Hamburg. Wie geht‘s weiter mit dem Bundesjugendballett? Neumeier: „Als ob man den Kindern sagt, sie sollen jetzt zur Tante gehen.“ Was bedeutet das?
Die diesjährige Nijinsky-Gala zum Abschluss der 49. Hamburger Ballett-Tage war glanzvoll wie immer. Eine Feier des Tanzes – emotional besonders aufgeladen, weil John Neumeier sie ein letztes Mal als Intendant des Hamburg Balletts moderierte. Bei einem Satz konnte man eine Stecknadel im ausverkauften Saal fallen hören.
Neumeier sprach über das Bundesjugendballett, dessen Intendant er bleiben wird. Der neue Intendant des Hamburg Balletts – Demis Volpi – habe allerdings beschlossen, dass dem Bundesjugendballett im Ballettzentrum künftig keine Säle mehr für Proben zur Verfügung stehen. Er benötige sie für die Compagnie. „Das bricht mein Herz“, so Neumeier.
Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier über sein Erbe: „Das bricht mein Herz“
Ein kleiner Eklat. Noch am selben Abend erging eine Pressemitteilung: Das Bundesjugendballett habe eine Heimat im Ernst Deutsch Theater – seinem langjährigen Aufführungsort – gefunden.
Die Hamburgische Staatsoper GmbH würde innerhalb der Staatsoper neue und größere Räumlichkeiten für das gesamte Team des Bundesjugendballetts zur Verfügung stellen. Die Räume im Ballettzentrum stünden – wie auch in der Staatsoper – „nach terminlicher Abstimmung“ weiterhin für Training und Proben zur Verfügung.
Bundesjugendballett: Wie realistisch ist denn die Möglichkeit, weiterhin im Ballettzentrum zu proben?
Die neue Intendanz betont, dass die neugeschlossene Kooperation zwischen der Hamburgischen Staatsoper und dem Ernst Deutsch Theater nun „eine noch stärkere Autonomie, die Freiheiten in künstlerischen und organisatorischen Bereichen umfasst“, ermögliche. Das Ernst Deutsch Theater übernimmt in Zukunft sämtliche Verwaltungsangelegenheiten, unterstützt bei Dekorationen und Kostümen.
Dahinter steht – mit Unterstützung der Kulturbehörde – wohl eine deutliche auch räumliche Trennung von alter und neuer Intendanz des Hamburg Balletts. Aber wie realistisch ist denn die Möglichkeit, weiterhin im Ballettzentrum zu proben? Und wie wirken sich die Veränderungen auf die Zukunft des Bundesjugendballetts aus?
2011 hatte John Neumeier die junge Compagnie gegründet, deren acht fertig ausgebildete Tänzerinnen und Tänzer im Alter zwischen 18 und 23 Jahren zwei Jahre lang mit dem Team um den künstlerischen und pädagogischen Direktor Kevin Haigen ihre Kreativität entwickeln können. Zur Besonderheit gehören Auftritte an Orten, an denen Tanz üblicherweise nicht stattfindet: in Schulen, Seniorenheimen oder Gefängnissen. Der soziale Aspekt ist wichtig.
Ernst Deutsch Theater: „John Neumeiers ganzes künstlerisches Team ist bei uns unter Vertrag“
Bei der Trägerschaft durch das Ernst Deutsch Theater gehe es darum, dass John Neumeier als Intendant des Bundesjugendballetts weiterhin alle künstlerischen Entscheidungen in seiner Hand habe, erläutert Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters auf Nachfrage des Abendblatts. „Das heißt, er ist bei uns Intendant und Geschäftsführer für das Bundesjugendballett, und sein ganzes künstlerisches Team ist bei uns unter Vertrag.“ Das technische Personal, die Veranstaltungstechnik, die Gewandmeisterin seien weiterhin bei der Staatsoper vertraglich aufgehoben.
Der neue Ballett-Intendant Demis Volpi nehme am Ballettzentrum bauliche Veränderungen vor. Es werde deutlich mehr Platz für das Hamburg Ballett und mehrere parallel probende Choreografen benötigt, so Vértes-Schütter. Deshalb gebe es nun Räume im Mantelgebäude an der Staatsoper, etwa Büroräume, die für das Bundesjugendballett hergerichtet würden. Für die Proben stehe künftig der Ballettsaal in der Staatsoper zur Verfügung.
Aus seiner Sicht betreffen die Veränderungen zwei separate Dinge, erklärt John Neumeier gegenüber dem Hamburger Abendblatt. Zum einen wollte er Intendant des Bundesjugendballetts bleiben. Diese Funktion so weiter auszuüben sei nur am Ernst Deutsch Theater möglich gewesen. Hinzu komme das Thema der Probenmöglichkeiten. Die Ansicht des neuen Ballettdirektors Demis Volpi, dass es nunmehr zu wenig Platz in den Räumlichkeiten des Ballettzentrums für die Tänzerinnen und Tänzer des Bundesjugendballetts gebe, teilt John Neumeier nicht. „Das bedeutet, dass sie keine wirkliche Heimat haben. Das ist, als ob man den Kindern sagt, sie sollen jetzt zur Tante gehen, und wenn der Besuch wieder weg ist, können sie nach Hause kommen. Das finde ich nicht richtig“, erklärt John Neumeier. „Ich finde, diese Gruppe gehört zum Ökosystem dieses Ortes. Darum heißt es auch Ballettzentrum, weil es das Zentrum für Ballett in Hamburg ist.“ Der Umzug des künstlerischen Teams in die Staatsoper sei dagegen völlig in Ordnung, so Neumeier.
John Neumeier: Die Uraufführung eines Oscar-Wilde-Projekts ist für den Sommer 2025 geplant
In der Vergangenheit waren die Tänzerinnen und Tänzer des Bundesjugendballetts mit den Schülerinnen und Schüler der Ballettschule und dem Ensemble des Hamburg Balletts im Austausch. „Das ist jetzt so natürlich nicht mehr gegeben. Ich glaube aber, das wird sich im Verlauf der Arbeit auch noch einmal konkretisieren“, meint Vértes-Schütter. Am Ernst Deutsch Theater werden weiterhin die Aufführungen des Formats „Im Aufschwung“ zu sehen sein. Außerdem ist seit Langem die Uraufführung eines Oscar-Wilde-Projekts für den Sommer 2025, kreiert von John Neumeier, geplant.
Die Bundesförderung des Bundesjugendballetts in Höhe von 700.000 Euro wird künftig an das Ernst Deutsch Theater als neuen Träger gehen, eine zusätzliche Fördersumme der Freien und Hansestadt Hamburg in Höhe von 472.500 Euro wird künftig zwischen dem Ernst Deutsch Theater und der Staatsoper aufgeteilt.
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Aus der Kulturbehörde heißt es zu dem Thema, die organisatorische Anbindung an das Ernst Deutsch Theater ermögliche die Selbstständigkeit des Bundesjugendballetts. „Zudem ist uns wichtig, optimale Arbeits- und Probenbedingungen zu gewährleisten. Dafür reichen die Räumlichkeiten im Ballettzentrum nicht aus. Wir sind daher froh, dass neben dem Ausbau der bereits bestehenden Kooperation des Bundesjugendballettes mit dem Ernst Deutsch Theater auch die Staatsoper für das Bundesjugendballett zusätzliche sehr gute Räume unmittelbar an der Oper anmieten konnte.“
Isabella Vértes-Schütter hofft bei der Diskussion um die Räumlichkeiten, dass am Ende mehr im Ballettzentrum möglich sein wird, als es auf den ersten Blick scheint. Die Tänzerinnen und Tänzer werden sowohl in der Staatsoper als auch im Ballettzentrum weiterhin Garderoben haben. „Ich glaube, es gibt eine große Bereitschaft, alles möglich zu machen, dass es für das Bundesjugendballett eine gute Perspektive gibt.“