Hamburg. Vincent Dubois spielt diese Woche in Hamburg. Im Gespräch erklärt er, was sich durch den Brand der Pariser Kathedrale verändert hat.
Organistinnen und Organisten sind ein Völkchen für sich. Man kennt sich. Und man trifft sich immer wieder an anderen Orten, wie etwa in Hamburg beim alljährlichen Orgelsommer. Der exklusive Club zieht herum, dorthin, wo die schönsten, interessantesten Orgeln stehen. Von denen hat Hamburg einige zu bieten. Die barocke Schnitger-Orgel in St. Jacobi ist natürlich der Star. Aber auch die Orgeln im Michel sind, neben dem prominenten Ort, für die Künstler interessant. Am kommenden Mittwoch gastiert dort Vincent Dubois, seines Zeichens Titularorganist an der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Ja, genau, das ist die mit dem Glöckner. Die, die 2019 bei einem Großbrand zu großen Teilen zerstört wurde.
Auf Ihrem Programm für den Michel stehen Werke von Bach und französischen Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts, außerdem werden Sie improvisieren. Wissen Sie schon, was Sie aus dem üppigen Angebot der vielen Michel-Orgeln wählen?
Die Instrumente im Michel haben unterschiedliche Stile, das Material ist aus unterschiedlichen Epochen. Ich kann die Orgelregister aber möglicherweise von dem zentralen Spieltisch aus verbinden und die Klangfarben mischen. So etwas funktioniert, wenn die Intonation gut gemacht ist, das heißt, wenn die Orgelbauer die Pfeifen klanglich gut eingerichtet haben. Das Intonieren ist ihre wichtigste Aufgabe.
Hamburger Orgelsommer: Wie Olympia die Arbeiten an der Orgel in Notre-Dame beeinflusst
Was ist das Besondere an der französischen Orgeltradition im Unterschied zur deutschen?
In Deutschland reicht die Tradition von Bach ungefähr bis Mendelssohn, also bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts – wobei Bach den Höhepunkt an Inspiration darstellt. In Frankreich hat César Franck im 19. Jahrhundert eine neue Tradition begründet. „École symphonique“ nennt man sie, diese Schule gibt es bis heute. Er hat eine neue Art entwickelt, für Orgel zu schreiben, und dafür eng mit Orgelbauern zusammengearbeitet.
Wie merkt man das an den Instrumenten?
Die französischen Instrumente haben einen größeren Stimmumfang und mehr Register als die barocken deutschen Orgeln. Die Orgelbauer des 19. Jahrhunderts haben die zeitgenössischen Komponisten stark beeinflusst und viel mit ihnen gearbeitet, um den neuen Klang zu finden. Da gibt es Register, die richtig nach Orchesterinstrumenten klingen: Flöte, Oboe, Klarinette, Streichinstrumente. Es ist ein faszinierender Reichtum.
Was für eine Orgel war denn in Notre-Dame?
Die Hauptorgel ist ganz anders. Sie ist im 17. Jahrhundert erbaut worden, aber es gibt sogar Bestandteile, die bis ins 15. Jahrhundert zurückreichen. Alle 50 Jahre hat ein neuer Orgelbauer sie renoviert. Und fast jeder Orgelbauer hat respektiert, was die Vorgänger gemacht hatten, und eigene Sachen hinzugefügt. Das Ergebnis ist ein Instrument, das in Frankreich einzigartig ist. In dieser Orgel gibt es gotische Pfeifen, klassische aus dem 18. Jahrhundert, dann welche aus dem 19. Jahrhundert von dem bedeutenden Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll und moderne.
Vincent Dubois: „Der Brand der Kathedrale war ein Albtraum“
Hat die Orgel bei dem Brand Schaden genommen?
Es war ein Wunder! Der Brand hat nichts beschädigt. Er hat nur Bleistaub in die Orgel gebracht. Sie musste gereinigt werden. Wir hatten sehr viel Glück. Leider war die Chororgel zerstört, aber weil sie historisch nicht so gut erhalten war, war sie nicht so wertvoll wie die Hauptorgel.
Wie lange müssen Sie in Notre-Dame pausieren?
Es werden insgesamt fünfeinhalb Jahre. Die Wiedereröffnung ist am 8. Dezember.
Wie haben Sie den Brand erlebt?
Ich war gerade nicht in Paris. Ein Freund von mir spielte die Abendmesse, als der Alarm losging. Er musste aus dem Gebäude fliehen, wie alle. Er hat mich sofort angerufen und gesagt, die Kathedrale brennt, es ist eine Katastrophe. Ich habe die ganze Nacht vor dem Fernseher gesessen und alle fünf Minuten mit Kollegen telefoniert. Es war ein Albtraum.
Hamburger Orgelsommer: Die Orgelbauer brauchen für ihren wichtigsten Job Zeit – und Stille
Ist der Schock inzwischen abgeklungen?
Wir haben die Hoffnung, unser Instrument wiederzufinden. Ich werde im September versuchen, die Intonation mit dem Orgelbauer auszuprobieren. Das Intonieren braucht Zeit. Sie haben im Mai angefangen. Jetzt warten sie die Sommerferien und die Olympischen Spiele ab. Sie würden nichts hören vor lauter Hupen.
Sie leben nicht nur in Paris, sondern auch in Strasbourg. Wie können Sie das mit dem Dienst vereinbaren?
Die Aufgabe der Titularorganisten ist es, die Messen an den Wochenenden und bei großen Festgottesdiensten auf der Hauptorgel zu spielen. Außerdem wird erwartet, dass wir international Konzerte geben. Unter der Woche ist die Chororgel dran, die spielen andere Kollegen.
Und die Zeit während der Schließung?
Wir waren in St. Germain l’Auxerrois untergebracht, das ist gleich neben dem Louvre. Dort spielen wir noch bis November. Es sind nicht ganz so viele Gottesdienste wie in Notre-Dame.
Weitere Kulturthemen
- John Neumeier über sein Erbe: „Das bricht mein Herz“
- Für 2,2 Millionen: Lüneburger Schatz muss bald saniert werden
- Keine Konzerte: Warum die Laeiszhalle länger geschlossen ist
Wie viele Wochenenden im Monat haben Sie denn regulär Dienst?
Ein oder zwei, das kommt darauf an. Durchschnittlich drei in zwei Monaten. Das sind jeweils sechs Gottesdienste. Einer am Samstagabend und fünf am Sonntag.
Kommen Sie dann zwischendurch überhaupt dazu, etwas zu essen?
Oh ja, das ist sehr wichtig! Wir haben in einem Seitenraum der Orgelempore einen Kühlschrank.
Vincent Dubois, Orgel Mi 7.8., 19.00, Hauptkirche St. Michaelis, Tickets zu 12,-; www.st-michaelis.de/michel-musik