Hamburg. Die große Dame des Klaviers erkundet bei dem ihr gewidmeten Festival neue Spielorte. Warum sie nicht in der Laeiszhalle spielt.
Ein wenig amüsiert wirkt sie schon, die Grande Dame des Klaviers, wie sie die winzige Bühne des Gruenspan betritt. Ist ja eher nicht ihre angestammte Umgebung, sondern eine weitere Station auf der Erkundungstour durch Hamburg, auf die sie sich für insgesamt elf Abende eingelassen hat. Weil die Laeiszhalle umbauhalber geschlossen ist, weichen Daniel Kühnel, Intendant der Symphoniker Hamburg, Initiator und Gastgeber des Martha Argerich Festivals, und sein Team in diesem Jahr an zahlreiche Standorte in der Stadt aus. Und die bleiben nicht ohne Wirkung auf die Musik.
Martha Argerich: Statt in der Laeiszhalle konzertiert die Pianistin im Gruenspan
Ins Gruenspan sollte die Pianistin eigentlich mit einem All-Star-Trio kommen, nämlich mit der Geigerin Janine Jansen und dem Cellisten Mischa Maisky. Vor zwei Wochen sagte Maisky krankheitshalber ab; für ihn sprang Jing Zhao ein, die ebenfalls zu Argerichs kammermusikalischem Umfeld gehört. So weit, so normal. Schon weniger normal sind die Umstände, unter denen der Geiger Guy Braunstein dazugestoßen ist: Janine Jansen fiel kurzfristig aus, und Braunstein hat für zwei Sonaten und ein Klaviertrio genau einen Tag zum Üben und Proben gehabt. Er wird sich achtbar aus der Affäre ziehen; die Routine und Geläufigkeit bringt er als früherer Konzertmeister der Berliner Philharmoniker mit.
Und Argerich? Lässt sich von all diesen Unwägbarkeiten nicht ein Gramm aus der Ruhe bringen. Sie trägt Braunstein auf Händen durch seinen Himmelfahrtseinsatz. Während sie in der a-Moll-Sonate von Schumann die Geige begleitet, erzählt sie im Untergrund kleine Geschichten. Jede noch so kleine Linie bekommt Sinn und ein ganz eigenes Farbkleid. Man kann sich verlieren in dieser Tongebung. In dem kleinen Raum ist man der Künstlerin so nah, dass man ihr bei der Verfertigung ihres Klangzaubers fast zusehen kann.
Martha Argerich: Warum Guy Braunstein sie einfach küssen musste
Den Ecksätzen der Violinsonate von César Franck lauscht Argerich ihre A-Dur-Seligkeit ab, aber sie lotet auch in den harmonischen Untergrund, dorthin, wo Franck der Süße Zweifel und Trauer entgegensetzt. Eine ganz andere Klangwelt betreten Argerich und Braunstein dann im Verbund mit der Cellistin Jing Zhao im Klaviertrio e-Moll von Schostakowitsch. Da wird die Musik plötzlich politisch in ihrer Schärfe und Schwärze. Argerich steht den beiden anderen, die gut und gerne eine Generation jünger sind, an Kraft um nichts nach. Das Publikum tobt, und Braunstein küsst die Pianistin auf ihre graue Löwenmähne, eine Geste von anrührender Vertrautheit.
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Der Abend ist ein programmatischer Mix, wie er für das Festival typisch ist. Auf die erste Hälfte, die für sich schon ein abendfüllendes Kammerkonzert darstellt, folgen: Flamenco und Jazz, in einer betörenden Verflechtung. Zur Musik des Spaniers Alex Conde, Jahrgang 1992 und am Klavier dabei, tanzt Nino de los Reyes und bringt die ganze Energie des andalusischen Repertoires in den Saal, schnipsend, klatschend und vor allem singend sekundiert von Rafita de Madrid mit seinem Reibeisen-Timbre und den verschliffenen Wortendungen. Und der israelische Jazz-Kontrabassist Haggai Cohen-Milo geht in der Gruppe auf, als wäre er schon immer Teil von ihr.
Schöner kann Völkerverständigung nicht klingen.
Martha Argerich Festival noch bis 30.6. Tickets und Infos unterwww.symphonikerhamburg.de