Hamburg. Bei dem Sommerevent ist der indische Sternekoch Suvir Saran zu erleben. Sensationell lecker – und doch passt etwas nicht so recht.
Die Bühne der großen Kampnagel-Halle ist leer, bis auf die Menschen, die dort in ruhender Pose verharren. Ein Tänzer steht am rechten Rand, ihm gegenüber eine Gruppe von 19 Tänzerinnen und Tänzern. Die Szene wirkt düster, ein wenig desillusioniert, aber nicht bedrohlich. Langsam beginnt sich der Tänzer zu bewegen, mit der Schwerkraft zu spielen, sein ganzer Körper wiegt sich bald in einem Fluss, der immer wieder abrupt stoppt und neu ins Vibrieren kommt.
Nach „Insight“ und „Earthbound“ präsentiert der französische Choreograf Saïdo Lehlouh sein neues Werk „Témoin“ („Zeuge“) beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel. Sein Zugang zu Tanz ist außergewöhnlich, weil er Vertreter urbaner Tanzstile, die diese in der Regel jenseits akademischer Institutionen erlernt haben, zusammenbringt. Es gibt keine feste Erzählung, aber akkurat choreografierte Teile und aus Improvisation entstandene Freiräume.
Eine hypnotische Tonspur mit dekonstruierten Zitaten aus dem Hip-Hop der 90er-Jahre von Mobb Deep oder Hittman (Musik: Mackenzy Bergile) ist zu hören, während sich der Schwerpunkt der Tanzenden auf der Bühne immer neu verlagert, Gruppentableaus und Solo-Szenen einander ablösen und die Spannung steigt. Ein Tänzer variiert katzenhaft zwischen Bodenarbeit und Stand. Und manch einer hätte mit seinen rasanten, athletischen Bewegungen den Breakdancern bei den Olympischen Spielen in Paris Konkurrenz gemacht.
Kochkunst-Performance auf Kampnagel in Hamburg: ein zwiespältiges Vergnügen
„Témoin“ ist jedoch kein Hip-Hop-Battle, es ist, wenn man so will, eine Betrachtung des Gegenübers, ein Aufgreifen des fremden Blicks und im besten Sinne dessen Transformation in Gemeinschaft. Die Dynamik entsteht aus der Begegnung der individuellen Tänzerpersönlichkeiten, deren Bewegungen Ausdruck ihrer Identität sind. Man muss sich ein wenig darauf einlassen, aber dann gibt es unendlich viel zu entdecken an diesem Tanzabend, der auf eines weitgehend verzichtet: sich synchron bewegende Körper.
Lehlouh hat es mit einem eigenwilligen Konzept weit gebracht. Heute ist er Co-Leiter des renommierten CCN de Rennes et de Bretagne. Am kommenden Wochenende kuratiert er unter dem Titel „Core“ einen ganztägigen. Parcours durch alle sechs großen Ausstellungshäuser der Kunstmeile. Auch weitere Choreografinnen und Choreografen, langjährige Kollaborateure Lehlouhs, präsentieren dabei eigene Arbeiten. Inklusive großer abschließender Massenchoreografie mit mehr als 100 Performenden auf dem Rathausmarkt (19 Uhr). Der Eintritt ist frei.
Suvier Saran tischt auf: Vier Gänge in 90 Minuten, das geht leider nur gehetzt
Um Tanz geht es derweil nicht im Kampnagel-Garten, dafür um hohe Kochkunst. Eigentlich hätte Suvir Saran sein Pop-up-Restaurant schon zu Beginn des Internationalen Sommerfestivals eröffnen sollen. Doch es gab Probleme mit dem Visum für den indischen Sternekoch, weswegen die hochklassige Verköstigung des Festivalpublikums noch eine Woche auf sich warten ließ. Aber jetzt! Saran hat ein Zelt im hinteren Bereich des Gartens aufgebaut, in dem 36 Gäste Platz finden, serviert wird ein viergängiges vegetarisches Menü, getrunken wird indisches Bier oder italienischer Weißwein, es erklingt klassische indische Musik von Marina Ahmad (Gesang) und Manao Doi (Gitarre), und Saran erzählt, von seinem Zugang zum Kochen, von der gespielten Musik, vor allem davon, was man da gerade auf dem Teller hat. Wobei man die Beschreibung sofort wieder vergisst: Es schmeckt so sensationell gut, dass man sich gar nicht die Mühe macht, jede Geschmacksnuance zu ergründen. Alles super also?
Man kennt diese Versuche, die Kochkunst mit der Hochkultur zu verbinden, beispielsweise war der katalanische Sternekoch Ferran Adrià 2007 als Künstler zur documenta eingeladen. Meist funktioniert das leidlich – nicht, weil Kochen keine Kunst wäre, sondern weil Kunstbetrieb und Gastronomie nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten funktionieren. So ist Spitzenküche eine teure Angelegenheit, eine Institution wie das Sommerfestival aber möchte niedrigschwellig bleiben. Ein Schnäppchenpreis von 40 Euro für das Menü (ohne Getränke) ist nur zu halten, wenn täglich zwei Besucherschichten durch das Restaurant geschleust werden.
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Vier Gänge in 90 Minuten lassen sich aber nur gehetzt absolvieren, und Hetze ist wohl das Letzte, was diese Küche braucht. Dazu kommt der Eventcharakter. Saran versteht den Abend als Performance, die Aufmerksamkeit an den sechs Tischen ist aber eher aufs Gespräch der Besucher untereinander gerichtet. Heißt: Es wird geplaudert, der Geräuschpegel ist hoch, während Ahmad singt, fürs westliche Ohr gewöhnungsbedürftige indische Klänge. Irgendwas passt da nicht.
Die Idee hinter dem Pop-up-Restaurant ist nachvollziehbar, Saran bemüht sich, ein guter Gastgeber zu sein, die Küche ist ohnehin über jede Kritik erhaben. Und doch: An den kommenden Abenden wird der Magen wohl wieder mit dem Festival-Catering vom Kampnagel-Restaurant Peacetanbul gefüllt. Ist auch lecker.
Suvir Sarans Pop-up-Restaurant bis 25.8., Mi-So, 18.30 und 21 Uhr, Kampnagel, Restkarten nur noch an der Abendkasse Internationales Sommerfestival bis 25.8., Kampnagel, Jarrestraße 20–24, Karten unter T. 27 09 49 49; www.kampnagel.de