Hamburg. Sogar eine ehemalige Königin ist Neumeier-Ultra. So wie zwei Hamburgerinnen, deren Lebenswege der Chef des Hamburg Balletts geprägt hat.
Fans von John Neumeier sind eine ganz besondere Spezies. Mit ihrem Idol oft seit Jahrzehnten verbunden, bereit, auch lange Reisen und sonstige Strapazen in Kauf zu nehmen, um ihn und sein Hamburg Ballett so häufig wie möglich live zu erleben. Nicht nur aus ganz Deutschland kommen sie nach Hamburg, sondern regelmäßig auch aus Japan und den USA – und aus Kopenhagen, wie im Jahr 2000 die damalige dänische Königin Margarethe, die privat nach Hamburg reiste, um sich in der Staatsoper Neumeiers „Messias“-Choreografie anzusehen und dann auch noch die Nijinsky-Gala als Abschluss der Balletttage zu genießen.
Nicht alle Neumeier-Ultras sind so prominent, aber alle spüren eine tiefe Verbindung. Auch die Hamburgerin Imke Schwarz, die augenzwinkernd darauf verweist, dass bei ihr wohl höhere Mächte im Spiel sind: Geboren wurde sie im September 1973 – genau in dem Monat und genau in dem Jahr, in dem John Neumeier die Leitung des Hamburg Balletts übernahm. Und ihre Mutter erblickte 1939 das Licht der Welt, dem Geburtsjahr von John Neumeier. „Das kann kein Zufall sein, oder?“, lacht Imke Schwarz. Ob die heute 50-Jährige deshalb seit Kindertagen so ballettbegeistert ist? Völlig ausschließen will sie das jedenfalls nicht.
„Ein toller Typ“: Fans von John Neumeier nehmen Abschied
Schon mit sechs Jahren begann sie, Ballett zu tanzen, in ihrer Heimatstadt Lübeck bei der dortigen Tanzlegende Heino Heiden (1923–2013). Die Kinder-Compagnie war ausgesprochen erfolgreich, ging sogar auf Tour und wurde mit dem Hanse Kulturpreis ausgezeichnet. Imke Schwarz tanzte in Hamburg unter anderem im CCH und im Ernst Deutsch Theater. Und natürlich gab es auch immer wieder Ausflüge mit der Mutter in die Hamburgische Staatsoper, zu John Neumeier und seinem Hamburg Ballett. Ein Samen wurde da bei unvergesslichen Aufführungen wie der des „Nussknacker“ gelegt.
Und als Imke Schwarz dann 1993 zum Studium nach Hamburg zog, war sie noch näher dran. „Von da an war ich eigentlich ständig im Ballett“, erinnert sie sich. Auch bei jeder Nijinsky-Gala als Abschluss der jährlichen Balletttage. Dass sie für Karten in den frühen Morgenstunden bisweilen stundenlang anstehen musste: kein Problem. „Als mein Sohn geboren wurde und ich in Elternzeit war, bin ich eben mit dem Kinderwagen zur Staatsopern-Kasse gefahren und habe in der Schlange gewartet.“
Für Karten anstehen musste Karin Martin nie, aber die Begeisterung für John Neumeier und das Hamburg Ballett teilt sie mit Imke Schwarz. Die erfolgreiche Managerin, zehn Jahre Finanz- und Personalvorstand beim Logistik-Riesen Jungheinrich, danach fünf Jahre im Aufsichtsrat, erinnert sich noch genau an den Moment, der alles veränderte. Es war bei einer Kundenveranstaltung der Deutschen Bank, die 1989 in das gerade eröffnete Ballettzentrum nach Hamburg-Hamm geladen hatte. Noch heute kommt sie ins Schwärmen über das, was sie dort erlebte. Von der Ernsthaftigkeit und Disziplin der dort tanzenden Kinder sei sie „völlig fasziniert“ gewesen. Auch John Neumeier, der die Gäste begrüßte und herumführte, habe sie sofort in seinen Bann gezogen: „Ein toller Typ, ich war total begeistert.“ Noch im Ballettzentrum füllte sie „auf der Fensterbank“ den Aufnahmeantrag für die Freunde des Hamburg Balletts aus. Der Startpunkt für etwas, das einen großen Teil ihres Lebens fortan bestimmen sollte.
Zum Ballettfan wurde Karin Martin erst durch John Neumeier
Schon bei Jungheinrich war sie auch für kulturelles Sponsoring verantwortlich und wurde noch während ihrer Tätigkeit dort als Vorstandsmitglied in den Vorstand der Ballettfreunde berufen, deren Vorsitz sie 2007 übernahm. 17 Jahre ist sie inzwischen ehrenamtlich in dieser Funktion tätig, arbeitet bis zu 20 Stunden pro Woche für den Verein und hat gemeinsam mit ihren dortigen Vorstandskolleginnen Millionen Euro Spenden eingesammelt, die in die Ballettschule zur Unterstützung der jungen und talentierten Tänzerinnen und Tänzer fließen.
Dadurch haben diese die Möglichkeit, sich auf ihre tänzerische Entfaltung zu konzentrieren. Nur mithilfe des Vereins können sich viele diese hochkarätige Ausbildung überhaupt leisten. Auch stellt der Verein physiotherapeutische Behandlungen und eine professionelle Ernährungsberatung für den Ballettnachwuchs zur Verfügung, so wie er auch die Teilnahme an internationalen Wettbewerben unterstützt. Dies alles ermöglichen die mehr als 400 Freundeskreis-Mitglieder durch ihre Beiträge, Stiftungen, Erbschaften sowie die alle zwei Jahre stattfindende Benefiz-Ballettgala.
Ins Ballett ist Karin Martin schon vor ihrer ersten Neumeier-Begegnung gegangen („Auch wenn ich eher von der Oper komme ...“), aber zu einem echten Ballettfan wurde sie erst durch den Mann, über den sie fast schwärmerisch sagt: „Ich schätze seinen enormen Tiefgang, seine Religiosität, die Ernsthaftigkeit, mit der er sich mit jedem Detail der Choreografien auseinandersetzt.“ Hätte sie sich auch ohne ihn so sehr für das Hamburg Ballett engagiert? „Ich glaube nicht.“ Natürlich sei das alles viel Arbeit, aber: „Es hat mir immer sehr viel Freude gemacht.“
Endspiel der Fußball-WM? Imke Schwarz geht lieber ins Ballett
Glücksmomente erlebt auch Imke Schwarz immer wieder. Etwa, wenn sie in ihrer geliebten Nijinsky-Gala sitzt. Natürlich auch 2014, als parallel Deutschland im Finale der Fußball-WM gegen Argentinien spielte. Mehr als 34 Millionen Deutsche fieberten an diesem Abend vor dem Fernseher mit. Sie nicht. Natürlich nicht. Und wenn sie dann hinterher noch ein Foto mit den ihr über die Jahre ans Herz gewachsenen Tänzerinnen und Tänzern oder sogar mit John Neumeier machen kann, ist für sie der Tag perfekt.
„Unerschöpflich“ sei Neumeiers Kreativität, die meisten seiner Choreografien hat sie mehrfach gesehen, auch, weil sie beim ersten Mal oft vom Gesamteindruck so überwältigt sei, dass es mehrere Aufführungen brauche, um alle Facetten zu erschließen. In puncto Unterstützung belässt sie es nicht beim Kartenkauf: Als John Neumeier Bilder von Nijinsky erwerben wollte, spendete sie. Ebenso, als Geld für Schwanenkostüme gesammelt wurde. Dass sie dafür nach der Kostümprobe zum Gruppenfoto auf die Bühne durfte: ein unvergesslicher Moment.
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John Neumeier: Bis zum tatsächlichen Abschied sind es nur noch wenige Tage
Nun aber stehen die Zeichen auf Abschied. Diese Saison ist John Neumeiers letzte als Chef des Hamburg Balletts, Nachfolger Demis Volpi steht schon in den Startlöchern. Eine Zäsur, nicht nur für die Compagnie, sondern auch für Fans wie Imke Schwarz und Karin Martin. „Da ist schon ein wehmütiges Gefühl“, sagt Martin. „Es geht ja eine lange gemeinsame und erfolgreiche Zeit zu Ende. Und gleichzeitig freue ich mich auf Demis Volpi, dem ich versprochen habe, weiterzumachen.“ Auch für Imke Schwarz endet ein wichtiger Lebensabschnitt. Aber, so sagt sie, sie freue sich über die Wahl des Neumeier-Nachfolgers, der Neues wagen wolle und zugleich Altbewährtes fortführt. „Ich finde die Mischung super, und ich glaube, dass es ganz vielen Hamburger Ballettfans so geht. Ein radikaler Schnitt wäre falsch gewesen.“
Bis zum tatsächlichen Neumeier-Abschied, der Nijinsky-Gala am 14. Juli, sind es jetzt nur noch wenige Tage. Gewiss werden an diesem geschichtsträchtigen Abend Tränen fließen. Auf der Bühne und im Publikum. Auch Imke Schwarz und Karin Martin dürften dann Taschentücher griffbereit haben.