Hamburg/Wien. Erst Christian Ulmens Freundin, dann Frau mit vielen Männern: Emily Cox spielt Alma Mahler im tollen Kinofilm „Alma & Oskar“.

Sie spielte die Freundin von Christian Ulmen in „Jerks“ und die Kriegerin Brida in der Netflix-Serie „The Last Kingdom“, womit sie international bekannt wurde. Sie gab die Sängerin einer Volksmusikgruppe in „Landkrimi – Steirerstern“ und die Tochter eines Althippies in dem mehrfach ausgezeichneten Drama „Die Vaterlosen“. Keine Frage: Emily Cox (38) spielt facettenreich.

Als Tochter einer irischen Pianistin und eines britischen Pianisten wuchs sie zweisprachig in Wien auf und studierte dort am Max-Reinhardt-Seminar Schauspiel. Die Dreharbeiten zum Film „Alma & Oskar“, der die Zeit um 1912 in Wien einfängt, waren also ein Heimspiel. Herausfordernd aber die Rolle der Alma Mahler, die Witwe des Komponisten Gustav Mahler: eine schillernde, zerrissene Persönlichkeit, die sich in eine toxische Affäre mit dem Maler Oskar Kokoschka stürzt. Zur Preview des Films konnte die Schauspielerin aus Krankheitsgründen nicht nach Hamburg reisen. Das Interview wurde per Zoom geführt.

War Ihnen Alma vorher vertraut, und wie haben Sie sich der Rolle genähert?

Emily Cox: Ich kannte Alma Mahler vom Namen her, aber ich hatte eigentlich kaum Verbindungen zu ihr, ich wusste nur, dass sie eine Frau mit vielen Männern war. Mir war nur nicht bewusst, wie viele (lacht). Umso dankbarer bin ich, dass ich diese Rolle gespielt habe, weil ich so im Zuge der Auseinandersetzung gemerkt habe, was für eine spannende Frau sie war und wie unterschätzt sie als Komponistin und Liederschreiberin war. Ich habe mir während der Vorbereitung auf die Rolle die Lieder, die sie geschrieben hat, angehört und fand sie unglaublich schön, vor allem, wenn man sie sich öfter anhört. Wenn man sie beim ersten Mal hört, ist es so ein bisschen ...

… zwischen sehr schön und sehr kitschig. Das Lied „In meines Vaters Garten“ spielt und singt Alma Mahler zum Ende des Films auf einer Berghütte vor einem unvorstellbar kleinen Publikum, nicht mal Oskar Kokoschka setzt sich dazu. Aber durch ihre Hingabe ist diese Szene sehr berührend – und das Lied geht einem nicht mehr aus dem Kopf.

Ja, genau, das stimmt. Und ich finde es erstaunlich, dass sie nicht berühmter geworden ist mit ihrer Musik. Der Film spielt in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die Wiener Gesellschaft feiert in Opern und Salons, das kulturelle Leben blüht; nur Frauen spielen als Produzentinnen keine Rolle, was Alma ihrem Mann Gustav Mahler auch immer wieder vorwirft. Und selbst der junge, wilde Kokoschka will sie als Muse.

Emily Cox: Wie ein Drogenspürhund ahnte sie, aus wem etwas werden konnte

Inwieweit war Alma Opfer ihrer Zeit?

Sie wollte viel mehr, als ihr gesellschaftlich verordnet wurde. Ich denke, dass sie auf jeden Fall ein Opfer ihrer Zeit war. Hätte sie später gelebt, wäre ihre Musik auch anders wahrgenommen worden. Trotzdem hat sich Alma Mahler ihrer Zeit auf eine Art widersetzt und hat sich genommen, was sie wollte. In Bezug auf ihre Beziehungen und ihre Selbstverwirklichung.

Vielleicht als eine Art Ersatzbefriedigung hat sich Alma dann im Talent ihrer Männer gespiegelt: Gustav Mahler, Walter Gropius, der sie heiraten wollte, Oskar Kokoschka …

Ja, sie hat wie ein Drogenspürhund immer geahnt, aus welchem Mann mal etwas werden kann, was erfolgreiche Kunst ist und was nicht. Sie sagt ja auch irgendwann im Film: „Ich möchte von Genies umgeben sein“. Diese Genies hat sie kräftig mitbefördert. Deswegen ist sie auch so enttäuscht, als Kokoschka eins seiner zentralen Werke doch nicht verkauft – sie ist am Boden zerstört.

Überhaupt bescheren ihr diese prominenten Liaisons kein Liebesglück. Am Ende des Films zumindest ist sie ziemlich einsam.

Sie konnte die Männer auf eine Art von sich abhängig oder süchtig machen, weil sie sich nie komplett hergegeben hat, weil sie sich immer einen Teil ihrer Unabhängigkeit bewahrt hat. Für mich persönlich ist echte Nähe im Leben sehr wichtig, und dazu gehört für mich, glaube ich auch, mich jemandem ganz zu öffnen und ganz hinzugeben. Ich habe mich beim Spielen gefragt, ob es wirklich schön sein kann, so viele Männer zu haben, die einem zu Füßen liegen, aber keinen so richtig an sich heranzulassen. Heute würde man dazu wohl Bindungsangst sagen.

„Ich stelle mir vor, dass sie sehr frei war in ihrer Sexualität“

War es schwierig für Sie, sich in diese Rolle einzufühlen?

Was hier natürlich ein totaler Luxus war, dass es Tagebücher von ihr und Bücher über sie gibt, davon habe ich mich inspirieren lassen. Gleichzeitig war mir total wichtig, dass ich nicht den Anspruch stelle, Alma Mahler objektiv darzustellen, denn ich glaube, dass es generell im Leben keine objektive Realität gibt. Also habe ich mich komplett davon gelöst und habe stattdessen versucht, Alma Mahler in mir zu finden oder die Facetten von ihr. Zu verstehen, wie sie getickt hat, mir vorzustellen, was ihr Ziel in der jeweiligen Szene und im gesamten Drehbuch ist. Manchmal habe ich das auf mich persönlich übertragen: Bei wem in meinem Leben brauche ich es zum Beispiel, dass er sich in mich verliebt?

Was hat Sie denn am meisten an ihrer Person fasziniert?

Ich fand es spannend, dass alle so angetan waren von ihr. Warum hatte sie so eine Wirkung? Und interessant ist auch, dass eine Frau zu der Zeit einfach so dazu gestanden hat, dass sie Sex so gerne mag. In der Zeit war das einfach wahnsinnig ungewöhnlich, erstens dazu zu stehen, aber dies auch mit vielen unterschiedlichen Männern auszuleben. Ich stelle mir auch vor, dass sie sehr frei war in ihrer Sexualität.

Almas Beziehung zum Maler Kokoschka ist leidenschaftlich, aber auch zerstörerisch. Wie war das Spiel mit ihrem Partner Valentin Postlmayr?

Emily Cox und Valentin Postlmayr in einer Filmszene von „Alma & Oskar“.
Emily Cox und Valentin Postlmayr in einer Filmszene von „Alma & Oskar“. © Alamode Filmverleih | Alamode Film

Total schön. Es war eine seiner ersten Filmrollen, und er war sehr entspannt – selbst in stressigen Situationen. Ich habe mich sehr gut mit ihm verstanden, was wichtig war, um solch eine intensive Anziehungskraft zwischen den beiden darzustellen. Und weil wir wirklich viele Sexszenen hatten. Das wäre schwierig gewesen, wenn ich ihn schrecklich gefunden hätte. Oder er mich.

Emily Cox: „Nacktszenen fallen mir nicht schwer“

Fallen Ihnen Sexszenen schwer?

Nein, Nacktszenen fallen mir nicht schwer. Ich bin mit sehr frei denkenden Eltern aufgewachsen, in den Ferien waren wir oft auf FKK-Campingplätzen. Außerdem hatten wir bei diesem Dreh eine Tänzerin und Performance-Künstlerin als Intimacy-Koordinatorin. Wir haben die Sexszenen wie einen Tanz einstudiert, mit Musik. In den Proben sollten wir zum Beispiel unsere Körper aneinanderknallen lassen und dabei auf den Klang unserer Körper achten. Dieser Tanzschritt hieß zum Beispiel „Flesh to Flesh“. Oder beim gegenseitigen Streicheln sollten wir uns darauf konzentrieren, wie sich die Haut des anderen anfühlt, eher weich oder hart, kalt oder warm. Und letzten Endes kam dann eigentlich ein Tanz heraus, der aber aussieht wie Sex. Viel schwieriger, weil intimer, ist es vor der Kamera zu weinen.

In den vergangenen Jahren wurde viel über die Filmbranche und diskriminierende, übergriffige Arbeitssituationen vor allem für Frauen diskutiert. Haben Sie am Set derartige Übergriffe erlebt?

Es ist gerade viel im Umbruch, was ich gut finde. Ich denke, wir sollten der Frage nachgehen, wie wir es schaffen können, dass sich jeder Mitarbeiter an Sets wohlfühlt. Das ist einerseits für die Mitarbeiter dringend nötig, aber auch für das Produkt! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die besten Filme dort entstehen, wo sich die Leute gut aufgehoben und sicher fühlen, denn nur so entsteht wahre Offenheit – in meinen Augen essenziell für jede Form der Kunst! Klar, auch ich hatte an Sets ab und zu Situationen, in denen ich mich unwohl gefühlt habe, aber ich bin nie Opfer sexueller Übergriffe gewesen. Ich hatte das Glück, und dafür bin ich sehr dankbar, dass die überwiegende Zahl der Drehs, die ich erlebt habe, wahnsinnig schön war. Wenn es den Leuten am Set gut geht, die Regisseure und Produzenten in erster Linie durch ihr „gutes Vorbild“ führen und alle an einem Strang ziehen, dann kann eine Form von Magie entstehen. Es kann so unglaublich inspirierend, toll und wunderschön sein!

„Ich denke, dass man gesund sein muss, um wirklich tolle Kunst zu machen“

Zurück zur Leinwand: Die Amour fou zwischen Alma und Oskar, diesem Enfant terrible der Kunstwelt, entspricht dem Stereotyp schwieriger Künstler gleich begabter Künstler. Auf der einen Seite ist man fasziniert von dieser Beziehung, auf der anderen leidet man an ihrer Zerstörungskraft mit.

Toxische Beziehungen haben ja oft diese große Leidenschaft, das macht auch ihren Reiz aus. Aber vielleicht, mit guten Therapeuten hätten Alma und Oskar auch eine gesunde Beziehung führen können. Die Vorstellung, dass Wahnsinn und Genie nah beieinanderliegen, oder, wie in Oskars Figur angelegt, talentierte Künstler meist auch einen psychischen Knacks haben, teile ich allerdings nicht. Ich denke, dass man sehr gesund sein muss, um wirklich tolle Kunst zu machen.

Leiden Sie unter der Kunst, unter der Schauspielerei?

Einerseits ja, weil ich mich in meiner Fantasie an Orte begebe, an die ich mich nicht begeben würde, wenn ich beispielsweise Steuerberaterin wäre. In den Momenten mache ich mich sehr weit auf und stelle mir sehr spezielle Sachen vor, das ist natürlich nicht immer angenehm. Andererseits erfüllt mich dieser Beruf zutiefst, und ich könnte mir keinen anderen vorstellen.

Würden Sie sagen, dass Alma Mahler ihre bisher herausforderndste Rolle war?

Es war eine fantastische Rolle, und ich bin sehr dankbar, dass ich sie spielen durfte! Sie war sehr herausfordernd, aber genauso herausfordernd war zum Beispiel die Arbeit für den Sechsteiler „37 Sekunden“, der im August herauskommt. Darin spiele ich eine Anwältin, die zerrissen ist zwischen ihrer besten Freundin und ihrem Vater. Die Freundin behauptet, von ihm vergewaltigt worden zu sein. Und natürlich war auch die Rolle der Kriegerin Brida in „The Last Kingdom“ besonders. Ich habe keine Geschwister und habe mich nie geprügelt. In der Serie musste ich das also lernen. Ich liebe es, wenn ich neue Dinge lernen darf; deshalb ist der Beruf genau der richtige für mich. Kämpfen und mit einer Axt werfen für „The Last Kingdom“, wie man gegen eine Wand läuft, ohne sich wehzutun, für „37 Sekunden“, und „Claire de Lune“ von Debussy für „Alma & Oskar“.