Hamburg. Der US-Retro-Rockstar feierte in der Sporthalle einen Tourauftakt mit kleinen Schwächen, aber einem grandiosen Finale.
- Tourauftakt in der Hamburger Sporthalle.
- Lenny Kravitz spielt Bass, der Herzen erschüttert.
- Großes Finale sorgt für kollektive Schnappatmung.
Als Lenny Kravitz im Mai im Londoner Wembley Stadium beim Champions-League-Finale zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid auftrat, dachten nicht wenige wahrscheinlich, dass da ein historisches Video von 1993 eingespielt wurde, dem Jahr, als der US-Retro-Rockstar mit dem dritten Album „Are You Gonna Go My Way“ endgültig durchstartete. So sieht doch kein 60-Jähriger aus: Waschbrettbauch, wallende Dreadlocks, Klamotten so eng als wären sie direkt aufgesprüht. Doch der genaue Blick am Sonntag in der ausverkauften Hamburger Sporthalle zeigt: Der Lenny ist seit seinem ersten Hamburger Konzert 1989 im Café Schöne Aussichten (!) wirklich kein Stück gealtert.
Das gilt auch für die Musik: Der Auftaktsong „Are You Gonna Go My Way“ wie auch das neue Album „Blue Electric Light“ klingen wie Anfang der 90er, sprich wie Anfang der 70er. Vor 35 Jahren begann der New Yorker als einer der ersten Jungspunde, mitten in der ausklingenden Glam-Metal- und beginnenden Grunge-Ära, den Sound und die Outfits der späten 60er und frühen 70er zu reaktivieren: Funk, Soul und Rock, Motown, Led Zeppelin und Sly & The Family Stone vermengte Kravitz derart gelungen, dass es weder gestrig, noch modern klang, sondern so zeitlos wie seine Botschaft, die 1989 im Titel das erste Album wie auch 2024 spirituell das zwölfte Album prägt: „Let Love Rule“.
Lenny Kravitz in Hamburg: Musiker spielt zum neuen Lied „TK241“ Bass, der Herzen erschüttert
Fünf Jahre waren Kravitz und seine Truppe nicht mehr auf Tour, und neun Jahre liegt seine letzte Show in der Sporthalle zurück. Ein geplanter Gig im Juni 2020 in der Barclays Arena fiel pandemiebedingt aus. Jetzt beginnt hier in Hamburg sein Live-Comeback, und der Mann hat offensichtlich einiges zu beweisen. In den Tagen vor dem Auftritt postete Kravitz zahlreiche Workout-Videos auf Instagram, um zu zeigen, dass er voll im Saft steht. Bauchmuskeln, auf denen man Nüsse knacken kann. Auch kleine Scherze und Gesten waren zu sehen, so wurden am Tag vor dem Tourauftakt noch Gratistickets im Schaukasten an der Fußgängerbrücke zur Sporthalle versteckt. Nicht, dass er das nötig hätte, die Schwitzhütte in Winterhude ist seit Wochen ausverkauft, trotz des zeitgleich angesetzten EM-Duells zwischen Deutschland und der Schweiz.
Oldschool-Sound, Oldschool-Bühne. Am Anfang lenken keine Videoleinwände, Grafiken, Pyros oder Effekte ab, nur einige schöne Lichtstimmungen strahlen auf die Bühne. Alle Scheinwerfer gehen auf Lenny, seine neunköpfige Band mit lang gedienten Weggefährtinnen und -gefährten wie Gitarrist Craig Ross und Schlagzeugerin Jas Kayser, aber auch Neulingen wie dem koreanischen Bassisten Hoonch „The Wolf“ Choi steht im Halb- oder Vollschatten. Aber nach und nach wird der Strom für die Licht- und LED-Bildershow hochgedreht für das neue Lied „TK241“, das schon fleißig mitgeklatscht wird von den 6500 Fans. Lenny spielt dazu Bass, der Herzen erschüttert. Langsam hochkochen den Saal.
„Das ist unser erster Abend, wir sind noch am Ausprobieren“
„Es ist sehr lange her, wir sind hier und ihr seid hier, um im Licht zu leben und das Licht in dieser dunklen und doch wunderschönen Welt zu verbreiten. Ich liebe euch“, begrüßt Kravitz, ganz in Schwarz und schnell durchgeschwitzt, das Publikum. Schön weiter hochkochen mit den Seufzern „Believe“ und „I Belong To You“, etwas mehr Dampf mit „Beyond The 7th Sky“. Und bei „Stillness Of Heart“ singen dann alle mit. „Ich liebe euch so sehr“, ruft Kravitz und sinkt vor Dankbarkeit unter großem Jubel auf die Knie.
Aber da es der Tourauftakt ist, sitzt noch nicht alles da, wo es sein soll an diesem Abend. Zwischen den Liedern gibt es teilweise lange, ratlos wirkende Pausen auf der Bühne. Die Dramaturgie der Setlist erinnert in der ersten Stunde an Beschreibungen von „gutem“ Sex in der Modepresse. Immer schön langsam, easy steigern und bloß kein Popoklaps zum falschen Zeitpunkt. Der Klaps kommt allerdings mit „Fear“. Das psychedelische Funk-Rock-Stück vom Debütalbum ufert in einen viel zu langen, ziellosen und völlig übersteuerten Jam aus, der spürbar die Luft aus der Halle lässt. „Das ist unser erster Abend, wir sind noch am Ausprobieren“, sagt Kravitz entschuldigend.
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Lenny Kravitz: Das Finale sorgt für kollektive Schnappatmung
Also noch mal auf Los. Zum Glück haben Kravitz und Band noch genug Hits in der Hinterhand, um das Stimmungstief in der Konzertmitte mit Liebe und Freude zu füllen. „It Ain’t Over Till It’s Over“, „Always On The Run“, „American Woman” und „Fly Away” sowie die neue Single „Human” gewinnen die Herzen zurück und ernten verdienten Applaus. Auch die Crew am Mischpult hat die akustisch schwierige Sporthalle mittlerweile etwas gezähmt.
Alles ist damit bereit für das große Finale: „Let Love Rule“ gerät zur viertelstundenlangen Rockmesse der Liebe, zum Chor der 6500, zum Meer der Arme. Ein immer wieder toller Moment bei seinen Konzerten, den auch Kravitz sehr genießt. Nur von einer kleinen Security-Polonaise begleitet, schreitet er einmal durch den kompletten Innenraum, lässt sich hier und dort hochheben und präsentiert sein zerfetztes Netzhemd: kollektive Schnappatmung. Klar, bei einem 130 Minuten langen, trotz einiger Abstimmungsschwächen insgesamt sehr gelungenen Tourauftakt mit einer klasse Band und einem Sänger in Topform sollte es eigentlich nicht um Körperlichkeiten gehen. Aber viele der Fans fächern sich beim Verlassen des Konzerts mit den Händen Luft zu. Und das nicht, weil es in der Sporthalle warm war.