Salzburg. Bei den Salzburger Festspielen sucht der Schauspieler nach Wahrhaftigkeit. Und hat erkannt: „Ich konnte entweder mitmachen – oder gehen.“
Tiefenentspannt, allerdings etwas heiser, barfuß. Philipp Hochmair macht gerade nicht den Eindruck, als hätte ihn die Erfüllung eines Schauspieler-Traums komplett aus der Bahn geworfen, weil er nun ja wahr geworden ist. Wenige Tage nach seiner Premiere als neuer „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen hat Hochmair über diese Rolle, an der er sich seit mehr als einem Jahrzehnt – vor allem während seiner Zeit am Hamburger Thalia Theater – immer wieder gerieben und mit der er sich kreativ angelegt hat, eine Menge zu erzählen, bevor er in drei Stunden schon wieder für die nächste „Jedermann“-Runde abgeholt wird.
Die Premiere ist geschafft. War es denn jetzt so TOLL, wie Sie sich das erhofft haben? Oder kochen die am Domplatz auch nur mit Wasser?
Das kann ich nicht sagen. „Die am Domplatz“ gibt es ja gar nicht. Es ist immer ein Einzelfall. Regisseur Robert Carsen war eine sehr spezielle Wahl für mich, weil er ein ganz anderes Theater macht, als ich es gewohnt bin. Ich bin ja sehr Stemann-geprägt, der auch das Thalia Theater sehr geprägt hat. Aber: eine tolle Erfahrung, ich bin sehr glücklich mit dem Resultat.
„So war es natürlich viel besser. Genau richtig“
Ihr Anlauf ging über gut anderthalb Jahrzehnte, und dann steht man dann tatsächlich da, im Dunkel hinter der Bühne und das Adrenalin kommt einem aus den Ohren…
… So war es gar nicht. Das war ein sehr ruhig und mit viel Raison vorbereiteter Vorgang. Wir haben ja bis ins kleinste Detail, sehr genau geprobt. Und die einzige wirklich nicht zu kalkulierende Kraft ist das Wetter. Es war spannend, und viele haben ja gefragt, warum ich nicht sofort nach dem Einspringen 2018 für Tobias Moretti genommen wurde. Das war eine große Frage. Aber so war es natürlich viel besser. Genau richtig.
Michael Maertens, 2023 und nur für einen Sommer der letzte „Jedermann“, hat mir gesagt, er habe bei der Anfrage 27 Sekunden Bedenkzeit gebraucht. Das können Sie noch unterbieten?
Beim Einspringen damals war es nur ein Atemzug. Das war aber auch eine Notsituation. Jetzt war es natürlich auch wieder ganz anders. Weil das Vor-Team gehen musste und ich überhaupt nicht verstanden habe, dass die mich fragen. Ich war in einem völlig anderen Zustand, gerade in der Filmvorbereitung, in einer Fastenkur. Und da kam eine kryptische SMS. Da musste ich erst mal schlucken und das interpretieren lassen, weil ich nicht wusste, was das sein soll. Und dann hieß es, das kann nur darum gehen.
- Salzburger Festspiele: Philipp Hochmair soll der neue „Jedermann“ sein
- Schauspiel-Star: Salzburgs neuer „Jedermann“ Michael Maertens kommt aus Hamburg
- Ein „Jedermann“ mit Geburtstags-Ständchen
- Philipp Hochmair: „Es war hart, neu zu starten“
Es gibt jetzt nicht eine, nicht zwei, nicht drei, es gibt fünf Dokus über Sie und das Thema Jedermann. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, trotzdem nicht ins Regiekonzept einzugreifen, nach dem Motto: Ich weiß es sowieso am besten?
Erstens weiß ich es überhaupt nicht am besten. Und zweitens ist Robert Carsen ein so genauer Denker, ein so präziser, welterfahrener Opernregisseur. Er lässt überhaupt nicht zu, dass man ihm in die Parade fährt. Die offene Arbeitsform, die ich von Stemann und anderen postdramatischen Regisseuren kenne, ist völlig anders. Dieser offene Arbeitsprozess, den ich gewohnt war, der war überhaupt nicht gewünscht. Ich habe sehr schnell erkannt, dass ich entweder mitmachen kann – oder gehen kann.
Sie haben alle Rollen drauf, den ganzen „Jedermann“, vorne, hinten, rückwärts. Wie schwer ist es dann, sich zu bremsen, sich einzufügen und sich unterzuordnen?
Das war die erste Phase. Aber es gibt in so einer Probenzeit viele Phasen. In den ersten zwei, drei Wochen war genau das das Thema. Irgendwann ist man in dem ganz neuen Sein. Dann gibt es das alte nicht mehr, das ist ausradiert.
„Es ist etwas völlig anderes entstanden“
Hilft es, katholisch zu sein, um dieses Stück und dessen Faszination zu verstehen?
Ich war mal katholisch, darum kann ich die Zeichen lesen. Aber ich bin es jetzt nicht mehr und kann das mit einem kreativen Gleichmut annehmen. Ich kann es nachvollziehen und finde es toll. Aber ich glaube nicht, dass es sich auf den katholischen Glauben bezieht. Es ist einfach ein genereller, menschlicher Zugang, der da hergestellt wird. Der verloren gegangen ist. Dass es katholisch konnotiert ist, liegt an Salzburg, dem Autor, an den Umständen, die wir kennen. Aber es ist nicht rein katholisch, was da gefordert wird.
Diese neue „Jedermann“-Inszenierung ist auch sehr musikalisch ausgerichtet. Gab es Überlegungen, Ihre Jedermann-Band „Die Elektrohand Gottes“ mit ins Konzept hineinzunehmen?
Ich hätte das natürlich sehr gerne so gemacht, oder das Potenzial, das ich mir erkämpft habe, genutzt. Aber das war überhaupt nicht im Sinne der Regie. Was ja auch gut ist. Es ist etwas völlig anderes entstanden. Jetzt habe ich auf der Suche nach der Wahrhaftigkeit des Stücks wieder ein neues Kapitel aufgeschlagen, ein völlig anderes.
„Werther, Jedermann und Mephisto sind die drei wichtigsten Rollen in meinem Leben“
Hofmannsthals „Jedermann“ ist von 1911, jetzt haben wir 2024. Was soll mir jetzt, groß und sehr generell gefragt, dieser Jedermann noch sagen?
Unsere Welt ist in einer besonderen Schieflage. Das Stück gibt den Anlass, darüber nachzudenken, wie endlich man ist und wie sinnvoll man seine Zeit nutzen könnte. Ein sogenanntes Moralstück, das im Mittelalter von der Kirche in Auftrag gegeben wurde, wurde sozusagen nachgedichtet und weist auch noch mal auf die Ewigkeit dieses Themas hin. Das ist schon sehr sinnvoll. Wenn Putin oder Trump das sehen würden...
… würden sie trotzdem so weitermachen…
… ist richtig, aber es wäre schön, wenn sie sich im Herzen noch rühren lassen würden.
Ihr Vorgänger, Lars Eidinger, hat den Hamlet als signature role in den Lebenslauf tätowiert. Bei Ihnen ist es der Jedermann. Nervt das nicht auch?
Meine ursprüngliche signature role war der Werther, den habe ich auch in Hamburg am Thalia lange, lange gespielt. Der Jedermann hat das ein bisschen abgelöst. Aus dem Werther-Alter bin ich raus, Jedermann ist wahrscheinlich eine natürliche Fortführung. Werther, Jedermann und Mephisto sind die drei wichtigsten Rollen in meinem Leben. Und die geben natürlich auch die Matrix für „Wannseekonferenz“ oder für Joachim Schnitzler in den „Vorstadtweibern“. Diese Lebemänner-Schurken, diesen Lebenshunger, der da verkörpert wird, den konnte ich anhand dieser drei großen Rollen ganz gut für mich definieren.
Wie ging es mit Ihnen und dem Jedermann los?
Als Schauspielschüler habe ich ihn gesehen und war wirklich enttäuscht davon. Ich konnte überhaupt nicht fassen, dass das jetzt dieses große Event sein soll. Ich war von Form und Inhalt schwer irritiert. Der Hype im Vergleich zu dem, was ich da gesehen habe, hat sich überhaupt nicht vertragen. Das hat so eine Verstörung bei mir hinterlassen, dass das dann eben die Lust ausgelöst hat, das…
… besser zu machen…
… ja, oder überhaupt zu erfassen, was das ist. Einfach zu begreifen, was das sein soll. Und aus dieser Sehnsucht speist sich der Spielhunger, das immer noch zu machen. Verrückt.
„Das ist ganz normales Sommertheater“
Welcher war Ihr erster Salzburger Live-Jedermann?
Ulrich Tukur.
Und wie war der Eindruck? Das kann ich auch?
Das kann ich auch, das habe ich nicht gedacht, da war ich ja noch Schauspielschüler, aber ich war von der Form so irritiert. Ich habe dieses Rätsel nicht lesen können und war von der Veranstaltung verstört.
„Das Geld für die Rolle, darüber würde mancher Film- und Fernsehschauspieler nur lachen“, meinte Ihr „Jedermann“-Vorgänger Michael Maertens, als ich letztes Jahr mit ihm darüber sprach. Haben Sie jetzt auch gelacht, war es Ihnen egal – oder hätten Sie noch etwas draufbezahlt?
(lacht) Beim Einspringen damals war das Geld wirklich zum Lachen, für das, was da passiert ist. Den finanziellen Schaden, den ich dem Festival erspart habe, hätten die mir schon ein bisschen mehr anerkennen können. Aber ich muss natürlich sagen: Das ist ganz normales Sommertheater, das ist eine normale Theatergage. Und nur weil das ein Prasser auf der Bühne ist, ist es noch lange nicht so, dass er das Geld auch wirklich zur Verfügung gestellt bekommt.
Sie haben einen Zwei-Jahres-Vertrag mit Option für ein drittes Jahr. Muss man Sie mit den Füßen zuerst vom Domplatz entfernen, weil Sie nie wieder aus diesem Engagement herauswollen? Oder lieber doch nicht einbetoniert werden in das Klischee Hochmair = Jedermann?
Also, ich will es jetzt schon ein bisschen spielen. Die Vorstellung, dass das schon bald vorbei wäre, wäre natürlich traurig. Ich habe jetzt richtig Lust, das auszuloten und mit Leben zu füllen. Ob das so lang werden wird wie bei Brandauer oder bei Simonischek, das wird sich weisen.
Im Oktober mit „Jedermann (reloaded)“ zurück am Thalia
Im Oktober kommen Sie mit „Jedermann (reloaded)“ für zwei Abende zurück ins Thalia. Wird das eine andere Solonummer werden als vorher, weil Sie durch das Gesamtkunstwerk Salzburg anders geläutert sind?
Es ist eher so, dass es im Verabschiedungszeremoniell für Joachim Lux ein wichtiger Baustein unserer Zusammenarbeit ist. Er hat mich stark geprägt, war damals Chefdramaturg am Burgtheater, hat mich als einzigen Schauspieler von dort mitgenommen und mich sozusagen in meine Wahlheimat zurückgebracht.
Ein grundsätzlicher O-Ton von Ihnen: „Die Bühne ist eine Parallelexistenz, die mir überhaupt ermöglicht, glücklich zu sein.“ Klingt schon sehr tragisch. Das sollte doch auch jenseits der Bühne möglich sein.
Ja, aber Künstler lernen ja oft, dass sie erst über ihr Werk in Sphären kommen, wo sie Glück erfahren. Seit dem Eintritt in die Schauspielschule habe ich genau dieses Gefühl bekommen. Die Begegnung mit Brandauer war wirklich sehr essentiell. Wenn sich die Realität so neu einfärbt, dass man diesen Ballast aus dem Alltag einfach vergisst. So ist das gemeint.
Kam Ihre Jedermann-Begeisterung auch durch Brandauer, der diese Rolle ab 1983 sieben Sommer lang gespielt hatte?
Eine Anekdote dazu: Ich war als Schauspielschüler in Kanada, da war ich in einer Buchhandlung sah Österreich-Reiseführer, mit Brandauer als Jedermann auf einer Doppelseite, toller Schauspieler und so weiter. Und dieses Bild – Brandauer als Jedermann, ich in Kanada, natürlich war das auch eine harte Zeit, diese Lehre bei ihm und ich wollte den natürlich mal vergessen, für einen Moment… Und auf einmal sehe ich ihn da, in diesem Reiseführer, ganz prominent und vor Kraft strotzend. Dieses Bild hat mich dann doch geprägt und ich hab‘ es so wahrgenommen, dass das der Ritterschlag ist. Bösewicht bei James Bond hin oder her – aber am Salzburger Domplatz Jedermann sein, ist dann doch das Ass.
„Jedermann (reloaded)“ mit Philipp Hochmair und „Die Elektrohand Gottes“. 12. / 13. Oktober, jeweils 19 Uhr, Thalia Theater. Film: Am 13. und 20. Oktober, jeweils 11 Uhr, zeigt das Zeise Kino die Doku „Jedermann und ich“; am 13. ist Hochmair im Kino anwesend. Die Reise wurde unterstützt von den Salzburger Festspielen.