach wunderschön.