Hamburg. Autorin Anne Sauer, Swiftie aus Hamburg, untersucht in „Look What She Made Us Do“ den Erfolg ihrer Heldin. Ein exklusiver Textauszug.
Anne Sauer ist seit vielen Jahren bekennender Swiftie. Die Autorin, Podcasterin und Literaturvermittlerin aus Hamburg hat aus ihrer Leidenschaft nun ein Buch gemacht, in der sie der Liebe von Millionen ebenso auf den Grund geht wie den Strategien des Popsuperstars, ihren Fans nahe zu sein, der medialen Rezeption, der obsessiven Seite der Swifties und vielem mehr. Das wohl empfehlenswerteste Buch zur Swiftmania könnte „Look What She Made Us Do“ (Rowohlt-Verlag, 16 Euro) aber durchaus sein. Lesen Sie hier einen exklusiven Auszug aus Anne Sauers Text:
Auf Konzerten sagt sie auf der Bühne: „I’m listening“, ich höre euch zu, ich sehe euch. In Dankesreden und Interviews betont sie immer wieder, wie wichtig ihr die Verbindung zu ihren Fans sei, die sie übrigens selbst nur selten Swifties nennt. Aus MySpace-Freund:innen wurden Follower, auf Instagram sind es bereits über zweihundertdreiundachtzig Millionen. Wenn ein Popstar sich derart in die Nähe von seinen Fans rückt (und von dem Fantum fraglos profitiert), könnte man also fragen, ob Taylor Swift mitverantwortlich für das Verhalten ihrer Fans sei. Ist es ihre Pflicht, sich für uns zu entschuldigen, wie es Mütter für ihre Kinder oft tun?
Taylor Swift: Erinnerungen mit Fans ist das, was zählt
Kurz vor der Veröffentlichung von Speak Now (Taylor’s Version) richtete Taylor sich mit dem Wunsch an ihre Fans, sich im Internet genauso liebevoll und nett zu verhalten, wie sie es auf ihrer Tour tun. Damit spielte sie auf diejenigen an, die es besonders auf Taylors Ex-Freunde abgesehen haben. Die rieben sich dank der Neueinspielung von „Dear John (Taylor’s Version)“ schon gedanklich die Hände und waren bereit, einen Troll-Tweet gegen John Mayer nach dem nächsten in die Tasten zu hauen.
Doch Taylor nahm ihnen den Wind aus den Segeln: „Ich bringe dieses Album nicht heraus, damit ihr das Gefühl bekommt, mich im Internet gegen jemanden verteidigen zu müssen.“ Mit ihren dreiunddreißig Jahren interessiere sie sich nicht mehr für das, was ihr jemand mit neunzehn angetan habe; lediglich ihre Songs und die gemeinsamen Erinnerungen mit ihren Fans seien das, was wirklich zähle.
Anne Sauer über Taylor Swift: „Look What She Made Do Us“
Erst einen Monat zuvor hatten sich Swifties mit einem „offenen Brief“ über X (vormals Twitter) an die Künstlerin gewandt und sie mit dem Hashtag #SpeakUpNow um ein Statement zu ihrer vermeintlichen Romanze mit dem äußerst umstrittenen Matty Healy gebeten. Der „The 1975“-Sänger war in der Vergangenheit durch rassistische und frauenfeindliche Äußerungen aufgefallen, auch gegen Taylor selbst. Eine Liaison mit ihm schien allem zu widersprechen, woran wir Swifties glaubten. Da konnte er noch so oft im VIP-Zelt von Taylors Tour herumstehen, mit sehnsüchtig geöffnetem Mund verträumt auf die Bühne gucken und seine Locken im Takt zu „Shake It Off“ wippen lassen.
Taylor und dieser Typ, das mussten wir verhindern. Swifties unite! Aber: Sollte diese Beziehung enden, weil Taylor unserer Meinung nach etwas Besseres verdient hatte oder weil wir Fans ihre Entscheidung für einen problematischen Partner als Bruch mit uns empfinden würden, als Verletzung unserer gemeinsamen Prinzipien? War #SpeakUpNow übergriffig – oder nur ein weiterer Akt der Liebe? Taten diese Swifties das Richtige, als sie Taylor ihr Recht absprachen, ihre eigenen Entscheidungen treffen und Beziehungen bilden zu dürfen, weil sie sich als Person von öffentlichem Interesse klar gegen jegliche Form der Diskriminierung zu stellen habe?
Swiftie Anne Sauer: Welches Engagement braucht es, um ein guter Fan zu sein?
Einen Hinweis darauf, wie Taylor selbst zur Social-Media-Justiz im Fall Matty Healy dachte, versteckt sich möglicherweise in ihrem Song „But Daddy I Love Him“, wo es heißt: „I’ll tell you something about my good name/It’s mine alone to disgrace/I don’t cater to all these vipers dressed in empath’s clothing“. Ich versuche, in alldem mich zu verorten, mein Fansein. Schreibe oder spreche ich über Swifties, rutsche ich oft, aber keineswegs immer ins Wir. Weil es einen Teil von mir gibt, der lieber von draußen zuschaut. Kann ich überhaupt noch Swiftie sein, ohne mich in einem Atemzug auch von dem distanzieren zu müssen, das nicht meiner Vorstellung vom Fantum entspricht?
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Welches Level an Engagement braucht es also, um ein guter Swiftie zu sein? Ich öffne den WhatsApp-Chat mit M. und will ihn fragen, ob auch er manchmal eine Swiftie-Identitätskrise habe oder ob für ihn das Positive, der Spaß an diesem Fandom überwiege. Und genau da liegt schon meine Antwort: Denn den Chat mit M. gäbe es gar nicht, wenn wir nicht irgendwann festgestellt hätten, dass wir zufällig die gleiche Blondine mit der Glitzergitarre toll finden.
Buch über Taylor Swift: Bin ich noch cool genug, wenn ich die Musik von Taylor Swift höre?
Wir würden uns weder sprachlose Emojis noch begeisterte Voicemessages schicken, jedes einzelne Mal, wenn Taylor irgendetwas macht. Niemals hätten wir völlig übermüdet auf einer Bank gesessen, um mitten im Trubel der Frankfurter Buchmesse zum ersten Mal gemeinsam das Musikvideo zu „Anti-Hero“ anzuschauen. Es hätte kein geteiltes Herzklopfen gegeben, während wir in der Warteschleife für Tourtickets hingen, keine Freudentränen, als es tatsächlich geklappt hatte. Wen hätte ich nicht alles kennengelernt, hätte ich mich niemals vom stillen zum stolzen Swiftie entwickelt? „If I never showed up, what could’ve been?“ Apropos Stolz. Bevor der so richtig durchkam, war da immer wieder auch Scham.
Bin ich noch cool genug, wenn ich die Musik von Taylor Swift höre, die so viele als kommerziell und wenig komplex abtun? Bin ich noch professionell genug, wenn ich sie zitiere, nicht nur in meinen Instagram-Stories, sondern sogar in Artikeln der Branchenpresse, auf Podien? Passen meine Vorliebe für diese glitzernde Popwelt und mein Fansein zu meinem Wunsch, mit meiner Arbeit auch in der ernst zu nehmenden Literaturwelt stattzufinden? In dieser akademisierten Welt, in der das Wort „Fan“ an sich schon eine Abwertung erfährt, weil es in der Hochkultur eben keine Fans, sondern nur „Expert:innen“ gibt. Und dann bin ich auch noch ein weiblicher Fan, zähle also gleich als doppelter Indikator für einen Mainstream, der in bestimmten Kreisen geringen Status und damit auch eine geringere Kompetenz zugeschrieben bekommt.
Buch über Taylor Swift: „Swiftie zu sein, ist doch zu fünftig Prozent Scham“
Als ich meiner befreundeten Buchhändlerin N. erzähle, dass ich über Fan-Scham schreibe, stimmt sie mir fast schon unbeeindruckt zu: „Swiftie zu sein ist doch zu fünfzig Prozent Scham.“ Wir gestehen uns gegenseitig, wann wir unsere Begeisterung für Taylor Swift schon auf stumm geschaltet haben, um nicht abgestempelt zu werden. Aus Sorge, in eine Schublade einsortiert zu werden, in einen schmalen Raum, in dem wir Fans unter uns bleiben und bitte nur dort, von anderen ungehört, kreischen und heulen sollen. Wir, die unkontrolliert emotionalen Frauen, die Mädchen.
Natürlich sind nicht nur Frauen Fans von Taylor Swift, und natürlich gibt es keinen Grund, sich dafür zu schämen, öffentlich Gefühle zeigen zu wollen. Im Zugang zu meinen Emotionen liegt mein ganzes kreatives Kapital, nie wieder würde ich den kappen wollen. Wenn sich ein Schamgefühl ins Fansein schleicht, muss hinterfragt werden, woher es kommt. Wer uns Swifties da gerade einreden will, dass wir peinlich und uncool sind. Zu laut, zu pink, zu viel gleiche, unbedeutende Masse. „Wen interessiert’s?“, lese ich auf Social Media oft, oder: „Ihre Musik ist so irrelevant“.
Wer einer Kunst, in der sich so viele Menschen gesehen und verstanden fühlen, ihre Relevanz abspricht, erklärt auch die Emotionen dieser Menschen für nichtig. Ein fieser, unheimlich arroganter Trick, der uns immer wieder in die Zweifelspirale zurückschubsen soll: Was ich denke und fühle, ist nicht wichtig genug. Doch ich weigere mich, noch weiter in diese Falle zu tappen.
„Look What She Made Do Us“ von Anne Sauer: Das beste Buch über Taylor Swift?
„Stell dir vor, wie vielen anderen es gerade genauso geht, a dream“, schrieb mir M. neulich, als wir mal wieder unverhältnismäßig viel Zeit im Swift-„rabbit hole“ verbrachten. Und genau das ist es, was uns immer wieder hineinlockt: das Wissen um die Tatsache, dass wir mit Millionen von Menschen gleichzeitig Gefühls-Highs erleben. Die Bestätigung, dass wir trotz allem eine Einheit sind, zusammengeschweißt durch die Musik, Erlebnisse und Emotionen der durchlebten Eras. Dass wir Zugehörigkeit spüren, kollektiv Stolz empfinden für den Weg dieser Künstlerin und in gewisser Weise auch für uns selbst. Ich werde weiterhin immer mal wieder auftauchen aus diesem Kaninchenloch der Informationen.
Den Kopf raushalten und mit nötigem Abstand auf mein Fantum blicken. Aber eines will ich dabei nicht vergessen: Egal, ob stiller oder Hardcore-Swiftie, ob neu dabei oder von Anfang an – auf diejenigen, die sich trotz einiger düsterer Weggabelungen dennoch hineinwagen, wartet vor allem eins: „Wonderland“.