Wacken. Mit Witz und Grimm hat das härteste Festival des Nordens begonnen. Lauter tolle Frauen und ein Sänger, mit dem niemand gerechnet hatte.
Erster Fehler beim Wacken Open Air: bei der Anreise sparen. Im Gegensatz zu den Vorjahren fährt der reguläre Linienbus nicht mehr vom Bahnhof Itzehoe an den Ortsrand von Wacken, das Dorf ist abgesperrt, nur die (teuren) Shuttlebusse kommen durch, und auch von deren Endhaltestelle ist es noch ein guter Fußmarsch bis aufs Festivalgelände. Fatal, wenn man einen engen Zeitplan hat. Zweiter Fehler: überhaupt sparen. Es ist einfach alles sehr teuer, und weil mittlerweile auf Cashless Payment umgestellt ist, lädt man das Guthaben ständig in 20-Euro-Schritten neu auf. Bier mit Pfand 7,50 Euro, man hat aber nur noch sieben Euro geladen? Gleich noch mal einen Zwanziger drauf, was soll’s? Dritter Fehler: Zeitpläne. Sind eh nicht einzuhalten, angesichts der Programmfülle.
Es ist nämlich so: Man möchte zur „Louder Stage“, weil dort die seit 1978 aktive Legende Girlschool spielt, die erste reine Frauenband im damals noch stark maskulin geprägten Metal-Genre. Man kommt aber nicht so weit, weil einen schon an der „Headbangers Stage“ die japanische Band Phantom Excaliver ablenkt. Von der hat man zwar noch nie was gehört, sie liefert aber eine atemberaubende Show zwischen Metalcore und Melodic Death Metal ab, während Sänger Kacchang sich in bester Punk-Manier ins Publikum wirft. Voriges Jahr gewann Phantom Excaliver den Metal Battle in Wacken, eine Art interkontinentaler Eurovision Song Contest für Hartwürste, und weil das so großen Spaß macht, bleibt man noch ein bisschen und hört aktuelle Wettbewerbsbands, Shvriken (Philippinen, ohrenzerrend), Sunken State (Südafrika, wichtigtuerisch), Æonik (Luxemburg, ernst). Girlschool hat derweil längst ihre Instrumente zusammengepackt.
Wacken Open Air: Teures Bier, lange Fußmärsche – und ein Überraschungsgast
Jetzt aber weiter. Auf der „Louder Stage“ spielen am Mittwoch ausschließlich Musikerinnen, neben Girlschool auch Bands wie die Butcher Babies oder Rock-Urgroßmutter Suzie Quatro: Wacken kann mit einer beeindruckenden Frauenquote aufwarten, wahrscheinlich deutlich höher als bei ach so alternativen Festivals wie Hurricane oder Dockville. Und dass hier kein Gewese drum gemacht wird, ist ein sympathischer Zug.
Jedenfalls möchte man da reinhören, man kommt nur nicht weit. Weil nämlich auf der „Faster Stage“ ein bekanntes Gesicht zu sehen ist: Peter Maffay. Der gar nicht angekündigt war, aber als Gast beim Comedian Bülent Ceylan auf der Bühne steht. Ceylan ist ein Überbleibsel aus den Zehnerjahren, als auch Wacken von der Ironiepest befallen war, als alles lustig sein sollte und mal mehr, mal weniger lustige Sprüche die düsteren Klänge auflockerten. Höhepunkt dieser Entwicklung: als Rammstein 2013 gemeinsam mit Heino auftrat. Da sind Maffay und Ceylan erträglicher, weil man denen die Liebe zum Rock abnimmt. Zumal Ceylan kein Comedyprogramm abspult, sondern mit einer vierköpfigen Band ein echtes, im Gesamtprogramm gar nicht verkehrtes Konzert spielt. Schlagermetal zwar, aber alles in allem okay, nicht zuletzt wegen stabiler „Nazis raus!“-Positionierung.
Bülent Ceylan: Ein Comedian ist in Wacken ein Witz
Trotzdem ist ein Comedian in Wacken ein Witz. Ähnlich wie The Darkness: Das britische Quartett tauchte vor 20 Jahren aus dem Nichts auf und räumte damals ab, was abzuräumen ging, als Karikatur von Sleazerockern, die eine Glam-Show feierten, während sie im Grunde Collegerock spielten. Eine Platte lang war das lustig, schon bei der zweiten war der Witz aber erzählt, und als The Darkness kurz darauf im Koksnebel verschwand, vermisste man sie bald nicht mehr. Jetzt ist sie wieder da, sympathisch demütig („Wir sind nur eine kleine Pubband aus der ostenglischen Provinz!“ ersetzt das „Größte Band der Welt!“-Großmäulertum von früher), und Sänger Justin Hawkins trifft immer noch die ganz hohen Töne. Dass dieser Falsettgesang schon 2004 nervte, vergisst man kurz: macht Spaß.
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Jetzt aber endlich Musik. Weiter zu den Frauen auf der „Louder Stage“, zu The Warning aus Mexiko, einem Powertrio, das knackigen Hardrock ohne Kompromisse, aber mit Haltung und Melodie spielt. Und zur Cellistin Tina Guo. Auf Platte bedient die in China geborene US-Amerikanerin die neoklassische Schiene der Metalwelt, live weitet sie die Grenzen, berührt Industrial, Elektronik, zwischendurch gar karibische Klänge. Trotz der bemüht grimmigen Bühnenpräsenz: der musikalisch wohl avancierteste Auftritt des Festivalmittwochs.
Headliner mit Mainstreamappeal gibt es natürlich auch noch. Nämlich In Extremo, Berliner Mittelalter-Metal mit bemerkenswerter Massentauglichkeit, der stilistisch ein wenig an Guos Streicher-Rock anschließt. Vierter Fehler: Den Tag auf die Headliner ausrichten. In Wacken nämlich geht es nicht um die großen Namen, es geht um das Gesamterlebnis.