Hamburg. Der Musiker F.M. Einheit lärmte früher bei den Einstürzenden Neubauten, jetzt schafft er in Hamburg Theatersounds. Über seine Karriere.
Ein Feuerwehrzug bahnt sich mit lautem Martinshorn seinen Weg durch den dichten Feierabendverkehr an der Mundsburg. Es folgen ein Krankenwagen und ein Polizeiauto mit ohrenbetäubendem Tatütata. „Was ist denn hier los?“, fragt F.M. Einheit und hält sich kurz die Ohren zu. Der Vorplatz des Ernst Deutsch Theaters ist kein ruhiger Interview-Ort, doch der Musiker hat in seiner langen Karriere schon ganz andere Lautstärken ausgehalten – besonders als er noch als Schlagwerker bei den Einstürzenden Neubauten tätig war.
Auch der Verkehrslärm stört ihn nicht. „Alles, was ich um mich höre, ist Musik“, sagt er und steckt sich die nächste Zigarette an. Rauchen und über Klang nachzudenken, das gehört bei ihm zusammen. Noch bis zur Premiere von „Träum weiter“ am 19. August wird sich F.M. Einheit in Hamburg aufhalten, er schreibt die Musik für die Auftaktinszenierung am Ernst Deutsch Theater.
F.M. Einheit schon lange nicht mehr in Hamburg gearbeitet
Etwa 150 Theatermusiken hat F.M. Einheit, der von seinen Freunden Mufti genannt wird, in den vergangenen 30 Jahren komponiert. 1987 stand er mit den Neubauten bei Peter Zadeks umstrittenem Stück „Andi“ auf der Bühne, später hat er am Thalia Theater Musik für „Leonce und Lena“ und „Roberto Zucco“ entwickelt, später immer wieder mit Regisseuren wie Hasko Weber, Barbara Neureiter oder Jacob F. Schokking gearbeitet. Auch Mohammad-Ali Behboudi, den Regisseur von „Träum weiter“, kennt er seit Jahren von gemeinsamer Arbeit am Theater Oberhausen. „Wir wissen, wie jeder von uns tickt. Außerdem habe ich ewig nicht mehr in Hamburg gearbeitet. Deshalb habe ich das Angebot angenommen“, erzählt er.
Seit vielen Jahren lebt Einheit in dem kleinen oberbayrischen Dorf Tittmoning. Aber er hat auch eine Hamburger Geschichte. Geboren in Dortmund kam er als 20-Jähriger nach Hamburg, um hier fünf Jahre lang als Schlagzeuger in der Punkband Abwärts zu trommeln. Seine nächsten Stationen waren die Einstürzenden Neubauten sowie diverse Seitenprojekte. Er hat ein Album der Hamburger Inklusionsband Station 17 produziert und an Fatih Akins Kinofilm „Der goldene Handschuh“ mitgewirkt.
Cello-basierte Sounds für „Träum weiter“
Für „Träum weiter“ hat Einheit bereits vor eineinhalb Jahren angefangen Musik zu konzipieren, dann kam die Corona-Pause. „Im Stück spielt die Protagonistin eine Flöte, wir haben daraus ein Cello gemacht. Ich habe also viel Cello-basierte Sounds kreiert und nach Hamburg geschickt.“ Erst in der letzten Probenphase kam er ans EDT, um zu sehen, ob die Musik zum Bühnengeschehen passt.
„Es macht keinen Sinn dauernd zwischen Bayern und Hamburg zu pendeln. Ich schicke Mohammad Vorschläge, der schaut, ob es passt, und wenn nicht, überarbeite ich es in meinem Studio. Das ist effizienter und auch umweltschonender“, sagt er. „Träum weiter“ spielt in einer Zwischenwelt, die Protagonistin liegt im Koma und befindet sich am Übergang zwischen Leben und Tod. „Das ist ein spannender Raum, der viel Fantasie erfordert. Das gefällt mir.“
Einheit entwickelt Schallarchiv über Jahrzehnte weiter
Seine Kompositionen kommen aus dem „Baukasten“, womit F. M. Einheit sein Schallarchiv meint, das er über Jahrzehnte weiterentwickelt hat und aus dem er für die unterschiedlichen Projekte schöpft. Aus Rhythmen und Klangfarben schafft „Mufti“ mit den immensen digitalen Möglichkeiten seines Studios Stimmungen und melodische Akzente: „Es geht darum, durch die Musik über Spiel und Sprache hinaus eine weitere Dimension hinzuzufügen. Es geht nicht um Konkurrenz zu den Schauspielern, sondern um die Erweiterung des Raumes.“
Raum ist ein zentraler Begriff in seinem Denken und in seiner vielfältigen künstlerischen Arbeit. Dazu gehören viele Hörspiele, die er mit dem Schriftsteller und Fernsehproduzenten Andreas Ammer in seinem Studio umgesetzt hat. Für Arbeiten wie „Crashing Aeroplanes“, oder „Apocalypse Live“ ist das Duo mit renommierten Preisen ausgezeichnet worden. Auch als Stummfilmbegleiter tritt Einheit immer wieder mal auf; Konzerte gibt er zusammen mit Freigeistern wie dem Gitarristen Caspar Brötzmann oder dem Organisten Hans-Joachim Irmler von der Krautrock-Band Faust.
Musiker F.M. Einheit: Ruf als Berserker
F.M. Einheit eilt ein Ruf als Berserker voraus. In seiner Zeit bei den Neubauten trommelte er mit Hämmern auf schweren Eisenplatten, setzte Flex und Bohrmaschinen ein, mit einem ganzen Sammelsurium aus Metall und Steinen erzeugte er auf der Bühne Lärm jenseits der Schmerzgrenze. „Es war eine intensive Zeit mit den Neubauten. Wir haben die Welt auseinandergenommen. Aber heute könnte ich diese Musik nicht mehr machen und Bühnen abreißen. Ich würde mir vorkommen wie ein Clown“, blickt er zurück. „Auch die Baustellen haben sich verändert. Wir könnten gar nicht mehr den Schrott klauen, den wir in den 80ern geklaut haben. Den gibt’s gar nicht mehr“, lacht er und fingert die nächste Zigarette aus der Schachtel.
Lesen Sie auch:
- Shakespeare vor dem Untersuchungsgefängnis
- Sommerfestival: Ein Tanzstück über Tod und Wiedergeburt
- Kampnagel: Figurentheater der härteren Sorte
Die Theatermusik am EDT zu Nesrin Şamderelis surrealer Komödie ist innerhalb von Einheits Aktivitäten nur ein kleines Zwischenspiel. Wichtiger ist für den Perkussionisten die Arbeit mit Teodor Currentzis und seinem Orchester MusicAeterna. Seit zwei Jahren ist Einheit „composer in residence“ für das in St. Petersburg residierende Ensemble. „Ich habe bereits zwei Stunden Musik für Chor und Orchester geschrieben, aber wir haben es wegen Corona noch nicht aufführen können.“ Zur Verbindung zwischen ihm und dem Star-Dirigenten kam es durch einen Brückenschlag in die Vergangenheit: „Teodor und sein Bruder haben als Teenager oft Neubauten gehört.“
„Träum weiter“ Premiere Do 19.8., 19.30, Ernst Deutsch Theater (U Mundsburg), Friedrich-Schütter-Platz, Karten unter T. 22701420 oder www.ernst-deutsch-theater.de