Hamburg. Stich malt seit mehr als 20 Jahren, hat aber lange mit einer Ausstellung gezögert. Ein Gespräch hat den Ex-Sportler umgestimmt.

„Es gibt Situationen und Stimmungen, da weiß ich: Ich muss malen, das Bedürfnis kommt einfach aus mir heraus. Das kann Freude oder auch Frust sein. Es entsteht ein Gefühl oder Bedürfnis, dieser Emotion Ausdruck zu verleihen. Und ein Bild daraus entstehen zu lassen. Die Malerei ist für mich ein gutes Medium, um Emotionen und Gedanken darzustellen. Nicht erdacht, sondern gefühlt. Es ist das Unterbewusstsein, das die Dinge auf die Leinwand bringt und mich von ihnen befreit. Ich muss mich dann nur noch darauf einlassen.“

Es ist Michael Stich, der das spricht. Aber nicht der Tennisspieler, sondern der Künstler Michael Stich. Was die meisten nicht wissen über den in Pinneberg geborenen Davis Cup-, Wimbledon-, Olympia-Sieger und Weltmeister: Stich malt schon seit über 20 Jahren – großformatig, farbstark, auf Leinwand, mit Öl und Acryl – in seinem gut 30 Quadratmeter großen Atelier, das er bei sich zu Hause in Wellingsbüttel eingerichtet hat.

Michael Stich: Von der Tennis-Legende zum Maler

Ab Freitag stellt er einen Querschnitt aus all seinen Schaffensperioden in der Düsseldorfer Galerie Paffrath aus. Der Galerist Hans Paffrath, mit dem Stich eine jahrelange Freundschaft verbindet, ist normalerweise auf Werke der Klassischen Moderne spezialisiert, zeigt also ausschließlich nicht mehr lebende Künstlerinnen und Künstler. Mit der Ausstellung „SecureSurroundingsForBeauty“ macht er erstmalig eine Ausnahme. Es ist für den Maler und den Galeristen eine Premiere.

Just in der Woche, in der Stichs langjähriger Konkurrent Boris Becker ins Gefängnis geht. „Positiv gespannt“ sei Stich, wie das Publikum auf seine Bilder reagieren werde, sagt der 53-Jährige bei einer exklusiven Zoom-Führung durch die Ausstellung kurz vor der Vernissage am Donnerstagabend.

„Ich hoffe, dass die Menschen ehrlich sind, wenn ihnen etwas gefällt oder auch nicht gefällt. Das Schöne ist zu sehen, was andere in meinen Bildern sehen. Und wie im Gespräch über Kunst Gedanken auftauchen, die mir vorher gar nicht bewusst waren. Als Künstler wünscht man sich, dass ein Betrachter eines Bildes einen positiven Impuls mitnimmt, ihn dieser Eindruck aus vielleicht auch schweren Gedanken herauslöst.“ Dass die Ausstellung gerade jetzt, in höchsten Krisenzeiten, stattfinde, sei vielleicht eine Möglichkeit, dass sich Menschen mit etwas Schönem beschäftigen.

Michael Stich ist auf Vorbehalte vorbereitet

Auf Vorbehalte, dass ein Tennisstar „nun auch noch Kunst machen wolle“, ist er vorbereitet. Wer mit ihm über seine Werke spricht und seine Kunst betrachtet, merkt aber ziemlich schnell, dass weder er noch seine Arbeiten Projektionsfläche für das Klischee „malender Promi“ bieten.

Via Tablet geht es durch die Schau, die nicht zeitlich, sondern ästhetisch nach Farben und Formaten gehängt ist, angefangen bei monochromen Bildern wie dem auf Hartfaserplatte gemalten Triptychon „YASMINE“ aus dem Jahr 1999. Mit der Zeit wandelt sich sein Stil merklich hin zum dynamischen Farbauftrag, bei dem der Zufall eine große Rolle spielt, so etwa bei den Bildern „reed“ (2012) und „invisible“ von 2010. Aus diesem Jahr stammt auch seine mit zwei mal drei Metern größte und sehr beeindruckende Arbeit „first contact“. Eher düster kommen die Arbeiten „fog“, „thunder“ und „souls“ (alle 2015) im kleineren Format 60 mal 60 Zentimeter daher.

Michael Stich: Tennisplatz und Leinwand sind „kreative Räume“

In „feathers“ von 2012 hat der Maler mit einer Mischung aus Acryl, Öl und Holzleim gearbeitet. „Die Farbe wird durch den sehr schnell trocknenenden, aber farblosen Leim verdickt und verleiht dem Bild eine mehrschichtige Struktur. Das finde ich sehr spannend.“

Begeistert ist der Maler von seinem Bild „universe“: ein auf schwarzem Untergrund weiß gesprenkeltes Motiv, das durch die Bildschirmübertragung vibriert. „In natura ist es nicht so, aber toll, dass es so rüberkommt!“ Im zweiten Raum erklärt er einen Werkzyklus, der von einer besonderen Technik auf grobem Leinen geprägt ist: Dabei drückte Stich die Acrylfarben durch die Leinwand hindurch, so dass lauter kleine Pigmentpunkte einen Zentimeter hervortreten und dadurch eine Dreidimensionalität erzeugen.

So ist auch eines seiner Lieblingsbilder – „dance with me“ (2015) – entstanden. „winner“ (2018), ein mit schwarzen Linien durchzogenes Motiv mit einem weißen ausgefransten Rund in der Mitte, kann als Zitat zum Tennisplatz gelesen werden – wobei die Titel nicht vom Künstler, sondern dessen Frau, der Dressurreiterin Alexandra Stich, stammen.

Michael Stichs Malerei ist auch von Wimbledon inspiriert

Bei der in Grün, Lila und Orange gestalteten Arbeit „no doubt“, die im Jahr 2012 entstand, gibt es allerdings eine ganz klare Referenz zum Tennismenschen Stich: „Damals beschäftigte ich mich sehr intensiv mit Wimbledon, sah mir Filmausschnitte vergangener Spiele an. Das, was ich empfunden habe, habe ich farblich und strukturell auf die Leinwand gebracht.“ Und auch der Titel „Kein Zweifel“ zielt auf das bedeutendste Tennisturnier ab: „Wenn man in Wimbledon gewinnen will, muss man an sich glauben.“

Auch als Spieler musste Stich häufig von einer Strategie abweichen, improvisieren, wenn etwas nicht funktionierte, auf ein Gegenüber reagieren. „Ich vergleiche den Tennisplatz deshalb gerne mit einer Leinwand. Der Platz ist ein durch Linien vorgegebener Raum mit festen Regeln, in dem ich mich aber völlig frei entfalten kann. Und diesen Rahmen für Kreativität schafft auch eine Leinwand. Es ist ein irres Gefühl, durch die eigenen Bilder auch ein Stück weit ins eigene Leben zu treten“, sagt der Künstler sichtlich bewegt.

Als Autodidakt hat er sich alles über die Wirkung von Farben, die Beschaffenheit verschiedenster Materialien und Untergründe angeeignet, zwei Semester Kunstgeschichte studiert. Mit der Sammlungsberaterin Brigitte Ulsess besucht er regelmäßig Messen und Ausstellungen und tauscht sich mit Künstlerfreunden aus, darunter der österreichische Maler Hubert Scheibl, Fotokünstler Jürgen Klauke und Maler Christian Awe. Dennoch sei sein Umfeld „sehr überrascht“ gewesen über diesen Schritt.

Stich hat lange gezögert, seine Kunst zu zeigen

Lange habe er gezögert, seine Kunst öffentlich zu zeigen. Während seiner Tätigkeit als Wimbledon-Kommentator 2021 habe er mit seinem Kollegen und langjährigen Spielpartner Patrik Kühnen über Träume, die jeder habe, aber oft vor sich herschiebe, geredet. „Ich fragte mich selbst: Warum wartest du darauf, bis du 70 bist? Mach es einfach jetzt!“ Gerne zitiert Stich in diesem Zusammenhang einen Satz aus seinem Lieblingsbuch, „Die Entdeckung der Langsamkeit“ von Stan Nadolny: „Es gibt drei Zeitpunkte, einen verfrühten, einen richtigen und einen verfrühten.“

So kam die Idee einer Ausstellung in die Welt. „Langsam fehlt mir auch die Lagerkapazität für meine Bilder. Der Raum wird nicht größer, aber die Menge an Bildern wächst kontinuierlich. Ich muss also Bilder verkaufen, um Platz zu schaffen“, so Stich lachend. 8000 Euro kosten Bilder im Format 120 mal 120 Zentimeter.

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Stetig größer geworden ist auch seine eigene Kunstsammlung, zu der Werke von Warhol, Richter und Polke gehören. Mit Mitte 20, also zur Hoch-Zeit seiner Tenniskarriere, begann Stich, sich für Kunst zu interessieren. „Turnierpausen nutzte ich oft, um mir Ausstellungen anzusehen. Das war eine gute Ablenkung vom Spiel und ein interessanter Zeitvertreib.“

Mit seinem Doppelpartner John McEnroe, der eine Galerie betreibt, habe er sich über Kunst ausgetauscht. Es gab Künstler, die er gut fand, die er anfänglich versuchte nachzuahmen, aber recht bald feststellte, dass er sie nicht kopieren kann. „Ich erkannte, dass ich meine eigene Technik entwickeln musste. So kam ich zum abstrakten Arbeiten.“

Michael Stich: Einige Bilder sind schon reserviert

„SecureSurroundingsForBeauty“ – der Titel der Ausstellung, der sich auf ein Werk aus dem Jahr 2010 bezieht, hat für Michael Stich gleich mehrere Bedeutungsebenen: „Damals war in der Welt viel passiert, und ich dachte, wir müssen unser Umfeld schützen für die Schönheit, die es gibt. Bezogen zunächst einmal auf das Bild an sich, umgeben von einem Rahmen. Dann lässt es sich auf die Galerie als Schutzraum für die Kunstwerke beziehen. Und es betrifft das Leben allgemein, das eigene Zuhause, die Menschen, mit denen man sich umgibt.“

Einige Bilder haben sich Interessierte bereits in der Ausstellung reserviert. Ob es ihm schwerfallen wird, sich von seiner Kunst nach so langer Zeit des Bewahrens endgültig zu trennen? „Da kommt dann wahrscheinlich der Künstler und auch der Kaufmann durch. Wenn man verkaufen will, dann muss man sich lösen. Aber bei manchen Bildern wäre ich nicht traurig, wenn sie nicht verkauft werden.“

Die Werke von Michael Stich sind hier im Online-Katalog der Galerie zu sehen.