Hamburg. Besonders spannend im Schauspielhaus-Ensemble ist eine Spielerin des Jungen Schauspielhauses. Am Wochenende hat sie wieder Premiere.

Eigentlich fiel sie schon ganz früh auf – mit ihren ersten Sätzen. Bei der Spielzeiteröffnung des Jungen Schauspielhauses im Oktober 2021 steht da eine junge Schauspielerin auf der Bühne mit einem Koffer und erzählt – unbeholfen und entwaffnend selbstsicher zugleich – davon, wie es ist, vom Land in Hamburg anzukommen. Jara Bihler heißt die Schauspielerin und sie spricht den Monolog der Micki, die in die große Stadt geht, aus Felicia Zellers „Triumph der Provinz“.

Der kurze Auftritt setzt bereits eine Wegmarke. Bihler kommt aus der Nähe von Basel über eine Station in München nach Hamburg. Da ist sie 24 Jahre alt, aber eigentlich auch schon ein langjähriger Profi. Bihler kommt aus einer Künstlerfamilie. Ihr Vater, der lange Jahre mit Peter Brook zusammenarbeitete, und ihr Bruder sind ebenfalls Schauspieler.

Schauspielhaus Hamburg: Jara Bihler hat schon immer Bühnenluft geatmet

Diese Welt habe sie früh kennengelernt, schon immer Bühnenluft geatmet, so Bihler, die auch nach einer anstrengenden Probe eine bemerkenswerte Frische ausstrahlt. Spielen ist für sie folglich etwas ganz Natürliches. „Die Tätigkeit an sich ist total sinnstiftend. Es erfüllt mich unheimlich, dass ich den Beruf ausüben kann“, sagt sie. Mit 12 Jahren spielt sie in ihrem ersten professionellen „Sommernachtstraum“ an der Seite ihres Bruders eine Elfe. Dann stößt sie zum Jugendtheater Basel, an dem Regisseure professionell mit Laien arbeiteten. Hier begegnet sie Sebastian Nübling, entwickelt mit ihm unter anderem die deutschsprachige Uraufführung von Simon Stephens‘ „Morning“, mit dem sie drei Jahre lang und auf zahlreichen Gastspielreisen glänzt.

Jara Bihler weiß schon mit 15 Jahren, dass sie Schauspielerin werden will

Mit 15 Jahren weiß sie, dass sie auf die Schauspielschule will. Es klappt dann auch sehr schnell an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in München. „Das war eine tolle Zeit. Die normale Schule fand ich eher anstrengend, aber hier lernte man so viel über Wahrnehmung und bekam ein Bewusstsein für den eigenen Körper“, erzählt Jara Bihler, für die Bewegung und Energie auf der Bühne unendlich wichtig sind. „Gleichzeitig war es sehr fordernd, weil ich in Basel nie über Methodik oder Psychologie nachgedacht habe. Ich habe dort einfach gespielt.“ Mit dem Abschluss in der Tasche bewirbt sie sich am Jungen Schauspielhaus – und wird sofort engagiert.

Vom 10. Juni an steht sie nun in der Premiere von Lorenz Noltings Inszenierung von „Onkel Wanja“ auf der Bühne. Eine freie Adaption nach Motiven des Tschechow-Klassikers für Menschen ab acht Jahren. Bihler spielt Sonja, die Nichte des Gutsverwalters Onkel Wanja, die unsterblich und unglücklich in den idealistischen Arzt Astrow verliebt ist – nur dass sie hier, anders als bei Tschechow, ein Hühnerkostüm trägt und Astrow ein Borkenkäfer ist. Beide verarbeiten in einem Sägewerk Holz zu Sägespänen, die der Chef an Hamster verkauft – und erhalten Fanta mit Orangengeschmack.

Junges Schauspielhaus Hamburg: Jara Bihler fällt durch Wandlungsfähigkeit auf

Doch wie im wirklichen Leben müssen sie viel zu viel arbeiten für viel zu wenig Fanta. „Es gibt auch interaktive Teile, in denen wir über Arbeit und das System dahinter reden. Aber wir erzählen auch, ähnlich wie bei Tschechow, wie die Figuren sich verlieben – und das oft unglücklich“, so Jara Bihler.

Seit sie zum Ensemble des Jungen Schauspielhauses stieß, fällt sie durch ihre Wandlungsfähigkeit auf. Auch durch manchmal unkonventionelles Spiel. Sie ist jemand, der Figuren so mit Leben erfüllt, dass sie im Gedächtnis bleiben.

Das trifft natürlich zu auf die Rolle des Tambourmajors in Moritz Franz Beichls Büchner-Adaption „Subjekt Woyzeck (into the void)“. Hier beweist sie auch ihr Talent für Gesang und Show. Und setzte sie sich mühelos in einem glaubhaften Liebesverhältnis mit Marie über Rollenzuschreibungen hinweg.

„Romeo und Julia“ ist am Jungen Schauspielhaus immer ausverkauft

Die – immer ausverkaufte – Produktion aber, die ihr ganz nah am Herzen liegt, ist natürlich „Romeo und Julia“ von Shakespeare. „Ich dachte, ok, ich muss, ich will Julia spielen“, sagt Jara Bihler. In der Inszenierung von Mathias Spaan sprechen Romeo und Julia jedoch den Text des jeweils anderen, was aber einen erstaunlich gut funktionierenden Twist ergibt. Hier ist Bihlers Julia eine emanzipierte junge Frau, die am Balkon Romeo ihre Liebe gesteht. „Es ist eine tolle Herangehensweise, einen neuen Blick auf den Stoff zu richten, ohne die Geschichte zu zerstören“, so Jara Bihler. „Hier bin ich diejenige, die sich schnell verliebt und die Initiative ergreift.“

Die Inszenierung ist der Renner nicht nur bei Hamburger Schulklassen. Oft ist die Aufführung fordernd, weil das junge Publikum gerne mal direkt reagiert. „Wenn es um Liebe und Sexualität geht, hört man im Publikum entweder eine Stecknadel fallen oder es wird laut getobt“, erläutert Bihler. „Das kann auch mal unangenehm sein, da muss man die Konzentration halten.“ Irgendwie erinnere es sie jedoch auch an Shakespeare selbst, an das muntere Treiben in seinem Globe Theatre.

Junges Schauspielhaus: Jara Bihler spielte schon im Münchner „Tatort“

Jara Bihlers jüngste Rolle war unter all den bisherigen vielleicht die Ungewöhnlichste. In dem Generationenstück „Liebe Grüße…oder Wohin das Leben fällt“ von Theo Fransz spielt sie die zehnjährige Anna so glaubhaft kindlich, dass sie kaum wiederzuerkennen ist – ohne dabei die Figur zu verraten.

Ein noch größeres Publikum als im Theater konnte sich vom Talent Jara Bihlers 2021 bereits in einer Episodenhauptrolle als Violinistin im Münchner „Tatort“ überzeugen. Mit gerade mal 26 Jahren steht sie noch ganz am Anfang – und ist doch längst mittendrin.

„Onkel Wanja. Denn sie verdienen nicht, was sie tun“ Premiere Sa 10.6., 17 Uhr, Junges Schauspielhaus Studio, Wiesendamm 28, Karten unter T. 24 87 13; www.schauspielhaus.de