Hamburg. Die niederländische Band verbindet türkischen Rock der 70er-Jahre mit heutiger Popkultur. Das Ergebnis sorgt für einen entspannten Stadtpark-Abend.
„Goldener Tag‟ heißt Altın Gün übersetzt. Und an diesem Dienstag passt dieser poetische Bandname perfekt. Während Sonne und Hitze die Welt wie eine verblichene Postkarte wirken lassen und der laue Wind alles ganz weich zu zeichnen scheint. Diese Stimmung macht besonders empfänglich für die musikalische Nostalgie, die die niederländische Gruppe Altın Gün ins Heute wehen lässt. Türkischer Rock der 70er-Jahre verwirbelt sich da psychedelisch mit heutiger Popkultur.
Ein Sound, der die Community mit türkischen Wurzeln ebenso ins Stadtpark-Rund zieht wie überhaupt vielseitig interessierte Musikliebhabende. Auch wenn bei Fachsimpeleien auf dem Hinweg von Fans bedauert wird, dass Sängerin Merve Daşdemir seit Frühjahr diesen Jahres nicht mehr dabei ist.
Altin Gün: Die Fans wiegen sich sanft im Psychedelic-Groove
Ein älterer Mann im Publikum trägt ein Shirt von Barış Manço, legendärer Vertreter des Anadolu-Rock. Über der Schulter einer jungen Frau wiederum hängt ein Jutebeutel der jungen Mannheimer Band Engin, die türkisch inspirierten Indiepop mit deutschen Texten spielt. Die Bandbreite ist also über die Generationen hinweg weit abgesteckt.
Mit rund 2000 Gästen ist die grüne Arena vor der Stadtpark-Bühne nur etwa zur Hälfte gefüllt. Die Stimmung ist angenehm entspannt, als die Hamburger Musikerin Kuoko den Abend mit ihren soften Electro-Songs eröffnet. Ein lässig pulsierender Auftakt.
Die fünf Musiker von Altın Gün beginnen ihr Set dann in dicken Kunstnebel getaucht. Ein schöner, nahezu mystischer Kontrast zum nach wie vor strahlend blauen Abendhimmel. Die lässig driftende Funknummer „Şeker Oğlan‟ eröffnet die mit anderthalb Stunden knackig-kompakte Show. Allerdings ist die Band so etwas wie eine Zeitmaschine. Nicht nur, was die musikhistorischen Anspielungen angeht. Sondern vor allem in Bezug darauf, wie sie Rhythmus und Tempo in ihren Songs kunstvoll variieren.
Der Klang der Saz durchströmt einen mit melodisch-erzählerischer Kraft
„Vay Dünya‟ beispielsweise startet angetrieben von akzentuierten Percussions, um sich dann in einen fiebrigen Fluss auszudehnen. Vor allem Frontmann Erdinç Ecevit Yıldız changiert spielerisch durch die Zustände: Sein Keyboard windet sich in Schlaufen empor. Die Saz durchströmt einen mit melodisch-erzählerischer Kraft. Und sein Gesang entfaltet fast hypnotische Wirkung. Wunderbar lang und lautmalerisch lässt er die Silben in „Leylim Ley‟ in die milde Luft fliegen.
Wer Altın Gün allerdings einmal mit Merve Daşdemir erlebt hat, etwa beim Reeperbahn Festival 2018 im Kaiserkeller, der vermisst die betörende Klangfarbe der Sängerin durchaus. Der Fusion-Sound von Altın Gün birgt jedoch nach wie vor reichlich universelle Energie, von der sich die Menge alsbald einnehmen lässt. Manche der Fans wiegen sich sanft. Andere wiederum heben die Arme, drehen sich im Kreis und halten die Hände fingerschnippend in die Höhe. Nummern wie „Bir sigara iç oğlan‟ scheinen mitunter in retrofuturische Sphären zu entgleiten, werden aber durch satten Funk-Groove und dunklen Rock-Schub in der Umlaufbahn gehalten. Eine geerdete Leichtigkeit.
Wie Erdinç Ecevit Yıldız gemeinsam mit E-Gitarrist Thijs Elzinga, Bassist Jasper Verhulst, Schlagzeuger Daniel Smienk und Percussionist Chris Bruining agiert, erinnert mitunter an eine intensive Jam-Session. Und bei einem Lied wie „Badi Sabah Olmadan‟ scheinen sich die Band-Mitglieder in ihrem Spiel gegenseitig noch weiter anzuheizen. Fast hätte man sich mehr Ansagen und Erläuterungen zu den vielen Interpretationen traditioneller Songs gewünscht, zu ihren Schöpfern, zur Bedeutung ihrer Lyrik. Doch Altın Gün lässt die Musik für sich sprechen.
Altin Gün im Stadtpark: Da ist reichlich Melancholie und Schmacht in der Stimme
Fünf Alben hat die 2016 in Amsterdam gegründete Band mit ihrem türkisch inspirierten Psych-Pop bisher veröffentlicht. Mit „Gönül Dağı‟ erschien vor Kurzem die erste Single nach dem Ausstieg von Sängerin Daşdemir. Das Lied stammt aus der Feder des 2012 gestorbenen türkischen Komponisten und Sängers Neşet Ertaş, von dem Altın Gün einige Werke im Programm hat. Mit reichlich Melancholie und Schmacht in der Stimme erzählt Erdinç Ecevit Yıldız da von einer heimlichen Liebe. Mit seinem langen, in der Mitte gescheitelten Haar hat er dabei die Ausstrahlung eines emotional versunkenen Hippies.
Je weiter das Konzert fortschreitet, desto mehr zieht die Dynamik wieder an. Bei „Maçka Yollari‟ mündet der Funk im Stile von Sly & The Family Stone geradewegs in eine orientalische Disco. „Caney‟ vom aktuellen fünften Album „Aşk‟ ist eine nervös voranpreschende Nummer, die in der Menge zu immer ausgelasseneren Bewegungen führt. Lautes Johlen ist zu hören, als sich einige an den Händen greifen und euphorisch im Kreis tanzen.
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Zum großen Finale mit „Süpürgesi Yoncadan‟ steigert sich die Band im rot gewitternden Bühnennebel noch einmal aufs Schönste in ihr musikalisches Miteinander hinein. Und mit „Halkalı Şeker‟ als Zugabe und einem freundlichen „Thank You‟ entsendet die Band ihre Fans in die nach wie vor heiße Nacht.