Hamburg. Der Schweizer Orchesterchef spielte mit Quincy Jones, Frank Sinatra – und 37 Jahre immer wieder „Griechischer Wein“. Eine Begegnung.

„Bitte schauen Sie, ob ich gerade sitze, sonst schimpft meine Frau“, sagt Pepe Lienhard lachend zum Abendblatt-Fotografen beim Treffen im Hotel Vier Jahreszeiten. Auf den ersten Blick ist er ein höflicher, charmanter und humorvoller Schweizer Gentleman, eine leise Natur. Aber man täusche sich nicht: Von 1977 bis 2014 versetzte der 1946 in Lenzburg geborene Arrangeur, Saxofonist und Flötist als Bandleader von Udo Jürgens mit seinem Orchester Pepe Lienhard auf endlosen Tourneen Millionen Fans in Ekstase. Auch internationale Weltstars wie sein Vorbild Quincy Jones, wie Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Shirley Bassey, Whitney Houston und Michael Bublé begleitete er bei TV-Shows, Gala-Konzerten und Bällen in der großen Zeit der Bigbands und Rundfunkorchester.

Nur eine Viertelstunde voneinander entfernt wohnten Udo Jürgens und Pepe Lienhard in der Schweiz. Am 20. Dezember 2014 trafen sie sich wie so oft zum Abendessen, schmiedeten Pläne für den zweiten Teil der geplanten Tournee. Am Tag darauf sackte Udo Jürgens beim Spaziergang in die Arme von Percussionist Billy Todzo, und sein Herz hörte auf zu schlagen. Aber die altvertrauten Lieder der großen Legende der deutschsprachigen Popmusik leben bis heute weiter. Zum zehnten Todestag von Udo Jürgens geht das Orchester Pepe Lienhard wieder auf Tournee und spielt am 3. November dessen Klassiker in der Barclays Arena: „Wir möchten an Udo und sein Werk erinnern und ihn mit einer wertigen und respektvollen Show ehren.“

Pepe Lienhard: Der letzte große Bandleader unserer Zeit?

Hamburger Abendblatt: Herr Lienhard, mittlerweile sind James Last, Max Greger, Paul Kuhn, Gregor Strasser und Kurt Edelhagen von uns gegangen. Sind Sie damit der letzte große Bandleader?

Pepe Lienhard: Das kann man ja schlecht über sich selbst sagen. Ich bin ja noch eine Generation jünger, aber habe die alle Gott sei Dank noch gekannt. In den 70er-Jahren habe ich mit meinem Sextett auf vielen Partys gespielt oder war Pausenband bei den großen Galas, wo diese Künstler mit ihren Bigbands auftraten.

Alle mit den hübschen Musikerpulten mit dem Namen der Band vorne drauf...

Lienhard: Ja, das war noch eine andere Zeit. Diese großen Fernseh-Galas wie in den 70er- und 80er-Jahren gibt es ja heute nicht mehr, wir waren die letzten Mohikaner mit Fernsehpräsenz, vor allem im Schweizer Fernsehen in „Supertreffer“ und „Ein roter Teppich für...“, aber auch nur, weil Kurt Felix gesagt hat: „Ich mache es nur mit Pepe und seiner großen Band, sonst tue ich mir das nicht mehr an.“

Pepe Lienhard, Orchesterchef
Pepe Lienhard im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Pepe Lienhard: „Es ist eine fröhliche Demokratur“

Zwischen einer normalen Band und einer Bigband mit mehrfach besetzten Streicher- und Bläsersektionen haben sie mit ihrem Orchester Pepe Lienhard eine Art Zwischenlösung geschaffen. Weil die zur Verfügung stehenden Budgets sanken?

Lienhard: Das war von Anfang an mein Plan, ich habe schon in den 80ern gewusst, dass so eine große Truppe mit fünf Saxofonen, vier Posaunen und Streichorchester nicht mehr funktioniert. Aber wir waren vielseitig genug aufgestellt, um mit Udo Jürgens zu touren, Popmusik zu spielen oder Bigband-Jazz.

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Wie hält man so eine große Band wie ihre mit 14 Stamm-Musikern und einem erweiterten Kreis zusammen, mit väterlicher Strenge, genügsamer Gelassenheit oder diktatorischer Willkür?

Lienhard: Gelassenheit ist sehr wichtig. Ich habe einen eigenen Ausdruck: Es ist eine fröhliche Demokratur. Jeder kann Anregungen machen und mitreden, aber am Ende entscheide ich. Wir sind ja auch befreundet und schon sehr lange zusammen. Der Schlagzeuger ist seit 1980 dabei, der Bassist seit 1982, die meisten anderen auch seit 20 Jahren. Wir arbeiten ja nicht mehr täglich wie früher, sondern auf Freelance-Basis. Und wenn ein Trompeter oder Saxofonist mal eine Tournee nicht mitmachen kann, ist das kein Problem, es gibt genug tolle Bigband-Musikerinnen und -Musiker, die sich an Noten halten und einspringen können. 

Pepe Lienhard: „Ich hatte meinen ersten Gig vor meiner ersten Musikstunde“

Sie haben auch als Saxofonist begonnen, wann kam der Schritt zum Bandleader?

Lienhard: Das ging bei mir ganz schnell. Weihnachten 1957, da war ich elf Jahre alt, schenkte mir meine Mutter ein Saxofon. Noch vor Silvester ging ich zu meiner ersten Stunde in der Musikschule, und noch vor der Tür traf ich jemanden, der eine Band hatte und mich einlud, einzusteigen. So hatte ich meinen ersten Gig vor meiner ersten Saxofonstunde. Aber nach vier Monaten habe ich die Band verlassen, weil mir der Führungsstil des Bandleaders nicht gepasst hat.

Zu demokratorisch?

Lienhard: Zu inkompetent. Ich und alle anderen Musiker sind dann aus der Band ausgetreten und haben zusammen eine neue gegründet. Mit mir als Bandleader.

Hatten Sie ein Vorbild? Glenn Miller vielleicht?

Lienhard: Dafür war unsere Truppe viel zu klein. Chris Barber war unser großer Held, wir haben viel Dixieland gespielt auf Schülerpartys, die Beatles und Popmusik gab es seinerzeit ja noch nicht und Rock’n’Roll kam erst auf. Also wurde zu Dixieland und populären Jazzstandards getanzt. Aber mit 15 habe ich das erste Mal Quincy Jones mit seiner unglaublichen Band in einer kleinen Stadt in der Schweiz erlebt und mir hinter der Bühne Autogramme geholt, das war mein Erweckungserlebnis: Das ist meine Musik. Viele Jahre später spielten wir zusammen beim Montreaux Jazz Festival 2008 zu seinem 75. Geburtstag, ein sehr besonderer Moment für mich. Er ist mein Vorbild bis zum heutigen Tag.

Pepe Lienhard und Udo Jürgens: Sie spielten 150 Konzerte am Stück

Und dann ist da auch noch der große Udo Jürgens. Wie viele Konzerte haben Sie zusammen gespielt? 2000?

Lienhard: Oh, ich habe sie nie gezählt, aber in 37 Jahren kam viel zusammen, schon im ersten Jahr 1977 in Kanada und in den USA waren es über 20. Und in unseren jüngeren Jahren haben wir oft 150 Konzerte am Stück gegeben. Das war schon eine krasse Zeit, aber es war nie Stress und hat immer Spaß gemacht.

Udo war 1977 bereits ein Superstar, wie wurde er auf Sie aufmerksam?

Lienhard: Ich habe mit meinem Sextett damals viel in Nachtclubs gespielt, darunter auch 1974 im Park-Café in Wiesbaden. Und Udo hatte gehört, dass wir ein Mellotron hatten, diese Instrumente waren in Deutschland damals nicht sehr verbreitet, ich bin extra nach London gereist, um es direkt beim Hersteller zu kaufen. Und Udo wollte immer das Besondere, das Neue für seinen Sound, hat über Umwege herausgefunden, wo wir spielen und wurde dann im Mercedes 600 Pullman vorgefahren, um sich uns anzuhören. Die Zusammenarbeit begann aber erst drei Jahre später, als er aus Steuergründen in die Schweiz nach Zürich zog und mein damaliger Manager Freddy Burger auch sein Manager wurde.

Pepe Lienhard: Arrogant waren nur Künstler aus der zweiten Liga

Wie viel Einfluss hatte er auf Ihrem Weg vom Sextett zum Orchester Pepe Lienhard?

Lienhard: Er hat gesagt: „Wenn du eine große Band machen willst, wird das auch meine Band.“ Das war also eine Jobgarantie mit einer Mischung aus privater Freundschaft und professionellem Perfektionismus. Er hat zwar nicht die Arrangements geschrieben, aber wusste immer, was er will. Bei jedem Konzert wollte er einen Soundcheck, er war immer pünktlich. Allerdings mussten wir ihn manchmal daran erinnern, die alten Hits wie „Griechischer Wein“ nicht zu vernachlässigen, die sang er nicht so gern. Aber das Publikum hat ihn und uns immer mitgerissen, das war schon kolossal.

Unterschied sich das Spielen mit Udo Jürgens sehr von der Zusammenarbeit mit Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Shirley Bassey oder Whitney Houston?

Lienhard: Ich muss sagen, dass ich wirklich großes Glück hatte, mit solchen Persönlichkeiten zu arbeiten. Die waren alle total locker vor dem Gig, aber absolut fokussiert und effizient und respektvoll, weil sie davon ausgehen konnten, dass ich meinen Job beherrsche. Von oben herab wurde ich nur von Künstlern aus der zweiten Liga behandelt, aber da werde ich keine Namen nennen.

Udo Jürgens spielt Mundharmonika re GER und Pepe Lienhard SUI
37 Jahre auf Tuchfühlung: Udo Jürgens schrieb Hunderte Songs, ließ Pepe Lienhard aber bei der Live-Umsetzung viele Freiheiten. Hier duellieren sie sich 2001 mit Saxofon und Mundharmonika. © imago/Scherf | IMAGO stock

„Da Capo Udo Jürgens“: „Wir möchten an Udo und sein Werk erinnern“

Jetzt kommen Sie mit der Show „Da Capo Udo Jürgens“ im November in die Barclays Arena, wo sie einen Monat vor seinem Tod 2014 zusammen auftraten. Ist das sozusagen ein Zusatzkonzert, nur ohne Udo?

Lienhard: Wir möchten an Udo und sein Werk erinnern und ihn mit einer wertigen und respektvollen Show ehren. Es wird ein neues Konzert kreiert, in dem auch Titel aus dem Programm von 2014 vorkommen. Es werden jedoch auch ältere Aufnahmen und vor allem seine größten Hits in voller Länge gespielt. Auf den letzten Touren spielte er diese meistens nur in Medley-Form. Udo singt und spielt von der großen Leinwand und wir begleiten ihn live dazu. Ich kann Ihnen versichern, nachdem wir kürzlich in der „Giovanni Zarrella Show“ ein achtminütiges Udo-Medley gespielt haben: Das wird sehr emotional.

Wer von Ihnen übernimmt die Nummer mit dem Bademantel, in den Udo für die Zugaben schlüpfte?

Lienhard: Das war einzig und allein Udos Ritual. Wir begleiten ihn, so wie wir es 37 Jahre lang gemacht haben.

„Da Capo Udo Jürgens – Die Original-Show mit dem Orchester Pepe Lienhard“ So 3.11., 19.00, Barclays Arena (S Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten ab 59,90 im Vorverkauf; www.pepe-lienhard.ch