Hamburg. Beim Stück von US-Choreograf Jeremy Nedd wirken die Tänzer eher verloren, Ivan Michael Blackstocks „Traplord“ ist hingegen ein Ereignis.

Zuerst geschieht in der Kampnagel-Halle K2 – nichts. Das Publikum sitzt im Dunkeln, nur sanft berieselt von perlenden Jazz-Klavier-Klängen. Aus dem Dunkel schälen sich schemenhafte Gestalten, die in Soli, später auch in Kleingruppen Pantsula-Schritte ausführen. Das ist ein Tanz der südafrikanischen Subkultur, entstanden während der Apartheid in den Townships Johannesburgs, der auf sehr schneller Fußarbeit basiert. Man sieht fliegende Beine, eigentümlich hüpfende, fast schwebende Tanzende. Das fünfköpfige Ensemble – eine Tänzerin und vier Tänzer – trägt glamouröse Glitzer-Kostüme. Der Schweiß perlt.

Der in Basel lebende US-Choreograf Jeremy Nedd hatte vor zwei Jahren gemeinsam mit der Gruppe Impilo Mapantsula und einem südafrikanischen Western über die Figur des Schwarzen Cowboys beim Internationalen Sommerfestival reüssiert. Nun ist er erneut auf Kampnagel zu erleben, mit einer allerdings weniger konzept- und bildstarken Arbeit.

Tanz beim Sommerfestival auf Kampnagel: von schwer erträglich bis befreiend

„Blue Nile To The Galaxy Around Olodumare“ versucht, eine afrofuturistische Vision aus der Gegenwart heraus zu projizieren und will diese mit einem historischen Bewusstsein verbinden. Als Mittel setzt der Abend auf die Kraft der Abstraktion und der Improvisation im Tanz in der wirklich sehr virtuosen Klaviermusik von Alice Coltrance und Bheki Mseleku. Doch die Tanzenden wirken ein wenig verloren im Raum, während sie meist nacheinander die kaum variierenden Schritte ausführen. Erst zum Ende hin steigert sich die Bewegung unter den Rufen der Tanzenden zu einer Ekstase und in eine kathartische Stimmung, die so etwas wie Gemeinschaft stiftet.

In der K1 hingegen gibt es sofort Vollgas: „Yo, Traplord! Hamburg, wassup?“ Man kann nicht behaupten, dass die jungen Männer auf der Kampnagel-Bühne keine Ahnung von Publikumsanimation hätten. Ivan Michael Blackstocks „Traplord“ jedenfalls beginnt als hochenergetisches Rap-Konzert, mit wummernden Beats, mit harschen Stroboskop-Attacken, mit ununterbrochenem Angehen der Zuschauer. Und mit viel Gegockel.

Kampnagel: Blackstocks Stück setzt sich mit toxischer Männlichkeit auseinander

Gegockel, das ist eben das Modell, das man angeboten bekommt, wenn man männlich ist, schwarz, ökonomisch nicht gerade auf Rosen gebettet. Dann macht man jede Aktion zum Wettbewerb, dann spielt man sich in den Vordergrund und drängt sein Gegenüber nach hinten. Gangstergehabe, gespielte Gewalt, die unvermittelt in reale Aggression umschwenken kann, was soll man machen, wenn man jung ist? Zum Beispiel könnte man sich mit der eigenen toxischen Männlichkeit auseinandersetzen, und genau das ist es, was Blackstocks Stück in der Folge macht.

Die Inszenierung von Maskulinität bricht entsprechend immer wieder auf: Die Gewalt ist irgendwann kein Stilmittel mehr, sondern echter Schmerz, es geht um Suizid, Drogensucht, Entfremdung, Tränen fließen. Und der Rap, der zwischendurch immer wieder losbollert, wirkt plötzlich müde, wie die Beschwörung von etwas, das längst an Bedeutung verloren hat. Nein, einfach macht es einem die emotionale Achterbahnfahrt „Traplord“ nicht – der Testosteronoverkill zu Beginn ist ebenso schwer erträglich wie der Zusammenbruch der Protagonisten am Ende. Selten jedenfalls sieht man solch ein hoffnungsloses Schlussbild wie diese nackten Oberkörper, die Muskelberge, die gebellten Statements, die sofort wieder in sich zusammenfallen.

Mehr Hamburg-Kultur

Und wenn nach dem Schlussapplaus das Publikum aufgefordert wird, bei einer Zugabe mitzugehen, dann spürt man auch das Unbehagen, das diese Zugabe transportiert. „Yo, wassup?“ Die Männlichkeit, die hier noch einmal gefeiert wird, ist tatsächlich längst dekonstruiert.

Internationales Sommerfestival bis 25.8., Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter www.kampnagel.de