Hamburg. Miet Warlop reaktiviert beim Sommerfestival in Hamburg ihr zwölf Jahre altes Stück „Springville“. Zuschauer erwartet ein Knalleffekt.
Auf der Bühne steht ein Kartonhaus, wie es ein Kind bauen würde: vier Wände, eine Tür, ein Fenster, auf dem spitzen Dach ein Schornstein. Nur der Sicherungskasten an der Mauer irritiert: einerseits, weil er in seiner detailgenauen Anmutung ganz anders aussieht als das aus grobem Karton gefertigte restliche Haus. Und andererseits, weil er Beine hat – zwei Frauenbeine, um genau zu sein, weiße Socken in schwarzen Sandalen, die gelangweilt kleine Tanzschritte ausprobieren, so gut wie es eben möglich ist, wenn man an der Wand hängt.
Die belgische Figurentheatermacherin Miet Warlop arbeitet häufig mit solchen Mischwesen zwischen Objekt und Mensch, regelmäßig ist sie mit ihren mal liebevoll detailgetreuen, mal brutalen Stücken zu Gast beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel. Die aktuelle Produktion „After All Springville“ ist eine Neubefragung des zwölf Jahre alten Stücks „Springville“: Man beobachtet die Bewohner des Kartonhauses und seine halbmenschlichen Einrichtungsgegenstände, wie sie miteinander in Kontakt treten.
„After All Springville“ auf Kampnagel beginnt actiongeladen
Ein Tisch stöckelt auf Highheels über die Szene, ein Kartonwesen furzt blauen Rauch in die Luft, ein riesenhafter Sportler joggt überraschend flink um das Häuschen, und einmal gibt es beeindruckenden Slapstick, als ein menschlicher Körper durchs Fenster geworfen wird.
„After All Springville“ beginnt also niedlich, actiongeladen und sportiv. Doch unmerklich schleicht sich ein dunkler Zug in das Stück ein – dem lustigen, kleinen Kartonwesen wächst ein Stab aus dem Körper, eine Nase vielleicht? Aber als das Wesen seinen Stab dem Damenbeintisch unter den Rock schiebt, beschleicht einen das Gefühl, dass es sich hier auch um eine andere Extremität handeln könnte. Und der Sicherungskasten sprüht erst lustig Funken, doch nach einer Weile erleidet er einen Kurzschluss und explodiert. Und liegt darauf in der Ecke. Ist er tot? Mit ziemlicher Sicherheit.
„After All Springville“ nur bedingt für Kinder tauglich
Bei Figurentheater wie dem von Miet Warlop fragt man sich immer wieder: Ist das jetzt was für Kinder? Oder eher nicht? Einerseits pflegt Warlop den kindlich-naiven Blick, in dem immer auch die Freude an der überraschenden Wendung liegt. Andererseits führen diese Wendungen manchmal auch in eine Drastik, die sich gar nicht so einfach aushalten lässt. „After All Springville“ jedenfalls mag kindgerechtes Theater sein, aber die Kinder, die sich dem aussetzen, sollten etwas härter im Nehmen sein.
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„Springville“ ist seit seiner Premiere gut gealtert, als Stück zwischen Spaß und Verstörung, zwischen düsterem Grand Guignol und anarchischem Zeichentrick, zwischen höherem Blödsinn und Kunst – das Motiv des lebenden Tischs etwa hat sich verselbstständigt, wurde von Warlop als Installation in die Londoner Lisson Gallery transferiert und kehrt mit „After All Springville“ jetzt zurück auf die Theaterbühne.
Kampnagel: Warlop inszeniert Zerstörung kreativ
Es ist schön, zu beobachten, wie diese Kunst immer in Bewegung bleibt, ein lebender Organismus, bei dem nicht klar ist, was aus ihm wird. Wobei – dass am Ende die Zerstörung stehen wird, das spürt man schon in den ersten Minuten des Abends. Wie unterhaltsam, kreativ, berührend Warlop diese endgültige Zerstörung aber inszeniert, das ist dann doch wieder eine Überraschung. Ein Knalleffekt, wenn man so will.