Hamburg. Die Inszenierung des Musical-Klassikers vom Broadway gelingt im First Stage Theater auch mit neuen Einfällen. Doch es gibt keine Pause.

Am Ende, zumindest fast am Ende, steht der Regisseur Zach kurze Zeit ganz allein da und raucht. Obwohl das „No Smoking“-Schild im Bühnenhintergrund das eigentlich verbietet. Waren eben andere Zeiten, damals in den 1970ern. Und doch ist „A Chorus Line“, dieses 1975 uraufgeführte und vielfach ausgezeichnete Broadway-Musical, jetzt in der Gegenwart angekommen. Und zwar in Hamburg-Altona.

Im kleinen First Stage Theater spielt der Klassiker, der aus rechtlichen Gründen jahrzehntelang auch im deutschsprachigen Raum nur (und selten) vom Original-US-Kreativteam choreografiert werden durfte, nun bis in den Herbst hinein in einer freien Inszenierung von Till Nau. Als erstes Theater hierzulande, und knapp zwei Wochen vor der Premiere bei den Bad Hersfelder Festspielen, geht es im First Stage in der Neuübersetzung von Robin Kulisch (Liedtexte und Dialoge) ums Casting für ein neu geplantes Musical in New York. Eine zeitlose Handlung, die 1985 mit Michael Douglas in der Hauptrolle des Zach bereits verfilmt worden ist.

Musical Hamburg: Neufassung von „A Chorus Line“ hat im First Stage Tanz und Tiefgang

In Altona gibt Benjamin Plautz mit bemerkenswertem Zynismus diesen Zach. Und, so viel sei verraten, zum Finale von „A Chorus Line“ tanzt auch er in seiner Rolle als Regisseur richtig mit. Acht Auserwählte will er auf Linie bringen. Dazwischen liegt eine Audition, die trotz beeindruckender Gruppenchoreografien als knallhartes Auwahlverfahren (zu hören im Song „Ich hoffe, ich schaff es“) die ganze Emotionspalette Einzelner zeigt. „Fünf, sechs, sieben, acht!, und los!“ Zachs Anweisungen, richtig mit dem Allerwertesten zu wackeln, folgen am Anfang mehr als 40 Aspiranten auf der Bühne gleichzeitig. Und raus bist du! Bis dato ist jeder nur eine Nummer.

Schnell sind es nur noch 18 Kandidaten. Und es gilt, vier Frauen und vier Männer für das neue Stück zu finden. Das gelingt wie nach dem Vorbild des Originals von Michael Bennett mit Einblicken ins Private der Tänzerinnen und Tänzer. Jedoch räumt First-Stage-Regisseur Nau der Beziehung zwischen Zach und seiner Hollywood-erprobten Ex-Freundin Cassie, überzeugend verkörpert von der Hamburgerin Natascha Cecilia Hill („Mamma Mia!“), hier mehr Raum ein als bei der US-Uraufführung, ohne dass es kitschig wird. Ihr verbaler Clinch erzeugt Reibung, steigert so die Spannung.

Zwei unter Spannung: Cassie (Natascha Cecilia Hill) trifft beim Casting auf ihren Ex-Freund, den Regisseur Zach (Benjamin Plautz).
Zwei unter Spannung: Cassie (Natascha Cecilia Hill) trifft beim Casting auf ihren Ex-Freund, den Regisseur Zach (Benjamin Plautz). © Dennis Mundkowski | Dennis Mundkowski

Im zweiten Teil macht es nichts , dass nur noch drei Lieder erklingen. Der Song „Eins“, hervorragend interpretiert von der Liveband um Johannes Hierluksch, legt sich wie ein Netz über mehrere Szenen. Die nur mit Zach und dem schwulen Schüler Paul (Lukas Poischbeg) hat viel Tiefgang.

Dazu kommt ein doppelter Gag: Eine Stage-Managerin (Jana Mayer), die Regisseur Nau und Übersetzer Kulisch neu für die Hamburger Inszenierung erdacht haben, bedankt sich anfangs bei den „279 Investoren“ (also: Theatergästen) im Frst Stage fürs Erscheinen bei der Audition. Sie weist auch darauf hin, dass es in den 140 Minuten von „A Chorus Line“ keine echte Pause gibt. Diese US-Regeln gelten noch.

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Umso treffender, dass durchaus derbe Original-Ausdrücke nicht mehr so fremd wie in der deutschen Erstübersetzung des renommierten Hamburger Librettisten Michael Kunze klingen. Vor Jahrzehnten hießen bei ihm „Tits and ass“ noch „Spitz und Rund“...

„A Chorus Line“ wieder Mi 12.6., bis 14.7. und 21.8.-12.10., jew. 19.00, First Stage Theater (Bus 16, 112, 115), Thedestr. 15, alle Termine und Karten ab 39,- (inkl. HVV) unter firststagehamburg.de