Hamburg. Deutsche Erstaufführung des Werks von Ger Thijs zieht das Publikum im Hamburger Sprechwerk hinein wie in einen Traum.
Der Wald wirkt mit einer Landschaft aus Birkenstämmen, einigen Topfpflanzen und einem rot leuchtenden Pilz beinahe märchenhaft. Mittendrin auf einer Bank an einem Aussichtspunkt eine Frau. Sie wirkt getrieben, verstört. Aus dem Gehölz schält sich ein Wanderer mit großem Rucksack – und Engelsflügeln. Er sucht das Gespräch, sie wiegelt ab. Man spürt eine große Wut und Verzweiflung bei ihm. Gelegentlich nimmt er einen Schluck aus dem Flachmann.
Von Anfang an wirkt das Geschehen doppelbödig in der deutschen Erstaufführung von „Der Kuss“ von Ger Thijs, die sich das Hamburger Sprechwerk für seine Reihe „Wortgefechte“ sichern konnte. Anton Pleva, der sowohl Regie als auch Ausstattung verantwortet, kann sich bei dem dialogstarken Zweipersonenstück vor allem auf seine beiden Protagonisten verlassen.
„Der Kuss“ im Sprechwerk: Aufbrausend und wortgewaltig
Jasmin Buterfas spielt herrlich zerknautscht und auch mal emotional aufbrausend eine pensionierte Apothekerin, die der Verdacht einer schweren Krankheit in eine Lebenskrise versetzt. Stephan Benson wiederum gibt wortgewaltig und mit physischer Präsenz den geheimnisvollen Fremden, der sich als erfolgloser Kabarettist entpuppt, der in einem Freizeitpark im Bärenkostüm Ballonfiguren knotet und deshalb meist schlechte Tage hat.
„Der Kuss“ erzählt die Begegnung zweier Menschen im Herbst ihres Lebens, das sie geschliffen und auch ein wenig porös gemacht hat. Mit dem wachsenden Vertrauen nehmen die gegenseitigen Zumutungen zu. Beide ersparen sich nichts und haften doch aneinander. Schön auch der Kunstgriff, dass er ein von höheren Mächten gesandter Engel sein könnte, der ihr neuen Mut geben soll.
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Zu Beginn findet das Kammerspiel langsam in sein Tempo, um dann auf unsentimentale Weise eine zarte Poesie zu entfalten. Pleva setzt dabei klug auf minimale Mittel, lässt Buterfas und Benson etwa Waldgeräusche sampeln. Das Publikum wird dank des intensiven Spiels tief hineingezogen in die Geschichte – wie in einen Traum.
„Der Kuss“ Weitere Vorstellungen 7.9., 20 Uhr, 8.9., 18 Uhr, 19.10., 19.12., 20.12., 21.12., jew. 20 Uhr, Hamburger Sprechwerk, Klaus-Groth-Str. 23, Karten unter www.hamburgersprechwerk.de