Hamburg. Der Bestsellerautor und Schauspieler hat ein Buch über seinen Schlaganfall geschrieben, das beweist: Komik kommt von Tragik.

Die Sterblichkeit besiegen. Vielleicht ist es nicht weniger als das, worum es hier am Ende geht. „Im Nachhinein Ereignisse mit dreister Eloquenz zu überschreiben, hatte mir schon so manche Niederlage versüßt“, bekennt Joachim Meyerhoff und gesteht die „alte Sehnsucht, Sätze zu basteln, die unvergänglich sein könnten“. Anders als der Autor selbst.

Denn der fünfte Band seiner durchgehend autobiografischen Romanreihe „Alle Toten fliegen hoch“ beschreibt eine Niederlage, die existenzieller ist als alles, was da vorher war: „Hamster im hinteren Stromgebiet“ heißt das Buch über einen Mann, der, „vier Monate und ein paar zerquetschte Tage“ nach seinem einundfünfzigsten Geburtstag, einen Schlaganfall hat. Das „hintere Stromgebiet“ ist eine neurologische Ortsangabe. Und der Mann ist der Schriftsteller selbst.

Meyerhoffs Roman – direkt auf Platz 1 der Bestsellerliste

Ein Notfall, eine brutale Diagnose. Eine Tochter, die „wie ein Filmstar in einem hochauflösenden Rettungssanitäter-Blockbuster“ dafür sorgt, dass der stürzende Vaterheld endlich eingeliefert wird. Joachim Meyerhoff ist, wie er selbst es so flapsig wie verblüfft ob des heftigen Einschnitts schreibt, nun ein „Schlagerlstar“, ein „Stroke-Unit-Dandy“, der nur mühsam die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangt und davon schonungslos berichtet.

Eine Krankenschwester verschafft ihm ein Einzelzimmer – Promibonus, er muss nur ein Buch signieren. „Na schau mal an, dachte ich, wozu Literatur gut sein kann.“ Die Wahrscheinlichkeit, beim nächsten Mal wiedererkannt zu werden, ist übrigens gestiegen. Meyerhoffs neuer Roman ist zum Erscheinen direkt auf Platz 1 der Bestsellerliste eingestiegen.

"Hamster im hinteren Stromgebiet": Flirten mit dem Abgrund

Angemessen, sollte man meinen, geht es hier doch buchstäblich um Leben und Tod. Mit einer Heiterkeit, die immer mit dem Abgrund flirtet. Die jeder noch so dramatischen Situation die Absurdität des Moments ablauscht. Typisch Meyerhoffsches Pointengold, klar, als wären schon beim Selber-Lesen nicht nur die leicht nölige Autoren-Stimme, sondern auch die Publikumslacher als Tonspur unterlegt.

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Wie in der Urologenszene, in der der Arzt erst einmal die eigene Prostataleistung unter Beweis stellt. Wie in der Erinnerung an den jungen Meyerhoff als „hüftlahmer Nackedei mit Bleischurz“, der nach einem Sportunfall in der Röntgenpraxis einfach vergessen wird. Nun also liegt der Bühnenstar hilflos hinter Krankenhausvorhängen („Jeder, der zu mir hereinkam, hatte einen richtig guten Theaterauftritt“), kämpft mit der Demütigung, in eine Flasche zu pinkeln („Schon der die Maskulinität arg lädierende Weg vom Stehen ins Sitzen war ein beschwerlicher gewesen“) und tut, was man im Angesicht der eigenen Sterblichkeit eben tut: Rückschau halten.

Meyerhoff nimmt seine Leser mit – zur Entlausung nach Wien

„Wie bei einem außer Kontrolle geratenen Brainstorming zugekokster Drehbuchschreiber morgens um fünf flipperten mir Szenarien durch die Hirnwindungen.“ Das Zappen durch solch mal kuriose, mal regelrecht schrille Assoziationen unterfüttert die Handlung und landet am Ende immer wieder elegant in der Gegenwart. Die natürlich einerseits trostlos und tief erschreckend ist, andererseits eben auch auf sensationell originelle Art sonderbar, wenn man – wie Joachim Meyerhoff – in der Lage ist, dies wahrzunehmen und in die richtigen Worte zu fassen: „Vom Selbstschüttler zum Abgetupften in nur einer Nacht.“

Er nimmt seine Leser mit nach Afrika, Norwegen, Mallorca und zur Entlausung in die Desinfektionsanstalt der Stadt Wien. Abenteuertrips, die ihre Faszination weniger aus der Exotik der Orte ziehen als aus dem Aufeinandertreffen von Ereignis und staunendem Helden, der das Kunststück fertig bringt, gleichzeitig zu erleben und zu beobachten und schließlich zu verdichten, in der Ausnahmesituation wie im Alltag: „Schon immer waren für mich Buffets mit einer gewissen Panik verbunden. Erst habe ich Angst, dass ich nicht genug bekomme, und dann ist es mir unangenehm, wie viel ich mir auf den Teller schaufle.“

Auch im Leid des Schlaganfallpatienten steckt Slapstick

Und so wandelt der Roman-Meyerhoff zwischen „Hirnkino“ und „Flurballett“, spekuliert über Ernst Jüngers uralte Hoden, wird im Klinikgarten von neun Hamstern beobachtet, mäandert durch Überlegungen und Beobachtungen wie einen „Klostau“ der Mitpatienten, Früchtetee, der wie „verflüssigte Depression“ schmeckt, oder das (eigentlich sattsam bekannte, aber erheiternd nacherzählte) Missgeschick der früheren Thomas-Gottschalk-Ehefrau Thea, die in Kalifornien zwar das Katzenklo aus den Flammen des brennenden Anwesens rettete, nicht aber eine gerahmte Original-Rilke-Handschrift. Und auch im Leid eines Schlaganfallpatienten steckt Slapstick, man muss sich nur trauen. Sich an die eigene Nase zu fassen ist in diesem Buch jedenfalls eine auf vielen Ebenen wiederkehrende Tätigkeit.

Einen Schauspieler ausgerechnet für seine Gedächtnisleistung zu bewundern („So viel Text. Wie kann man sich das nur alles merken?“), während er wegen eines Hirnunfalles ins MRT geschoben wird, lässt hingegen Fingerspitzengefühl vermissen, wie Meyerhoff süffisant vermerkt – birgt andererseits eine Komik, die jemand wie er geradezu dankbar aufgreift. Schön ist die Wortschöpfung „Verlierervirtuose“. Ein solcher nämlich ist Meyerhoff. Jemand, der einen teuren Plattenspieler auf dem Autodach oder wärmende Kleidung bei einer Bergwanderung vergisst und daraus Literatur schafft, deren Pointen grundsätzlich auf die eigenen Kosten gehen. Komik entsteht aus Tragik, das hat dieser Autor spätestens am Theater gelernt.

Der Mut zur Selbstentblößung trifft auf die Lust am Fabulieren

Bei Joachim Meyerhoff, der behauptet, „einzig aus dem Kompensieren von Defiziten Kunst zu machen“, trifft der Mut zur Selbstentblößung auf eine Lust am Fabulieren, einen sinnlichen Zugang zur Sprache und eine enorme Begabung zur Pointensetzung. Alles Fähigkeiten, in denen der Schriftsteller Meyerhoff vom Schauspieler Meyerhoff profitieren dürfte.

Was am Ende natürlich trotzdem nichts erklärt – eine solch herausragende Doppelbegabung ist nicht „logisch“, auch wenn hier jemand sein Handwerk beherrscht: „Nun bin ich natürlich jemand, der gerne übertreibt, einer, der (...) es genießt, alles ein bisschen größer und pointierter zu drehen“, weiß der Ich-Erzähler. Und hat in demselben Maße ein Gespür dafür, wann es Zeit ist, das „Hallodrihafte“ beiseite zu lassen. Verletzlichkeit zeigt sich nicht zuletzt in der Zärtlichkeit und Zuneigung, mit der er die Frauen (Partnerinnen und Töchter) in seinem Leben beschreibt.

"Ich konnte aus fast allem Geschichten machen, aber aus fast nichts Normalität"

Und dann kommen Sätze, die hauen richtig ins Kontor, und all das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Durchaus ernsthaft reflektiert Meyerhoff Trauer, Traumata, Ängste und seine eigenen Erziehungs-Skills und kommt zu einem Schluss, der seinen Lesern gefallen dürfte, den echten Menschen in seinem echten Leben womöglich nicht immer. Denn die Selbsterkenntnis beschreibt einerseits ein Talent und ist andererseits ziemlich traurig. Auch diese Parallelität formulieren zu können, macht ihn aus, den Meyerhoff-Sound: „Ich konnte aus fast allem Geschichten machen, aber aus fast nichts Normalität.“

Die Lesung mit Joachim Meyerhoff in der Elbphilharmonie am 18.10. ist bereits ausverkauft.