Hamburg. Der 80 Jahre alte Pianist Joachim Kühn spielt mit Musikern, die seine Kinder sein könnten, im Großen Saal. Ein echtes Ereignis.
Wie herrlich, mit 80 Jahren und einer jahrzehntelangen internationalen Karriere im Rücken keinerlei Kompromisse eingehen zu müssen. Nicht dass Joachim Kühn jemals auf kommerziellem Schmusekurs gewesen ist, aber sein Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie hat dennoch im besten Sinne etwas geradezu Widerständiges. In einer Zeit, in der es bei vielen Jazzfestivals weniger um Jazz geht, als um einen möglichst Mainstream-tauglichen Groovecocktail mit ein paar Jazzelementen. War alles noch anders, als beim NDR Michael Naura in den 70ern und 80ern seine legendären Jazzworkshops veranstaltete.
Elbphilharmonie: Wenn Jazzlegende Joachim Kühn feiert, gibt‘s keine Kompromisse
Aus dieser Zeit kommt Pianist Joachim Kühn. Dass der NDR ihm aus Anlass des 80. Geburtstags einen Abend in der Elbphilharmonie spendiert hat, ist Ausdruck einer Wertschätzung, die auf Gegenseitigkeit beruht. Dabei geht es hier nicht um Nostalgie oder musikalischen Stillstand. Im Gegenteil: Kühn, schlank und fit als könne ihm das Alter überhaupt nichts anhaben, umgibt sich mit Musikern, die allesamt seine Kinder sein könnten. Pianist Michael Wollny, mit dem er den ersten Teil des Konzerts bestreitet, ist 36 Jahre jünger – und hat sich viel beim „Alten“ abgeguckt. Nicht umsonst schrieb er 2001 seine Diplomarbeit über die „Tonwirbel in den Improvisationen von Joachim Kühn“, worauf Moderatorin Sarah Seidel bei ihrer Ansage verweist.
Und nun sitzt Wollny an einem der beiden Steinway-Flügel und versteht sich blind mit seinem Vorbild: Kühn und er wechseln kaum einen Blick, spielen mit geschlossenen Augen und bilden doch bei ihren gemeinsamen Ausflügen auf den Tastaturen, die auch mal leicht ins Atonale driften, eine organische Einheit. In Körper- und Kopfhaltung wirken die beiden wie eineiige Zwillinge. Da haben sich zwei gefunden, die sich gegenseitig befeuern: Kein Wohlfühlprogramm voller Jazzstandards, sondern eine komplexe musikalische Abenteuerreise, die dennoch (oder gerade deshalb?) bejubelt wird.
Joachim Kühn: Wahnsinnn, wie der 80-Jährige sich körperlich reinschafft
Im zweiten Teil des Abends ist dann das New Trio des Joachim Kühn zu erleben. Dabei: Chris Jennings (45) am Bass und Eric Schaefer (47) am Schlagzeug, ein Power-Duo, das Kühns Lust an der Improvisation teilt und viel mehr ist, als bloß die rhythmische Grundierung. Wahnsinn, wie sich alle körperlich reinschaffen, vor allem aber Joachim Kühn, der so vor Energie strotzt, dass auch nach mehr als zweieinhalb Stunden Konzertdauer (inklusive Pause) keinerlei Ermüdungserscheinungen festzustellen sind. Songtitel, die ja im Jazz häufig ohnehin eher nach dem Zufallsprinzip vergeben werden, sagt er nicht an, sondern lässt es nach kurzen Applauspausen einfach immer weiter pulsieren.
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Mit einer Ausnahme: Als vorletztes Stück gibt es eine Coverversion der Doors-Nummer „The End“. Damit wolle er an die wilde Zeit der 1960er-Jahre erinnern, sagt Kühn, und den Anspruch der Wildheit löst er mühelos ein. Es braucht schon eine Weile, um die Nummer tatsächlich zu erkennen, so sehr nutzen er und seine Mitstreiter, zu denen bei dieser Zugabe auch Michael Wollny gehört, die Melodie nur als Ausgangsmaterial für Improvisationen. Große Begeisterung für eine kompromisslose Jazzikone.