Hamburg. Mit „20. Juli“ bringen die Hamburger Kammerspiele mit Absolventen der Schauspielschule ein brandaktuelles Gedankenspiel auf die Bühne.

Muss man dem Bösen einen Riegel vorschieben, indem man einen mutmaßlich künftigen Diktator, der offen eine Menschen verachtende Agenda vor sich herträgt, beseitigt? Die Attentäter vom 20. Juli 1944 haben es versucht, sie wollten Adolf Hitler mit einer Bombe töten, um dem verbrecherischen Zweiten Weltkrieg ein Ende zu bereiten. Sie scheiterten. Hitler setzte seiner antisemitischen, rassistischen und auf Expansion ausgelegten Ideologie des Nationalsozialismus folgend den Krieg fort, der den Holocaust nach sich zog und die Welt an den Abgrund führte.

Und nun plagen sich die fünf Abiturienten in der offiziellen Uraufführung des Theaterstücks „20. Juli. Ein Zeitstück“ von Autor Bernhard Schlink („Der Vorleser“) in den Hamburger Kammerspielen mit ähnlich beklemmenden Fragen. Diese Setzung wirkt umso stärker, weil hier junge Menschen, Absolventen der Schule für Schauspiel Hamburg, in der Regie Franz-Joseph Diekens auf der Bühne stehen.

Theater Hamburg: Junges Ensemble testet in Gedankenspiel Grenzen der Zivilcourage aus

Der Raum ist leer bis auf vier hohe Scheinwerfer, viel Nebel und einige Schulbänke (Bühne und Kostüme Sabine Kohlstedt). Eigentlich wollen die Alltagskleidung tragenden Schülerinnen und Schüler mit ihrem Geschichtslehrer das soeben bestandene Abitur feiern. Doch es ist ausgerechnet der 20. Juli. Und bald wird der Raum zum Ort erhitzter, mit jugendlicher Leidenschaft geführter Debatten. Denn bei aktuellen Landtagswahlen hat eine Partei mit dem Namen „Deutsche Aktion“ unter ihrem aasigen Anführer Rudolf Peters (Constantin Moll) 37 Prozent der Stimmen geholt. Die Befürchtung: Ist er erst einmal an der Macht, werden Staat und Rechtsprechung zu den eigenen Gunsten zur Autokratie umgebaut. Am Ende steht die Diktatur.

„Soll man jemanden ermorden, von dem man weiß, dass er Furchtbares anrichten wird?“, fragen sich nun die Abiturienten und blicken in die Geschichte: Hätte man das Attentat auf Hitler schon 1931 durchziehen sollen und damit das Schlimmste verhindern können? Und was bedeutet diese Erkenntnis für das Handeln in der Gegenwart? „Das Abitur hinter uns und die Ferien und das Studium vor uns, der Sommerabend wunderschön – es stimmt nicht. Um uns herum brennt es“, realisieren die jungen Menschen.

Theater Hamburg: Junges Ensemble gibt schablonenhaften Figuren Leben

Dieken setzt in seiner Regie ganz auf das Spiel des hochengagierten jungen Ensembles, das in den vom Autor allerdings eher schablonenartig angelegten Figuren alle Aggregatzustände zwischen Zweifel und Entschlossenheit durchläuft. Da ist der angehende Journalist Fabian (Justin Elmquist), der zuerst das Wort in der Gruppe führt – und sich später von dem „präventiven Tyrannenmord“ als reinem Gedankenspiel verabschiedet. Da ist Niklas (Nikolai Terminante), der emotional aufgeladene Reden schwingt – aber würde er auch handeln? Paula (Charlotte Österheld) möchte Ingenieurin werden und schlägt vor, erst mal an einer Waffe zu üben.

Die entscheidungsfreudige, reflektierte Esther (Isabella Gonzalez) will Jura studieren und die Welt retten, allerdings kommen ihr private Turbulenzen durch die Affäre mit dem verheirateten Geschichtslehrer Gertz (Tom Seack) in die Quere. Nebenstränge wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis lenken unnötig vom zentralen Geschehen ab. Auch bleiben die Figuren eher typenhafte Skizzen und der jugendliche Überschwang, mit dem sie sich, von viel historischem Wissen erfüllt, zum Rebellentum aufschwingen, wirkt dann doch etwas konstruiert.

Die größte Wandlung macht die Figur der angehenden Medizin-Studentin Maria (Anna Weichberger) durch. Erst reagiert sie beinahe übertrieben mitfühlend auf die Debatte. Doch dann wird sie auf einmal ruhig und klar und womöglich verblüfft sie am Ende alle – auch wenn das Stück am Ende offen bleibt.

Theater Hamburg: Differenziertes Gedankenspiel mit brandaktuellem Inhalt

Trotz dieser Schwächen gelingt es „20. Juli“ als differenziertem Gedankenspiel, die richtigen Fragen von Zivilcourage und Moral zu stellen. Denn natürlich ist der Tyrannenmord als Mittel rechtlich betrachtet höchst fragwürdig. „Die Würde des Menschen achten heißt, ihn nicht zum Objekt zu machen. Mit dem präventiven Mord mache ich den anderen zum Objekt meiner Zukunftsvoraussicht“, heißt es da.

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In einer Woche sind Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Dort könnte die „Alternative für Deutschland“, die in dem Stück nicht so benannt wird, aber mit der „Deutschen Aktion“ sehr viel gemein hat, am Ende mit hohen Gewinnen herausgehen. Und so ist es vor allem die Aktualität des Stückes, die ihm eine besonders beklemmende Dringlichkeit gibt.

„20. Juli. Ein Zeitstück“ wieder So 29..9.., 18.00, Mo 30.9., 19.30, Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9-11, Karten unter T. 040/413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de