Hamburg. Jubel und Bravorufe: Nagano-Nachfolger Omer Meir Wellber gibt mit Mozarts „Così fan tutte“ seinen vorzeitigen Einstand am Pult der Oper.
Die Bravorufe nach dem ersten Akt kommen noch vereinzelt. Aber am Ende ergießt sich ein wahrer Jubelsturm auf die Bühne. Ja, es ist ein starkes Debüt von Omer Meir Wellber an der Staatsoper in Hamburg. Nicht etwa, weil alles glattgegangen wäre, sondern weil der künftige Generalmusikdirektor schon andeutet, wie er Impulse setzen und, wenn es gut läuft, elektrisieren kann.
Wellber ist ein ganz anderer Typ als Nagano
Mehr als ein Jahr vor seinem Amtsantritt im Herbst 2025 hat Wellber kurzfristig zwei Aufführungen von Mozarts „Così fan tutte“ übernommen. Die erste von beiden – bei der erstaunlich viele Plätze im Publikum frei blieben – trägt bereits seine Handschrift. Und macht deutlich, dass er ein ganz anderer Typ ist als der jetzige Chef Kent Nagano. Vor allem, was seine Energie am Pult betrifft.
Wellber dirigiert aktiver, raumgreifender und auch höher als Nagano, wenn er die Arme weit über Kopfhöhe ausbreitet. Er investiert und fordert viel, schickt mit bloßen Händen Stromstöße ins Philharmonische Staatsorchester. Passend zur Musik.
Die Unruhe, die in Mozarts Oper pulsiert, und die von den Unwägbarkeiten, Ängsten und Überspanntheiten der Liebe erzählt, spitzt Wellber weiter zu. Gleich zu Beginn, in der Ouvertüre, aber auch im Sextett am Ende des ersten Aktes, wo die vermeintlich so sicheren Gefühle und Beziehungsstrukturen der beiden jungen Paare ins Wanken geraten.
Staatsoper Hamburg: Omer Meir Wellber gab mit Mozarts „Così fan tutte“ seinen vorzeitigen Einstand
Da läuft noch nicht alles zusammen, im Orchester, und im Kontakt zwischen Graben und Bühne. Kann halt passieren, wenn man ins Risiko geht. Aber der Ausdruck stimmt. Die Aufführung fesselt mit ihrem Affektreichtum, den Mozart so genial in die Noten reinkomponiert hat. Und zwar nicht nur dort, wo die Musik nervös vorandrängt. Sondern auch und gerade in den innigen Momenten.
Wie dem Terzett „Soave sia il vento“, in dem die Schwestern Fiordiligi und Dorabella zusammen mit Strippenzieher Don Alfonso den Abschied von ihren Verlobten beklagen. Adriana González, Jana Kurucová und Chao Deng singen das wunderbar sanft und melancholisch. Und die Philharmoniker begleiten hinreißend.
Am Ende dimmt Omer Meir Wellber den ohnehin leisen Klang noch eine Stufe runter, indem er demonstrativ in die Knie geht, und formt mit dem Orchester ein hauchzartes Pianissimo. Magisch!
Omer Meir Wellber: Quicklebendiges Musiktheater, in engem Kontakt mit einem charismatischen Dirigenten
Die säuselnde Figur der Streicher, mit der Mozart die Bewegungen der Wellen und des Windes nachzeichnet, hat Wellber vorher schon kurz in die Tasten gestreichelt. Er dirigiert nämlich nicht nur, sondern spielt auch den – elektronisch verstärkten – Hammerflügel. Von dort aus begleitet er die Rezitative und streut eine Fülle an Ideen ein. Mit großer Lust daran, das Publikum zu überraschen, ganz in Mozarts Sinne. Witzig, wie er den Beatles-Song „Yesterday“ als Chiffre für nostalgische Stimmung anklingen lässt. Oder wie am Flügel der Beginn vom Hochzeitsmarsch aus Wagners „Lohengrin“ aufscheint, als Dorabella und Fiordiligi von ihrer bevorstehenden Heirat träumen.
- Omer Meir Wellber in der Elbphilharmonie: Ein Dirigent will weiter nach oben
- Wie kommt die Staatsoper aus dem Schatten der Elbphilharmonie?
- Krieg in Nahost: Warum der Dirigent aus Israel gespalten ist
Mit seiner sprudelnden, manchmal fast hektischen Fülle an Einfällen schafft Wellber das musikalische Pendant zum Bühnengeschehen: Die Inszenierung von Herbert Fritsch aus dem Jahr 2018 interpretiert Mozarts Liebeswirrenspiel als quietschbunte Hommage an die Commedia dell’arte, mit einem phänomenal spielfreudigen Ensemble. Herrlich, wie Martin Mitterrutzner und Nicholas Mogg als gar nicht mal so mutige Mannsbilder Ferrando und Guglielmo um die Wette bibbern, als es ernst wird mit dem Frauentausch-Fremdgeh-Experiment.
Heimlicher Star des Abends ist allerdings der Altus Kangmin Justin Kim als gewitzte, darstellerisch wie stimmlich gleichermaßen behände Zofe Despina. Er und seine Kolleginnen und Kollegen zeigen quicklebendiges Musiktheater, in engem Kontakt mit einem charismatischen Dirigenten, der sicher nicht nur zu Mozart seine ganz eigenen Vorstellungen hat. Spannend!