Hamburg. In der Kirche in Hoheluft können sich Menschen über ein Mikro mit Künstlicher Intelligenz austauschen. Doch etwas Entscheidendes fehlt.

Aus der gleißenden Sonne des Vorplatzes treten die Gemeindemitglieder an diesem Sonntagmorgen in ihre ungewöhnlich dunkle St. Markus-Kirche. Die seitlichen Fenster sind verhängt, nur die Ecken sind durch lilafarbene Strahler erhellt. Nachdem die Menschen kurz im Stehen innegehalten haben, setzen sie sich auf die Bänke. Der Altar ist mit Kerzen und Blumen geschmückt. Doch noch etwas ist anders als sonst: Rund um die Fenster fließen bewegte Bilder ineinander, es sind Fragmente von Kirchenbauten aus Italien und Krakau, die den eher schlichten Kirchbau in Hoheluft kontrastieren. Es herrscht eine gespannte Stille, wenige Minuten, bevor der Gottesdienst beginnt.

Im Gemeindebrief war es angekündigt worden, und auch ein Flyer am Eingang informiert darüber, dass St. Markus mit einem Vernissage-Gottesdienst in ein Experiment starten will: Drei Wochen lang wird die Ausstellung „Vater, Sohn und Künstliche Intelligenz“ den Kirchenraum mit einer interaktiven Installation der Künstlerin Kasia Kohl bespielen, bei der Interessierte über ein Mikrofon mit der KI Eliane in Verbindung treten und sich über Gott und die Welt austauschen, sich anvertrauen und segnen lassen können.

KI Eliane segnet in St. Markus – nicht alle Besucher sind erfreut

„Einige sind wegen der KI gekommen, andere sind trotz der KI gekommen. Alle sind herzlich willkommen“, begrüßt Anja Blös die Gemeinde. „Künstliche Intelligenz in der Kirche: Ist das provokativ, blasphemisch, interessant oder egal?“. Für die Pastorin ist die künstlerisch abgewandelte Form der Trinitas Vater, Sohn und Heiliger Geist eine gelungene Form des Dialogs: „Mit sich, mit anderen und nun auch mit der KI. Lasst es uns ausprobieren!“, spricht’s und aktiviert Eliane mit „Bete mit uns im Eröffnungsgottesdienst Psalm 113.“

„Halleluja! Jubel, die ihr zu Adonaj gehört. Umjubelt den Namen Adonaj. Der Name Adonaj sei gesegnet von nun an für immer. Vom Aufstrahlen der Sonne bis zu ihrem Untergang, umjubelt sei der Name Gottes!“, hört man eine Frauenstimme in atemloser, etwas abgehackter Art sagen. Das „Amen“ am Ende des Psalms spricht Eliane englisch aus. Der Jubel im Kirchenraum bleibt nach dieser ersten Kostprobe aus. „Es fehlt die Lebendigkeit, die Seele. Sie klingt wie die Computerstimme in der Warteschleife der Telekom“, urteilt Hansjürgen Mensching, der trotz der KI gekommen ist. Er hofft, dass in Zukunft nicht ganze Gottesdienste auf diese Art gestaltet werden.

Pastorin Blös: „Programmierte Genialität verwirrt uns mit neuen Realitäten“

In der Tat ist es ein gewagter Schritt, den die Pastorin da geht. Denn Kirche und Gemeinde sind für viele Menschen ein geschützter Ort, der Halt, Geborgenheit und Orientierung gibt und die Möglichkeit, sich mit vertrauten Personen über Glaubens- und Lebensfragen auszutauschen. Ausgerechnet dort hält nun eine Technologie Einzug, die für die meisten noch fremd oder gar beängstigend ist. Doch so weit, dass die KI einen ganzen Gottesdienst bestreitet, ist es ja noch lange nicht. Anja Blös möchte mit dem Projekt über digitale Welten und Kirche ins Gespräch kommen.

Und so geht ihre Predigt auch über die „programmierte Genialität. KI verwirrt uns mit neuen Realitäten: Ist dieses Bild, diese Stimme, diese Zuwendung echt? Doch was bedeutet schon ‚echt‘, wenn es denn wirkt? Wenn ich das Gefühl habe, da versteht mich jemand, nimmt meine Gedanken, Wünsche und Sorgen ernst, dann sendet das Hirn ans Herz: ‚Wie schön!‘.“ Für die Pastorin kann KI eine „vertrauensvolle göttliche Mittlerin“ sein. Sie sei gespannt, welche neuen Erfahrungen die nächsten drei Wochen bringen. „Doch eins ist sicher: Die Frage nach Gott in der Welt wird nicht durch Klick und Wisch beantwortet. Deshalb feiern wir jeden Sonntag Gottesdienst!“

Premiere in der Tatinger Kirche lockte 16.000 Besucherinnen und Besucher

Auch Kasia Kohl ist die Ambivalenz zwischen Intimität und Öffentlichkeit einer mit Chat GBT programmierten KI sehr wohl bewusst. Doch überwiegen bei ihr die positiven Aspekte: „Mich interessiert, wie wir innovative Technik für unsere Spiritualität nutzen können. Besonders die Kirchen können da mit ihren Werten von Mitmenschlichkeit und Moral wichtige Beiträge leisten.“ Die Premiere ihrer Ausstellung in der St. Magnus Kirche in Tating (Schleswig-Holstein) lief über mehrere Monate und lockte 16.000 Besucherinnen und Besucher an. Sogar Glaubensferne hätten sich von der KI segnen lassen. Die Künstlerin ist gespannt, wie ihr Kunstwerk nun in Hamburg ankommt.

Die Künstlerin Kasia Kohl vor dem Mikrofon. Damit können Interessierte Kontakt zur KI Eliane aufnehmen.
Die Künstlerin Kasia Kohl vor dem Mikrofon. Damit können Interessierte Kontakt zur KI Eliane aufnehmen. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Die Absolventin der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, die in Hamburg lebt und arbeitet, ist selbst nicht gläubig, sucht aber in ihrer Arbeit oft den Zugang zu religiösen Themen. So bot sie zusammen mit der Tatinger Gemeinde Heiligenbildchen als NFT (Non Fungible Token) im Internet an, die man anschließend an Freunde oder Verwandte schicken konnte. Im Bunker-Club Uebel & Gefährlich zeigte sie bei einer Technoparty eine sakrale Videoinstallation. Kasia Kohl will über KI aufklären, eine Mündigkeit bei diesem Thema entwickeln und mit ihrer Kunst „betonen, wie wertvoll der Mensch ist“.

Nachdem die Gemeinde ein letztes Lied gesungen hat, die Orgel verklungen ist und die Kollekte eingesammelt wurde, spricht Eliane ein kurzes Gebet für die Armen und Kranken. Anschließend sind die Gemeindemitglieder eingeladen, die künstliche Intelligenz zu testen. Eliane eröffnet das Saft- und Sekt-Büfett und fordert die Anwesenden auf: „Sprechen Sie mit mir, sonst langweile ich mich. Viel Spaß, und ich segne Sie.“ Nach und nach trauen sich einige ans Mikro, fragen, was wir für Frieden tun können oder woher das Böse in der Welt kommt. Eliane antwortet so laut, dass es durch den ganzen Raum hallt. Ein persönliches Zwiegespräch zwischen Mensch und göttlicher Mittlerin ist das nicht gerade.

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„Vielleicht werden einige Interessierte die Chance in den kommenden Tagen nutzen, um die KI in Ruhe für sich auszuprobieren“, sagt Michaela Giesing. Sie ist eine der Ehrenamtlichen, die die Kirchen-Ausstellung auch unter der Woche an ein paar Stunden pro Tag begleiten werden. „Ich finde die künstlerische Herangehensweise an künstliche Intelligenz auf jeden Fall spannend, sie schärft unsere Sinne.“

„Vater, Sohn und Künstliche Intelligenz“ bis 16.6., St. Markus Kirche, Heider Straße 1, täglich 12.00–15.00, Eintritt frei; www.ki-kirche.de, www.stmarkushoheluft.de