Hamburg. Das „Manifest Restart“ soll zeigen, wie Veranstaltungen trotz Corona machbar sind. Ein Gespräch über Chancen und Risiken.

Das Coronavirus hält die Club- und Konzertszene nach wie vor im eisernen Griff. Euphorisches Tanzen zu wummernden Technobeats? Mit Zehntausenden einer Festivalband zujubeln? Derzeit ebenso unmöglich wie ein kleines, feines Singer/Songwriter-Konzert mit nummerierten Sitzplätzen unter freiem Himmel. Das grundsätzliche Verbot ist die Maxime, eine differenzierte Betrachtung der Situation bleibt aus. So sieht es das Forum Veranstaltungswirtschaft, das jetzt mit dem „Manifest Restart“ ein Konzept vorgestellt hat, mit dem der Konzert- und Club-Neustart gelingen soll.

Zusammengeschlossen sind in diesem Forum fünf maßgebliche Verbände des Wirtschaftsbereichs: der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft, der Europäische Verband der Veranstaltungs-Centren, die Interessengemeinschaft der selbstständigen Dienstleisterinnen und Dienstleister der Veranstaltungswirtschaft, der Verband der Musikspielstätten in Deutschland (LIVEKOMM) und der Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik. Knust-Geschäftsführer Karsten Schölermann war viele Jahre LIVEKOMM-Vorsitzender und ist dort aktuell Sprecher für den Arbeitskreis Politik.

Hamburger Abendblatt: Der Lockdown ist erneut verlängert worden, da legt Ihre Initiative ein Konzept vor, das wieder Veranstaltungen ermöglichen soll. Wie passt das zusammen?

Karsten Schölermann: Wir leiden seit fast einem Jahr unter einem Veranstaltungsverbot, Konzerte wurden um ein Jahr verschoben und wir sind bereits dabei, noch weiter zu verschieben. Jetzt geht es darum, den Verantwortlichen in der Politik zu vermitteln, dass Veranstaltungen per se nichts Schlimmes sind, sondern dass es um das jeweilige Maß und die Konzeption gehen muss. Wenn wir keine Veranstaltungsangebote machen, laufen die Parks über, gibt es illegale Raves und Privatpartys, die überhaupt nicht zu kontrollieren sind. Das war bereits im vergangenen Sommer so. Die Menschen suchen sich ihre Orte, an denen sie ihre Kultur leben und erleben können.

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg im Überblick

  • Alle Regeln, die im Rahmen der Eindämmungsverordnung bis zum 10. Januar gelten sollten, werden grundsätzlich bis zum 14. Februar verlängert – ein Großteil des Einzelhandels bleibt geschlossen, bestellte Waren dürfen aber abgeholt werden. "Körpernahe Dienstleistungen" wie Friseure, Nagel-, Massage- und Tattoo-Studios dürfen nicht angeboten werden. Auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit bleibt verboten.
  • Kontaktregeln Angehörige eines Haushalts dürfen sich nur noch mit einer weiteren Person treffen. Ausnahmen für Kinder gibt es nicht.
  • Die Maskenpflicht wird angepasst: Stoffmasken reichen in den meisten Fällen nicht mehr aus. Stattdessen müssen medizinische Masken (mindestens OP-Masken, auch FFP2- oder KN95-Masken sind möglich) getragen werden. Bis zum 1. Februar gilt eine Übergangsphase, danach werden Verstöße mit Bußgeldern geahndet.
  • Kitas und Schulen: Die Präsenzpflicht an den Schulen bleibt aufgehoben, stattdessen soll so weit wie möglich Distanzunterricht gegeben werden. Kinder sollen – wann immer möglich – zu Hause betreut werden. Die Kitas wechseln in die "erweiterte Notbetreuung". Die privat organisierte Kinderbetreuung in Kleingruppen bleibt gestattet.
  • Arbeitgeber sind angehalten, so weit wie möglich ein Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Zusätzlich soll eine neue Bundesverordnung Arbeitgeber dazu verpflichten, Homeoffice anzubieten, so weit das möglich ist. Betriebskantinen dürfen nur öffnen, wenn sie für den Arbeitsablauf zwingend erforderlich sind.
  • Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen Wert über 200 steigen, müsste eine Ausgangsbeschränkung erlassen werden, die den Bewegungsradius auf 15 Kilometer rund um den Wohnort einschränkt. Wie genau diese Regel in Hamburg angewandt würde, ist noch nicht bekannt – der Senat will darüber entscheiden, sollte sich die Inzidenz dem Grenzwert annähern.
  • Senioren- und Pflegeeinrichtungen sollen mehrmals pro Woche Personal und Besucher testen. Das war in Hamburg schon verpflichtend und gilt nun bundesweit.
  • Zwei-Test-Strategie bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten: Ein Corona-Test direkt nach der Einreise ist verpflichtend, die zehntägige Quarantäne kann frühestens fünf Tage nach der Einreise durch einen weiteren Test verkürzt werden. Die Kosten für die Tests werden nicht übernommen.

Welches Konzept setzen Sie dagegen?

Unser Konzept sieht vor, jede Veranstaltung individuell zu bewerten. Wir arbeiten mit sechs Risikostufen abhängig vom Inzidenzwert, also von sehr niedriger bis sehr hoher Inzidenz. Dann schauen wir, ob es eine Veranstaltung mit regionaler oder überregionaler Ausstrahlung ist. Bei Großveranstaltungen mit 100.000 Besuchern muss die nationale Inzidenz beachtet werden, bei einem Konzert im Knust nur die Hamburger. Jeder Veranstalter kann dann entscheiden, ob er ein einfaches, ein umfangreiches oder ein sehr umfangreiches Maßnahmenpaket umsetzt. Da reicht die Spannbreite vom Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln bis zu Schnelltests oder dokumentierten Impfungen.

Je umfangreicher die Maßnahmen, desto größere Kapazitäten sind möglich. Bedeutet etwa: Wenn wir durch die Voraussetzung eines Schnelltests eine „Sichere Zone“ schaffen, gibt es keinen Grund mehr, die Kapazität zu reduzieren. Bei Veranstaltungen mit 100.000 Teilnehmern lässt sich ein solches Schnelltest-Konzept derzeit vermutlich nur mit großem logistischen Aufwand umsetzen, aber bei 500 bis 5000 Teilnehmern geht das sehr wohl. Natürlich fließt in die Risikobewertung auch ein, ob eine Veranstaltung im Freien oder in einem geschlossenen Raum stattfindet, wie lange sie dauert, ob gesessen oder gestanden wird.

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Ob eine Veranstaltung durchgeführt werden kann, hängt nach ihrem Vorschlag maßgeblich vom aktuellen Inzidenzwert ab. Was geschieht, wenn dieser Wert zum Zeitpunkt des Kartenverkaufs sehr niedrig war, zum Zeitpunkt des Konzerts aber wieder deutlich erhöht ist?

Wir hatten eine solche Situation ja bereits im Herbst. Da haben wir dann die Personenanzahl eingelassen, die noch erlaubt war, die anderen haben einen Streamingzugang bekommen, um das Konzert zu Hause gucken zu können. Entweder es finden sich genügend Kartenkäufer, die auf einen Stream ausweichen oder es wird gelost. Alternative: Wir machen zwei Konzerte an einem Abend. Die Künstler sind dazu eigentlich immer bereit.

Viele in Ihrem Konzept aufgeführte Szenarien dürften defizitär sein, weil nicht ausreichend Karten verkauft werden können oder zusätzliche Kosten für Schnelltests durch geschultes Personal entstehen. Wie soll dieses Defizit ausgeglichen werden?

Die anfallenden Kosten für die Tests wären durch das Überbrückungsgeld III abgedeckt. Als Clubbetreiber kann ich 20.000 Euro pro Monat bekommen. Wenn ich beispielsweise die Besucher von zwölf Konzerten im Knust in einem Monat durchteste, ist es möglich, das mit diesem Geld zu finanzieren. Günstiger wäre es aber wohl, für alle Hamburger Clubs ein gemeinsames Testzentrum umzusetzen, sodass sich der Preis pro Test auf sechs bis 15 Euro senken lässt. Dann wäre ein Konzert auch wirtschaftlich sinnvoll.

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Für die Clubs und Hallen haben Sie sehr differenzierte Durchführungskonzepte und -voraussetzungen entwickelt. Aber wie sieht es mit der Anreise der Besucher aus? In der vollen S-Bahn Richtung Barclaycard Arena greifen Ihre Konzepte ja nicht …

Bereits vor sieben Jahren haben wir mit dem Projekt der Fahrradgarderoben begonnen und vertrauen darauf, dass viele Besucher ohnehin mit dem Rad kommen, weil sie zum Beispiel die vollen Shuttlebusse zur Arena vermeiden wollen. Wir setzen da auf die Eigenverantwortung der Besucher und sind sicher, dass dem auch entsprochen wird. Auswärtige können mit dem Auto anreisen, und ich bin mir sicher, dass sich diese Besucherströme lenken lassen.

Wie lässt sich verhindern, dass Besucher aus Gebieten mit hoher Inzidenz für ein Konzert in ein Gebiet mit niedriger Inzidenz reisen? Die Inzidenz als ein Richtwert für die Durchführung von Veranstaltungen könnte so doch ad absurdum geführt werden.

Tatsächlich wird es schwieriger, je größer die Veranstaltung ist. Bei einem Festival wie beispielsweise dem Wacken Open Air mit internationalen Besuchern müsste man die Welt-Inzidenz zur Grundlage nehmen, was natürlich viel zu ungenau ist. Also kann es eigentlich nur die Antwort geben, den Kartenverkauf national zu begrenzen. Überhaupt können wir momentan nur nationale Konzertprogramme veranstalten. Für internationale Programme bräuchte es auch die entsprechenden Reiseregelungen, die wir derzeit nicht haben.

Das heißt, an ein Wacken Open Air ist in diesem Sommer gar nicht zu denken?

Doch, durchaus. Aber ich würde daraus eine Schleswig-Holstein-Edition mit schleswig-holsteinischen Metalbands machen. Natürlich ist das gewöhnungsbedürftig, aber wir haben ja alle einen Kulturauftrag. Wir sollen Kultur anbieten, auch wenn wir etwa im Knust nur 50 Besucher zulassen können. Die Kulturbehörde unter Carsten Brosda unterstützt uns in dieser Hinsicht sehr und hat einen großen Rettungsschirm aufgespannt.

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Bei allen Gesprächen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten spielten Einzelinteressen eine große Rolle, und es war bisher sehr schwer bis unmöglich, zu einheitlichen Regelungen zu kommen. Sehen Sie eine realistische Chance, dass Ihr Konzept bundesweit auf Zustimmung stößt?

Kultur ist Ländersache, und ich gehe davon aus, dass es mühevoll wird, in allen 16 Bundesländern den Gesprächsfaden aufzunehmen – auch wenn alle wissen, dass, die Veranstaltungsbranche mit einem Jahresumsatz von 130 Milliarden Euro eine der größten des Landes ist. Ich hoffe, dass unsere Expertise erkannt wird und nicht die auf dem Gebiet der Veranstaltungs- und Sicherheitstechnik eher unerfahrenen Verwaltungen darauf bestehen, uns zu sagen, was wir zu tun haben.

Es darf nicht erneut der Fehler gemacht werden, Veranstaltungen einfach ohne Prüfung der Umstände und Konzepte grundsätzlich zu verbieten oder wahllos auf maximal 1000 Besucher zu deckeln. Man darf auch nicht weiterhin ganze Kultursparten, etwa die Technoclubs, bei der Diskussion aussparen und nur in Sinfonieorchestern denken. Mit einer „Sicheren Zone“ aus Getesteten wäre vieles möglich!

So sah es mal vor Corona bei den „Knust Acoustics“ auf dem Lattenplatz aus.
So sah es mal vor Corona bei den „Knust Acoustics“ auf dem Lattenplatz aus. © Knust | Unbekannt

Was glauben Sie ganz persönlich: Wann wird es wieder Konzerte mit Publikum
geben?

Ich hoffe, dass wir einen Sommer mit 10er-Inzidenz vor uns haben, in dem wir experimentieren können. Es wäre fatal, wenn aus Angst nichts erlaubt würde, denn dann sind auch die Grundlagen für den Konzertsommer 2022 dahin. Als Optimist gehe ich davon aus, dass wir bereits im Mai wieder Open-Air-Sitzkonzerte erleben werden. Dass das Virus im Herbst weg ist, erwartet niemand, aber wir müssen alles dafür geben, wieder Konzerte veranstalten zu können.

Spielen die aktuellen Mutationen bei Ihren Überlegungen eine Rolle?

Natürlich bereiten die uns Sorgen, weil die aktuellen Mahnungen zur Vorsicht unserer Experimentierbereitschaft entgegenstehen. Aber man darf diese Experimentierbereitschaft nicht mit Leichtsinn gleichsetzen. Letztlich kommen wir nicht umhin, mit der Bedrohung durch das Virus genauso umzugehen wie mit der Bedrohung durch den Terrorismus. Jeweils mithilfe der entsprechenden wirkungsvollen Konzepte.

Und was passiert, wenn es im Herbst immer noch keine Konzerte gibt?

Als Knust können wir durch die November- und Dezemberhilfe einen so kräftigen Schluck aus der Pulle nehmen, dass wir in der Lage sind, dieses Jahr durchzuhalten. Für große Veranstalter mit internationalen Künstlern sieht das ganz anders aus. Wenn die 2021 nichts veranstalten können, stehen ganze Lebenswerke vor der Vernichtung.

Infos zum „Manifest Restart“ unter forumveranstaltungswirtschaft.org