Hamburg. In der L’Apotheque von Anna Genger tauchen Besucher in die Geschichte des Lustgewinns ein – ohne Schmuddel oder anzügliche Details.
Was macht man als freie Künstlerin mit der seit 1969 bestehenden mütterlichen Apotheke auf St. Pauli? Umschulen zur Pharmazeutin? In Corona-Zeiten eine Möglichkeit. Oder man richtet in den denkmalgeschützten Räumen ein privates Museum für historisches Sexspielzeug und Gegenwartskunst ein. In der „L’Apotheque“ von Anna Genger an der Clemens-Schultz-Straße 90 tauchen Besucherinnen und Besucher seit vergangenem Wochenende in eine kleine Objektgeschichte der Lustgewinnung ein.
In Medizinerschränken und -regalen sind unterschiedliche Vibratoren ausgestellt: vom ersten elektrisch aufladbaren Gerät über möglichst originalgetreue Nachbildungen von Penissen bis zu Dildos in Delfin- und Pinguinform. Es gibt sie aus Holz und – als Statement – in Regenbogenfarben, ein Hightech-Modell bietet App-Ankoppelung, um die Stimulationsfrequenzen zu dokumentieren und optimieren.
Ausstellung Sexspielzeug: Ursprung des Vibrators waren medizinische Massagegeräte
Dass eine alte Apotheke mit ihrem typischen Duft nach Tinkturen, Salben und Hygienemitteln den Rahmen gibt, mag zunächst abwegig erscheinen, hat aber durchaus Referenzen in die Vergangenheit. Denn der Ursprung des Vibrators waren einst medizinische Massagegeräte, die von Ärzten zur Muskelentspannung und Schmerzlinderung eingesetzt wurden.
Dass dabei auch erogene Zonen erwischt wurden, war weder beabsichtigt noch erwünscht. Die mehr oder weniger zufällig erzeugten „Nebenwirkungen“ wurden in den 1950er- und 60er-Jahren tabuisiert und verschwiegen.
Ein Schwarz-Weiß-Film etwa zeigt, wie ein Mann während einer Massage von zwei attraktiven Damen eine Erektion bekommt oder wie eine Frau sich bei einer Ganzkörperbehandlung mit Massagedüsen Lust verschafft. Erst ab den 1970er-Jahren, im Zuge von freier Liebe und befreiter Körperlichkeit, wurde offener über Intimität, sexuelle Wünsche und Bedürfnisse gesprochen und der Weg für Sexspielzeuge aller Art geebnet.
Idee zur Sexspielzeug-Ausstellung kam durch einen Freund
„Nur mit zeitgenössischer Kunst hätten wir kein Alleinstellungsmerkmal auf St. Pauli gehabt“, sagt Anna Genger mit Blick auf das Erotic Art Museum an der Bernhard-Nocht-Straße. Durch einen Freund kam die Idee auf, auch Sexspielzeuge auszustellen.
Aber woher nehmen? Der legendäre Fotograf Günter Zint, der ein enger Freund der Familie Genger ist, stellte den Kontakt zu Nadine Beck her. Die Hamburger Kulturwissenschaftlerin hat ihre Dissertation über die Geschichte des Vibrators geschrieben und bereits eine Ausstellung zu diesem Thema im Erotic Art Museum gezeigt. Sie ist die Sammlungsgeberin der „L’Apotheque“.
Anna Genger hat bis zu ihrem 19. Lebensjahr auf St. Pauli gewohnt, zog später nach Berlin, London und New York. „In Hamburg habe ich immer diese Weltbürgerlichkeit vermisst“, sagt sie. Mit ihrem kleinen Museum schwebt ihr nun ein Salon vor, „der zu Gesprächen sowohl über Kunst als auch über Körperlichkeit einlädt, in dem sich niemand fremdschämen muss wie in einer RTL2-Doku über Swingerclubs“.
Schmuddelgeschichten oder anzügliche Details sind hier nicht zu finden
Mit Bianca Müllner hat sie dafür die ideale Partnerin gefunden. Die Kuratorin, die unter anderem die Jahresausstellungen des Berufsverbands bildender Künstler im Kunsthaus Hamburg verantwortet, hat die Ausstellung in der „L’Apotheque“ eingerichtet.
Schmuddelgeschichten oder anzügliche Details sind hier, mitten im Amüsierviertel Hamburgs, nicht zu finden. Stattdessen bekommt das Publikum Führungen mit ganz persönlichen Schwerpunkten geboten, mal von Anna Genger, deren Familiengeschichte mit dem Museum eng verbunden ist, mal von der Sexspielzeug-Expertin Nadine Beck, mal von Bianca Müllner mit künstlerischer Perspektive, die die Sammlung als „Super-Sprungbrett für die künstlerische Auseinandersetzung“ sieht.
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Sobald die hinteren Räume vom Brandschutz freigegeben sind, können dort wechselnde Ausstellungen gezeigt werden, die sich mal mehr, mal weniger direkt auf erotische oder sexuelle Themen beziehen.
Im Moment hängen dort die Jalousienbilder des Hamburger Künstlers Stefan Mildenberger an den Wänden, gegenüber stehen von Paul Westcombe bemalte Kaffeebecher in Glasvitrinen. In einem Nebenraum sind Ikonenbilder der Hamburgerin Penny Monogiou und ist das Geschenk eines Gastes – Anna Nicole Smith als Playmate – ausgestellt.
„L’Apotheque“, Clemens-Schultz-Straße 90 (U St. Pauli), geöffnet nach Vereinbarung, Eintritt mit Führung ab 6,-, www.lapotheque.de (Ticketshop)