Hamburg. Man merkt den Darstellern an, wie viel Spaß sie an der irrwitzigen Situationskomik haben. Immer wieder bekommen sie spontanen Beifall.

Günthers Nachbarn nennen seine Wohnung „das Matterhorn“. Altbau, fünfter Stock, kein Aufzug. Für den Mittsiebziger Günther (Jochen Busse) kein Problem. Mehrmals am Tag läuft er treppauf, treppab, als wäre er ein Jungspund. Das Klischee „fit wie ein Turnschuh“ passt auf den rüstigen Ruheständler. Sein Freund Max (Florian Odendhal), 30 Jahre jünger, kann da nicht mithalten. Wenn er die Treppe ins „Matterhorn“ hochgejoggt ist, braucht er beinahe ein Sauerstoffzelt, um seine Puste wiederzuerlangen. Günther lässt derweil einen Hula-Hoop-Ring um die Hüften kreisen.

Winterhuder Fährhaus: Komödie über den rüstigen Rentner Günther

Seine Wohnung sieht aus wie eine Fitnessbude mit Stepper, Spinning-Fahrrad, Boxsack, einem Kühlschrank für Fitnessgetränke sowie Sprossenwand und Schwebebalken im Schlafzimmer (Bühne Jan Max Halama). Ein Rudergerät und eine Kugelhantel hat er noch bestellt. An der Wand stehen aufgereiht drei Paar weiße Turnschuhe, „Sneakers“ nennt Günther sie neudeutsch, „Turnschuhe sagt keiner mehr“. Mit dem entspannten Leben des „jugendlichen Springbocks“ (Max über Günther) ist es schlagartig vorbei, als Günthers Sohn Kai (Claus Thull-Emden) auftaucht. Er beichtet dem entsetzten Vater, dass er eine wertvolle Familienimmobilie verzockt hat.

„Weiße Turnschuhe“ heißt René Heinersdorffs Komödie über den mehr als rüstigen Rentner Günther. Nachdem das Stück (anfangs noch mit Claus Wilcke in der Hauptrolle) in Düsseldorf, Köln und in München gelaufen ist, macht es bis Mitte Juli zum ersten Mal Station in der Komödie Winterhuder Fährhaus. Heinersdorff, erfolgreicher Stückeschreiber, Schauspieler und Theater-Impresario in einer Person, ist mit „Weiße Turnschuhe“ ein großartiges Lustspiel gelungen, weil es auf einer absurden Idee basiert.

Die Sportskanone Günther soll nämlich einen hinfälligen Senioren mimen, für den sein Sohn die Pflegestufe vier beantragt hat: Das sind Menschen mit fortgeschrittener Demenz oder bettlägerige Alte, die ohne fremde Hilfe nichts mehr können. Aus diesem Widerspruch wird ein Stück mit viel Situationskomik und vor allem mit Wortwitz. Immer wieder reagiert das Premierenpublikum mit spontanem Beifall auf das Gag-Feuerwerk.

Jochen Busse brilliert in „Weiße Turnschuhe“

Das hat vor allem mit Jochen Busse zu tun. Der Kabarettist und Schauspieler, inzwischen 83 Jahre alt, brilliert in seiner Doppelrolle als rüstiger und gebrechlicher Rentner. Blitzschnell muss er oft umschalten, denn im „Matterhorn“ hat sich die Versicherungsagentin Sylvia (Simone Pfennig) eingeschleust, die Günthers Pflegestufe vier begutachten soll. Immer wieder juchzt das Publikum auf, wenn Busse vor sich hin brabbelt, einen Satz fünfmal wiederholt oder einen Schwerhörigen markiert.

Sobald Sylvia die Wohnung verlässt, springt er auf seinen Stepper und frönt seinem Hobby. Einen Kopfstand bekommt er auch noch hin. Doch der Sportspaß wird immer wieder jäh unterbrochen, Sylvia scheint allgegenwärtig zu sein. Busse hat langjährige Erfahrung als Kabarettist – er war unter anderem 15 Jahre lang Mitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft – und deshalb besitzt er dieses präzise Timing, das seine Rolle erfordert.

„Weiße Turnschuhe“ feiert gelungene Premiere an der Komödie Winterhude

Aber auch seine drei Mitspieler tragen maßgeblich dazu bei, dass „Weiße Turnschuhe“ an der Komödie Winterhuder Fährhaus eine gelungene Premiere feiern konnte. Simone Pfenning spielt die Versicherungsagentin mit resolutem Auftreten und thüringischem Sprachduktus. Man ahnt, dass sie das betrügerische Spiel der drei Männer durchschaut, aber wiegt diese mit ihrer fröhlichen Art in Sicherheit.

Claus Thull-Emden ist der Volltrottel in diesem Ensemble. Sein Kai ist einer, der immer Wahnsinnsideen hat, die sich aber als Rohrkrepierer herausstellen. Thull-Emden spielt seine Figur als ewigen Loser, mit dem man wegen seiner Naivität fast Mitleid empfindet. „In höchster Not wird man zum Vollidiot“, lautet ein Satz aus dem Stück. Klingt wie eine exakte Beschreibung von Kai. Florian Odendahl schließlich gibt den Max als guten Freund, der aber von den sich überschlagenden Ereignissen im „Matterhorn“ völlig überfordert ist.

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Man merkt den vier Schauspielern an, wie viel Spaß sie an diesem Spiel mit den endlosen Wortkaskaden und der irrwitzigen Situationskomik haben. Diese Spielfreude und die komische Zuspitzung vieler Situationen, an der auch Regisseur Urs Schleiff großen Anteil hat, führen immer wieder zu spontanem Beifall des begeisterten Publikums. Busse und das Ensemble schaffen es sogar, dass der ganze Saal den Schlager „Ja, mir san mit‘m Radl da“ mitsingt. Mit rhythmischem Klatschen werden die vier Schauspieler am Ende gefeiert, Busse bedankt sich mit einem hanseatischen „Hummel, Hummel“ – und die Komödie hat wieder einen Komödienkracher im Programm.

„Weiße Turnschuhe“ läuft bis zum 14. Juli, Komödie Winterhuder Fährhaus, Karten unter T. 040/480 680 80, www.komoedie-hamburg.de