Hamburg. In den Deichtorhallen ist in einer Ausstellung ein Kunstwerk zu sehen, das Israel scharf attackiert. Was sagt Intendant Dirk Luckow dazu?

  • Ausstellungsstück in Deichtorhallen sorgte für lebhafte Diskussionen
  • Intendant Dirk Luckow äußert sich zu kontroversem Werk
  • Wie Luckow zur Kunstfreiheit steht

Das Werk „Dexter and Sinister“ des US-Künstlerkollektivs New Red Order in der Ausstellung „Survival in the 21st Century“ in den Deichtorhallen löst Empörung aus. Denn in das Kunstwerk ist ein Statement der Künstler integriert, in dem der Massenmord an der indigenen Bevölkerung der USA, der Holocaust und die aktuelle israelische Kriegsführung im Nahost-Konflikt in eine Reihe gestellt werden.

Von einem „Genozid“ ist die Rede, der auf der rassistischen Idee von der Überlegenheit weißer Menschen basiere. Daneben hängt eine Tafel, mit der sich die Kuratoren und die Direktion von diesem Statement distanzieren. Aber reicht das aus? Ein Gespräch mit Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow.

Deichtorhallen-Kunstwerk sorgt für Empörung: „Genozid“-Vorwurf – wo endet die Kunstfreiheit?

Herr Luckow, welche Reaktionen erhalten Sie auf das Kunstwerk, das Statement des Künstlerkollektivs und Ihre Distanzierung?

Dirk Luckow: Natürlich erleben wir eine lebhafte Diskussion auch mit sehr kritischen Stellungnahmen, einfach weil der Nahost-Konflikt ein äußerst kontroverses Thema ist, über das sich ja auch die Weltpolitik den Kopf zerbricht. Die Fronten sind verhärtet. Das kriegen die Kultureinrichtungen zu spüren. Bei uns findet die Diskussion vor allem in den Medien statt, die unseren Umgang damit unterschiedlich bewerten. Wir haben von Bürgerinnen und Bürgern nur vereinzelt Beschwerden und ablehnende Kommentare erhalten.

Ist Ihr Umgang mit diesem Werk aus heutiger Sicht richtig?

Wir haben uns von Anfang an mit einem Schild direkt neben der Installation klar von den Aussagen der Künstlergruppe distanziert. Das ist eine erhebliche Abweichung von den Konventionen im Kunstbetrieb und in der Geschichte der Deichtorhallen einzigartig. Ihr Voraus ging ein langer, nervenaufreibender Prozess der Auseinandersetzung mit vielen Seiten. Die Künstlergruppe hatte kurze Zeit vor der Eröffnung das ursprünglich angefragte Werk um eine Tafel im Stil amerikanischer Private-Property-Schilder mit umstrittenem politischen Inhalt erweitert. Das Werk ist klar von der Kunstfreiheit gedeckt, auch wenn es diese extrem ausreizt. Die Kunstfreiheit, auf der die gesamte Programmatik der Deichtorhallen fußt, gab in der schwierigen Abwägung schließlich den Ausschlag, das erweiterte Kunstwerk zu zeigen.

Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow: „Man muss auch nicht genehme Perspektiven über die Welt ertragen“

Welche Diskussionen gingen intern der Ausstellung des Werks voraus?

„Survival“ hieß ursprünglich „Speculation“, dann kamen die Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der Hamas-Überfall auf Israel, der Gaza-Krieg, dadurch bekam das eine existenziellere Note. Wir entschieden uns, mit den Künstlerinnen und Künstlern das Wort „Survival“ durchzustreichen. Im Januar begann die Kampagne von „Strike Germany“, einer umstrittenen Bewegung, in der Kunstschaffende Deutschland wegen seiner Israel-Haltung boykottieren. In dieser ganzen Diskussion wurden wir von Künstlern gefragt, ob man hier ohne Zensur seine Werke zeigen darf. In diese Phase fiel auch das Statement, das einige Wochen vor der Eröffnung auftauchte. Wir haben uns rechtlich abgesichert – auch von juristischer Seite und jüdischen Beraterinnen – und diese Entscheidung dann so getroffen. Ich glaube, dass man in der Kunst nicht alles komplett unterbinden soll, was einem nicht gefällt. Man muss auch nicht genehme Perspektiven über die Welt ertragen, auch wenn man sie falsch findet.

Luckow Deichtorhallen
Das Statement des Künstlerkollektivs New Red Order in den Deichtorhallen. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Wo endet aus Ihrer Sicht die Kunstfreiheit?

Wir zeigen als internationales Haus häufig Kunst, die in Kontexten entsteht, in denen globale Missstände und Konflikte eine Rolle spielen und damit automatisch kulturelle, gesellschaftliche und politische Hintergründe der Künstlerinnen und Künstler in unsere Institution kommen. Es treten unweigerlich Kontroversen auf, insbesondere da, wo Künstler versuchen, einen politischen Raum mittels Kunst herzustellen. Das bringt die Herausforderung mit sich, diese Stimmen weiterhin zu Wort kommen zu lassen, und mit den dabei entstehenden teilweise großen politischen Differenzen offen umzugehen. Der ganze Streit entzündet sich an der Frage, wie weit Kunstfreiheit geht. Die Künstler dürfen natürlich etwas sagen, was sie für richtig halten. Das stellt immer zuerst eine Meinung dar. Die kann man furchtbar finden, wie in diesem Fall, aber solange sie nicht die Menschenwürde, Persönlichkeitsrechte oder einen Aufruf zur Gewalt darstellt, ist es erlaubt.

Mehr Kultur

Das Statement der Künstler formuliert eine sehr plakative Anklage ohne historische Tiefenschärfe. Was wäre notwendig, um wirklich in einen Dialog zu finden?

Der Dialog hat bereits begonnen. Wir werden in den nächsten Wochen den Diskurs zu diesem Thema innerhalb des Programms der Ausstellung insbesondere auch mit der jüdischen Seite fortsetzten, und Experten einladen, um diese unterschiedlichen Sichtweisen zu erkunden und miteinander im Gespräch zu bleiben.

„Survival in the 21st Century“ bis 5.11., Halle für aktuelle Kunst/Deichtorhallen Hamburg, Deichtorstr. 1-2, www.deichtorhallen.de