Hamburg. Dirigent und sein musicAeterna-Orchester gastierten mit Strauss und Tschaikowsky in der Elbphilharmonie – heute Abend geht es weiter.
Nun also zwei sehr bewusst ausgewählte Trauermusiken, zwei Schicksals-Sackgassen. In der einen, seinen todtraurigen „Metamorphosen“ für 23 Solo-Streicher, grübelte der greise Richard Strauss kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs erschüttert über den apokalyptischen Zusammenbruch von Werten und die gewaltsame Zerstörung jener Welt nach, in der er groß geworden war.
Die andere – Tschaikowskys „Pathétique“ – ist eine Sinfonie, die sich, allerdings mit ganz anderen musikalischen Mitteln und Vokabeln, von Gewissheiten und Gewohnheiten verabschiedet. Nicht zuletzt, weil sie den Triumph-Gestus nicht ans Ende stellt, sondern bereits in den vorletzten Satz. Und dann weltverloren und schütter im Halbdunkel verendet, statt finalforsch und strahlend auszuklingen.
Konzertkritik: Currentzis zurück in der Elbphilharmonie
Nach seinem SWR-Gastspiel vor einigen Wochen war der Dirigent Teodor Currentzis zurück in der Elbphilharmonie, mit seinem eigenen musicAeterna-Orchester, doch ohne die ursprünglich geplante Neunte von Beethoven, und mit diesem mehrschichtig programmatischen Programm. Denn natürlich sollten beide Stücke mehr als Musik oder gar nur wohlfeil unterhaltende Feierabendunterhaltung sein, sondern auch eine tönende, komplex politische Botschaft.
Ans Publikum, an die westliche Klassik-Welt womöglich. Denn die sieht diesem Dirigenten, der im Großen Saal mit viel und ungetrübtem Applaus begrüßt wurde, gerade sehr genau auf die Finger. Seit – nicht immer fair – über Currentzis’ vermeintliche Nähe oder Ferne zu Putin und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die Unterstützung von Currentzis’ Musik-Betrieb in St. Petersburg durch eine sehr staatsnahe Bank diskutiert wird, sind ihm offenkundig einige Selbst-Gewissheiten abhanden gekommen.
Currentzis brach nach Rang-Unruhe ab
Wie schon beim SWR-Konzert war an diesem Abend nicht mehr nur ein Überwältigenwollender zu erleben, sondern auch ein Künstler, der seinen neuen Standpunkt sucht und innerlich aus dem Lot zu sein scheint. Mit Strauss’ später „Studie“ kam wohl auch deswegen niemand auf der Bühne so richtig zurande. Die ein letztes Mal aufflackernde, verzweifelte Inbrunst, die Strauss in ihr so herzzerreißend schön inszeniert hatte, hielt sich in Grenzen. Diese Musik wurde von den zwei Dutzend Umsetzenden solide gearbeitet, nicht weniger, nicht viel mehr. Man fremdelte mit diesem Tonfall, auf mittelhohem Niveau.
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Keine Spur davon dann beim Tschaikowsky. Nach störender Rang-Unruhe am Beginn brach Currentzis ab und ließ das Solo-Fagott noch einmal, noch extraleiser sein erstes Klage-Motiv über die Streicher legen. Es folgte eine raffiniert spannende, hochdramatische „Pathétique“, die Extreme und virtuos rappelnde Sensationsmomente mit Pauken und Trompeten nicht scheute, während ihr Dirigent weniger extrovertiert als „früher“ effektstolz das Geschehen regelte und die ganze Pracht dieser spätromantischen Musikgeschichtsstunde in Szene setzte.
Konzertkritik: Szenenapplaus am Ende des dritten Satzes
So sehr und derart mitreißend, dass es Szenenapplaus am Ende des dritten Satzes gab. Und wie direkt die Botschaften dieses schwierigen, vielsagenden Konzerts beim Publikum ankamen, demonstrierten die langen Momente lauter Stille nach jedem der beiden Stücke. Die angenehm einfachen Zeiten, in denen eine Tschaikowsky-Sinfonie ausschließlich eine Tschaikowsky-Sinfonie sein konnte, die sind jedenfalls vorbei.
Aufnahme: „Pathétique“. Teodor Currentzis, musicAeterna (Sony Classical, CD ca. 12 Euro)
Weitere Currentzis-Konzerte: 15.4. 20 Uhr: "Slow Music". Langsame Sätze aus Klavierkonzerten von Mozart, Beethoven, Bach, Brahms, Ravel und Schostakowitsch, dazu Werke von Barber, Pärt und Tschaikowsky. 16.4., 20: Uhr: Wiederholung des Strauss/Tschaikowsky-Programms. Beides ausverkauft, Restkarten evtl. an der Abendkasse.