Hamburg. Wahrzeichen, Touristenmagnet und Ort des Gebets: Ohne die vielen Spenden gäbe es die Hauptkirche St. Michaelis so nicht mehr
Michel, mein Michel - das ist die Geschichte einer großen Liebe. Wie anders könnte es sein, dass Hamburgerinnen und Hamburger seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Millionen von D-Mark und Euro für den Erhalt der Hauptkirche gespendet haben. „Der Michel hat in den Herzen der Hamburger einen besonderen Platz“, sagt Michel-Hauptpastor Alexander Röder. Es ist eine himmlische Liebe, die über Jahrzehnte hält.
Michel: Dreimal erbaut und zweimal komplett zerstört
Nach einer wechselvollen Geschichte - zwischen 1647 und 1912 dreimal erbaut und zweimal komplett zerstört – ist die Hauptkirche St. Michaelis Hamburgs Wahrzeichen. Kirchengemeinde St. Michaelis und der gleichnamigen Stiftung von 1945 bis 2023 dokumentiert die zahlreichen Rettungsaktionen für das barocke Gotteshaus und die Spendenbereitschaft der Hamburger. „Mich begeistert“, sagt Michael Kutz, Geschäftsführer der Stiftung St. Michaelis, „wie aus tiefer Michel-Verbundenheit so vieler Menschen großartiges Engagement entsteht.
Als die anglo-amerikanischen Bomber beim „Feuersturm“ über Hamburg im Jahr 1943 weite Teile der Stadt zerstörten, blieb der 132 Meter hohe Turm des Michel wie durch ein Wunder verschont. Dagegen traf es die Hauptkirche St. Nikolai am Hopfenmarkt mit voller Wucht. 2000 Menschen überlebten die Angriffe in der Michel-Krypta. Die Schäden an Norddeutschlands schönster Barockkirche waren beträchtlich: „Dachstuhl und Deckengewölbe wurden zerstört, Altarraum und Kanzel, das Gestühl und die die große Orgel erlitten erheblich Schäden“, sagt Michel-Sprecherin Ines Lessing. Schon damals zeigten die Hamburger Herz für ihren Michel. Denn der Wiederaufbau konnte zu einem erheblichen Teil aus Spenden finanziert werden. Die erste Spende kam aus San Francisco. Dort hatten geflüchtete Hamburger ein Benefizkonzert für ihre Heimatkirche veranstaltet.
Michel-Liebe: Die Hamburger spendeten sogar ihr Familiensilber
Und so ging es weiter: Anonyme und bekannte Spender, Mäzene wie das Ehepaar Günter und Lieselotte Powalla, Unternehmen wie die Haspa und unzählige Hamburgerinnen und Hamburger gaben Geld und sogar ihr Familiensilber. Um den Bestand der Abendmahlskelche zu erhalten, wurden vor vier Jahren 800 Kilogramm Silber gesammelt, aus denen die Lübecker Silberschmiedin 15 Kelche fertigte.
Rettung für den Michel: Die Haspa macht bei der Aktion mit
Am schlimmsten traf es allerdings zu Beginn der 1980er Jahre den Turm. Auch er blieb vom Zahn der Zeit nicht verschont. Die Spitze musste komplett ersetzt werden. Bimsbeton unter der Kupferhaut hatte Wasser gezogen – mit gravierenden Folgen für das Stahlgerüst. Die erste Hilfe kam abermals von einem Hamburger, der in den Vereinigten Staaten lebte. Der Kaufmann spendete umgerechnet vier Millionen Euro. Dass der Turm bis zum Jahr 1996 vollständig saniert werden konnte, ist nicht zuletzt den phantasiereichen Spendenaufrufen der Kirchengemeinde zu verdanken. Dazu gehörten Michel-Uhr, Michael-Auktion und die Michel-Märkte. „Zudem beginn damals die intensive Kooperation mit der Hamburger Sparkasse“, sagt Ines Lessing.
Michel-Tafeln sind eine Beitrag zur Erinnerungskultur in der Stadt
Bis heute berührt die Spendenaktion rund um die „Michel-Tafeln“ die Herzen der Hamburger. Seit dem Start im Jahr 1994 ist es die ertragsreichste Sammelkampagne für den Erhalt der Kirche. Bislang konnten mehr als eine Million Euro gesammelt werden. Auf dem Boden des Kirchenplatzes liegen inzwischen 212 Tafeln mit 17.000 Namen und mehr als 10.000 Gravuren.
Michel-Tafeln: Eine Gravurzeile ist für 150 Euro zu haben
Eine Gravurzeile auf einer klassischen Michel-Tafel mit Wunschgravur kostet 150 Euro und umfasst maximal 28 Zeichen. Als Beitrag zu einer einzigartigen Erinnerungskultur stehen die eingravierten Namen für ein Schicksal, für eine Geschichte, für einen Dank. So setzten die Orchestermusiker von James Last ihrem Chef ein kleines Denkmal: „Herzlicher Glückwunsch Hans zum 70. Geburtstag“, steht auf der Platte, datiert vom 17. April 1999. Aber nicht nur Namen zieren die Tafeln. Auch Bilder von Windjammern, Seemannsknoten, Gedichte und sogar Elchgeweihe erinnern an Menschen und ihre Lebensgeschichten. „Durch die Vielfalt der Inschriften sind die Tafeln zu einem einzigartigen Ort kirchlicher Erinnerungskultur geworden“, sagt Alexander Röder.Ende der 1990er Jahre richtete sich der Fokus der Spendenkampagnen auf die Glocken. Seit dem Jahr 2016 sind alle zehn Glocken wieder komplett – wie vor mehr als 100 Jahren. Sechs Glocken bilden das Glockengeläut, vier weitere sind Uhrschlagglocken.
Michel-Glocken: Ein Hamburger Kaufmann sponsert die Aktion
Ein Hamburger Kaufmann unterstützte den Guss der mit 7,5 Tonnen größten Läuteglocke („Jahrtausendglocke“). Mehr noch: Mit der Spendenaktion „Zwei Glocken für den Frieden“ wurden von 2015 bis 2017 rund 500.000 Euro aufgebracht, unter anderem durch eine buntes Michel-Wimmelbild mit dem Motto „Hamburg zieht die Glocken“ hoch. Darauf konnten sich Michel-Unterstützende von Künstlern gegen eine Spende porträtieren lassen. Das Bild hängt heute in der Krypta.
Stiftung St. Michaelis weckt die Emotionen der Hamburger
Als Meilenstein bei den Rettungskampagnen für Hamburgs Wahrzeichen erwies sich im Jahr 2000 die Gründung der Stiftung St. Michaelis. Dahinter steckte die Idee, Menschen unabhängig von ihrer Kirchenmitgliedschaft für die Unterstützung zu mobilisieren, und das möglichst kontinuierlich. Dabei gelingt es der Stiftung mit ihrem Geschäftsführer Michael Kutz, einem gelernten Diakon, immer wieder, bei den Hamburgern Emotionen zu wecken und die Sinne anzusprechen.
Der Kirchenheizung, maroden Fenstern und Mauern sowie der Restaurierung der Orgeln galt das Engagement der professionellen Spendensammler Anfang der 2000er Jahre. Insgesamt kamen dafür fast 17 Millionen Euro zusammen. Den Mäzenen Günter und Lieselotte Powalla und ihrer Stiftung ist es zu verdanken, dass heute im Gotteshaus eine moderne Orgelanlage mit einzigartigem Fernwerk erklingt.
Ehepaar Powalla engagiert sich für die Orgeln in der Kirche
Am zentralen Spieltisch auf der Nordempore kann der Organist gleich drei Orgeln bedienen: die Große Orgel (86 Register, 6697 Pfeifen), die Konzertorgel und das verborgene Fernwerk. Wer in diesen mit weinroter Farbe gestrichenen Raum betreten will, muss eine Wendeltreppe hinaufsteigen. Links die Orgelpfeifen.
Rechts vom Eingang klafft ein vergittertes Schallloch im Fußboden. Darunter sind die Kirchenbänke zu sehen. Von der Orgel des Fernwerks geht der Schall durch den 20 Meter langen Raum, dringt durch die Öffnung und erreicht schließlich mit kleiner Verzögerung das Ohr der Zuhörenden. Das Fernwerk löst eine Klangverzögerung von einer sechstel Sekunde aus. Nur wenige Gotteshäuser in Europa verfügen über ein derart perfektes Fernwerksystem.
Michl, mein Michel, Du bist eben einzigartig.
Rettungsaktion für den Michel mit Salz aus der ganzen Welt
Mit der Aktion „Ihr seid das Salz der Erde“ (2018) wollte die Stiftung zeigen, was Reformation heute bedeutet – und neues Geld in die Kassen bringen. Michel-Freunde aus der ganzen Welt wurden aufgefordert, Salzpäckchen zu St. Michaelis zu schicken. Sie sollten im Salzmuseum Lüneburg gesiedet, in einem historischen Salzewer nach Hamburg geschifft und in 3000 Salzsäckchen verkauft werden. Darunter befand sich Salz aus der 15 Millionen Jahre alten Atacama-Wüste in Chile, dem Toten Meer in Israel und aus einem Salzwasserbecker in den Mangrovensümpfen von Neu-Kaledonien. Der Spendenerlös: immerhin 50.000 Euro.
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Was Corona mit der Spendenbereitschaft anrichtete
Zu einem schlimmen Rückschlag in der Spendenfreudigkeit führte allerdings die Corona-Pandemie. Die Hauptkirche verlor 85 Prozent ihrer Einnahmen. Mit der symbolischen Aktion „Einen Rettungsring für den Michel“ ging die Stiftung in die Offensive und konnte 800.000 Euro einnehmen. Marion Fedder versteigerte den Dienstwagen ihres verstorbenen Mannes Jan als Kommissar in der TV-Serie „Großstadtrevier“ zu Gunsten des Michel für 65.000 Euro.
Die Erinnerungstafel für den beliebten Schauspieler liegt auf dem Michelvorplatz, direkt neben der Tafel für Helmut Schmidt. „Hamburg war Dein Revier, und der Michel war Dein Anker“ steht neben dem Konterfei des Ehrenkommissars der Hamburger Polizei ganz oben auf der Tafel.
Der Michel als Wahrzeichen und Anker – das wird auch in Zukunft viele Menschen ermuntern, etwas für den Erhalt der Hauptkirche zu tun. Als nächstes ist jetzt die Sanierung des Turm- und Dachgesims dran. Baukosten: eine Million Euro.