Hamburg. Für einen Abend kehrt der Künstler ans Thalia Theater zurück. Der „Jedermann“ hat ihm Glück gebracht.

Philipp Hochmair ist immer noch sehr aufgedreht, wenn er von seinem Sommer erzählt. Das liegt am „Jedermann“, jenem Theaterstück nach Hugo von Hofmannsthal, das den Theater- und Filmschauspieler nun seit einigen Jahren begleitet. 2013 glänzte Hochmair am Thalia Theater in der schillernd-poppigen „Jedermann“-Inszenierung von Bastian Kraft. Die ist längst abgespielt. Doch die Geschichte fing damit erst an.

In diesem Sommer nämlich fügte es sich, dass die berühmte traditionelle Jedermann-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen ein Problem hatte. Hauptdarsteller Tobias Moretti lag mit Lungenentzündung darnieder. Philipp Hochmair nahm mit seiner Band Die Elektrohand Gottes gerade in Dresden die Plattenversion seiner „Jedermann Reloaded“-Version des 100 Jahre alten Mysterienspiels auf und saß in Badehose beim Imbiss, als er einen Anruf erhielt. Ob er als „Jedermann“ in Salzburg einspringen könne, wurde er gefragt. Am nächsten Abend schon. Ja, sagte er, könne er. „Ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht. Ich dachte, das muss gehen. Man hat mir ein Zepter angeboten und einen Thron gezeigt und gesagt, versuch mal raufzusteigen auf diesen Thron, und das hat irgendwie geklappt“, sagt Hochmair.

Um ein Uhr nachts kommt er in Salzburg an, bis drei Uhr arbeitet man an der Fassung, die sich an seinem Text orientieren muss. Er ist es gewohnt, alle Rollen allein zu sprechen, muss nun wissen, wo er anhalten soll. Hochmair verbringt eine schlaflose Nacht in einem Kloster, in dem alle 15 Minuten eine Glocke läutet. Am Morgen trifft er die Schauspielkollegen. Am Abend geht er als Jedermann auf den Domplatz. Das Wagnis gelingt. Hochmair wird mit Standing Ovations gefeiert. Auf seinem Handy stapeln sich Hunderte Nachrichten mit Glückwünschen. Er gibt ein Interview nach dem anderen, eines davon live in den Hauptnachrichten. Seitdem gilt er in Österreich als neuer Nationalheld. Als Retter. „Das Absurde ist, dass ich wahrscheinlich genauso am besten funktioniere. Drei Monate proben, herumsitzen, reden ... das wäre nichts mehr für mich“, erzählt Hochmair.

Kritiker loben die Bühnenenergie

Sein Glück war, dass er natürlich den Text nicht über Nacht lernen musste. Er kennt ihn in- und auswendig. Seit fünf Jahren, seit dem offiziellen Ende der Thalia-Inszenierung tourt er mit seinem eigenen „Jedermann-Reloaded“-Stück durch die Lande. „Ich wollte es einfach nicht hergeben, mir nicht nehmen lassen“, sagt Hochmair. Ähnlich wie mit Goethes „Werther“ oder Kafkas „Amerika“ hat er sich selbst eine Reisevariante gebaut. Diesmal als Sprech-Konzert. Mit seiner Band aus den Dresdner Musikern Tobias Herzz Hallbauer, Jörg Schittkowski und Alwin Weber tritt er anfangs auf Grillfesten in Garagen auf. Anders als bei „Werther“ muss er das neue Prinzip der Jam-Session immer wieder erklären. Kritiker loben die Bühnenenergie, monieren aber eine fehlende Regie. Doch bald greifen auch Stadttheater und Festivals zu. Der Abend läuft erfolgreich in Hannover, in Wolfsburg, landet am Berliner Ensemble und schließlich am Wiener Burgtheater.

„Meine aktuelle Vision von Theater ist, dass jeder seinen Text lernt, es gibt eine Band, eine Truppe, die eine Atmosphäre schafft, aus der heraus dann alles mehr oder weniger spontan entsteht“, so Hochmair. „Ich frage immer wieder spontan Kollegen, ob sie mitmachen wollen. Das ist eine gute Irritation für alle Beteiligten. Das Work-in-Progress-Prinzip bleibt somit erhalten.“ Nach dem Salzburg-Hype waren mehrere Vorstellungen im Stephansdom und in der Burg nach fünf Minuten ausverkauft.

Süchtig nach dem „Happening-Charakter“

Am heutigen Nikolaustag bringt Hochmair nun seinen „Jedermann“ in seiner konzertanten Version ans Thalia Theaterzurück. Am selben Abend feiert er das Erscheinen des im Sommer eingespielten Tonträgers. „Es ist als würde nach fünf Jahren Tour-Erfahrung jetzt die Premiere stattfinden“, sagt er. „Die Zuschauer hatten bisher das Glück, einer Probe beizuwohnen, einen jungen Wein zu probieren. Jetzt ist er gereift.“ Der Schauspieler ist weiterhin süchtig nach dem „Happening-Charakter“, danach, wie in Salzburg aus einer Notlösung einen Geniestreich zu kreieren. „Heute ist da vielleicht nicht mehr so ein Kampf um die Frage, ob wir überhaupt existieren dürfen“, freut er sich. Es scheint, als wäre Philipp Hochmair in seiner bevorzugten Theater-Form angekommen.

„Jedermann Reloaded“ mit Philipp Hochmair und der Elektrohand Gottes, Do 6.12., 20.00, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44, www.thalia-theater.de, anschließend Plattenrelease, www.hoanzl.at; https://jedermann-reloaded.de