Hamburg. Alles begann mit der Tropfsteinmaschine: Die Galerie der Gegenwart startet mit der spannenden Ausstellung „Futura“ in ihr 25. Jahr.

25 Jahre. Das ist heute schon was. Wer bleibt schon so lange einem Betrieb treu, einem Verein oder einer Lebenspartnerschaft? Auch für ein zeitgenössisches Museum ist ein Vierteljahrhundert irgendwie schon eine kleine Ewigkeit, ist doch das In-die-Jahre-Kommen geradezu der Kontrapunkt zum Gegenwartsprinzip. Es sei denn, man beherbergt ein so extraordinäres Kunstwerk wie die Tropfsteinmaschine. Dann wird alles relativ.

Der Düsseldorfer Künstler Bogomir Ecker, Jahrgang 1950, installierte seine Erfindung kurz bevor die Galerie 1997 eröffnet wurde; seitdem tropft und tropft und tropft es vom Dachgeschoss durch ein aufwendiges Rohrsystem bis ins Sockelgeschoss. Alle drei Minuten und etwa zehn Sekunden fällt ein Tropfen, der sich zuvor aus Regenwasser gespeist hat, auf eine Marmorplatte. Nach 100 Jahren wird die Maschine zehn Millimeter Bodensatz produziert haben.

Hamburger Kunsthalle: Wie Kunst versucht, die Zeit einzufangen

Das Publikum kann entweder durch ein Biotop im Foyer oder durch die matten Glasscheiben des grün schimmernden Maschinenraums dieser sperrigen Apparatur beim stetigen Bilden eines Tropfsteins zusehen. Im Wissen, dass man das Endprodukt ganz sicher nicht wird miterleben können. Der Tropfstein e. V., der seinen Sitz in der Willistraße und momentan 26 Mitglieder hat, schreibt den Betrieb bis ins Jahr 2496 fest. Erst dann darf die Hamburger Kulturbehörde die Tropfsteinmaschine abschalten. Also jetzt noch schlappe 474 Jahre.

Die Zeit, die Zeit. Um sie dreht sich alles in der neuen Sonderausstellung „Futura“, mit der die Galerie der Gegenwart in ihr Jubiläumsjahr startet. Leiterin Brigitte Kölle hat sie zusammen mit Bogomir Ecker kuratiert. Für sie ist er „ein genialer Denker in Bildern“. Mit Bildern und einer Reise durch alle Räume des Museums hat die Ausstellung, für die im ersten Geschoss alle Trennwände entfernt wurden, angefangen. Was zeigt man, wenn man so etwas Allgegenwärtiges, aber doch Flüchtiges, Nicht-Greifbares wie die Zeit sichtbar machen will? Man könne „unendlich philosophisch über das Phänomen diskutieren“, sagte Bogomir Ecker bei der Pressekonferenz. „Es war mir aber wichtig, dass die Objekte direkt, haptisch und sinnlich erfahrbar sind.“

Inspiration zur Tropfsteinmaschine: US-Pressefoto einer Eishöhle aus dem Jahr 1963. 
Inspiration zur Tropfsteinmaschine: US-Pressefoto einer Eishöhle aus dem Jahr 1963.  © Fotoarchiv Bogomir Ecker

Statt unendlich philosophieren sinnlich erfahren

Tatsächlich sind die gedachten Bezüge der beiden Kuratoren sehr gut nachvollziehbar, ohne dabei ihre Spannung zu verlieren. Da liegen Axel Loytveds Bronzeabgüsse von Schneeklumpen, die sich im Winter an Radkästen von Fahrzeugen gebildet haben. Gegenüber sind Fotografien verschiedener Gletscher aus Europa, Amerika und Grönland ausgestellt, die in der Form heute gar nicht mehr existieren. Bogomir Ecker hat silberne Stillleben bei minus 20 Grad in Gefriertruhen versiegelt.

Sarah Lucas’ „Future“, Eierkarton aus Gips.
Sarah Lucas’ „Future“, Eierkarton aus Gips. © Fotoarchiv Bogomir Ecker

Das Thema Vergänglichkeit spiegelt sich ebenso in Caspar David Friedrichs Gemälde „Skelette in der Tropfsteinhöhle“ von 1826 wie in Katinka Bocks „Trostpfützen“-Installation, die knapp 200 Jahre später entstanden ist und an Tränenschalen erinnert. Auf dem Boden sind mehrere grüne, mit Wasser gefüllte Keramikschalen platziert, die ihre Feuchtigkeit nach und nach in die Atmosphäre abgeben.

Es tropft, es friert, es verknotet sich in der Kunsthalle

Gravuren aus den Steinzeithöhlen von Fontainebleau und der Zahn eines Wollhaarmammuts, den eine Mitarbeiterin der Kunsthalle aus der geologischen Sammlung ihres Ehemannes beigesteuert hat, treffen auf Zeitgenössisches wie etwa Daniel Janiks beeindruckende Holz-Glasskulptur „Prototyp zur Rückführung von Himmelskörpern“ oder Monika Grzymalas wandfüllende „Raumzeichnung“ aus Klebefolie (beide 2022).

On Kawara empfängt das Publikum mit seiner monotonen Klangspur „One Million Years“ (2002), bei der abwechselnd eine weibliche und männliche Stimme Daten herunterleiern. Und natürlich darf auch das zeitgeistige Medium Film in einer Ausstellung über Zeit nicht fehlen: Edith Dekyndt ist im kleinen Kinosaal mit zwei Videoarbeiten vertreten.

Das Hier und Jetzt erscheint kostbarer denn je

Spuren von Zeit sind auch an einem profanen Seil mit Knoten abzulesen oder wenn sich Newtons Pendel verhakt und die Zeit stockt (Ceal Floyer, 2017). Es tropft also nicht nur in der Galerie der Gegenwart, es friert auch, es verdunstet, es verknotet sich. „Futura“, das ist „Material in all seinen Aggregatzuständen“, so Brigitte Kölle. Und ebenso vielschichtig sei auch die Lesbarkeit und Deutbarkeit der Objekte. Dieses Prinzip zieht sich bis ins Begleitprogramm: Musiker spielen zunächst solo und formieren sich später zu einer Band, neben Vorträgen und Performances wird zu einer intonierten Tropfsteinmaschine geladen.

Bogomir Ecker ist überzeugt davon, dass die „Futura“-Ausstellung genau zur rechten Zeit kommt. Denn während der Pandemie habe das Thema für viele Menschen noch einmal eine ganz neue, größere Bedeutung bekommen. In der Tat: Wenn die Zukunft wie jetzt im Nebel liegt, ist es besonders das Jetzt, das kostbarer denn je erscheint.

„Futura. Vermessung der Zeit“ 14.1.-10.4., Galerie der Gegenwart (U/S Hauptbahnhof), Glockengießerwall 5, Di-So 10.00-18.00, Do 10.00-21.00, Eintritt 14,-/8,- (erm.), www.hamburger-kunsthalle.de