Hamburg. Zu Gast in Hamburg: Die Iranerin Sara Abazari hat der Bewegung „Frau Leben Freiheit“ ein Werk gewidmet. Will sie in Teheran bleiben?

Elbphilharmonie, Großer Saal, am späten Vormittag. Das Orchester trägt Jeans und Sneakers, im Parkett sitzt nur eine einzelne Dame. Der Dirigent bricht ab und dreht sich nach ihr um: „Wie wollen Sie die musikalische Geste am Anfang?“ – sie nimmt ihre Partitur und geht hinunter zum Podium.

So ein direkter Draht zur Komponistin ist ein Luxus der Neuen Musik. Stefan Asbury probt mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester zwei Stücke von Sara Abazari, die an diesem Freitag (17.5., 20 Uhr) im Rahmen des Internationalen Musikfestes auf dem Programm stehen. Die 48-Jährige ist in Teheran aufgewachsen, hat in Köln studiert und in Wien promoviert. Seit zehn Jahren lebt sie wieder in ihrer Heimat, aber ihr Deutsch ist immer noch fast perfekt. Mit dem Abendblatt hat die Iranerin nach der Probe über ihre Musik gesprochen – aber auch über das Leben im Iran in dramatischen Zeiten wie diesen.

Hamburger Abendblatt: Das NDR Elbphilharmonie Orchester hebt „Spleen“ aus der Taufe, das der NDR bei Ihnen in Auftrag gegeben hat. Das klingt ja erst mal nach etwas sympathisch Schrägem. Aber wie passt das zum Musikfest-Thema „Krieg und Frieden“?

Sara Abazari: „Der Spleen von Paris“ ist ein Gedichtzyklus von Charles Baudelaire. „Spleen“ wäre in diesem Zusammenhang mit „Trübsinn“ zu übersetzen. Und ich hatte den Eindruck, dass die dort dargestellte Welt gut zu dem Stück passt.

Und was bedeutet der Titel des anderen Werks, „in solidum“?

Ich denke dabei an das Wort Solidarität. Aber unter „solide“ stelle ich mir auch etwas vor, das schwer zu beseitigen ist. Eine Macht, die da ist.

Die Macht des iranischen Volkes?

Ja.

Bach und Beethoven: Die Komponistin Sara Abazari ist mit westlicher Klassik aufgewachsen.
Bach und Beethoven: Die Komponistin Sara Abazari ist mit westlicher Klassik aufgewachsen. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Sie haben auch für die Oud komponiert, die orientalische Laute. Mit welcher Musik sind Sie aufgewachsen?

Mit der westlichen. Beethoven-Sonaten, zweistimmige Inventionen von Bach. Mit der iranischen Musik habe ich in meiner Jugend gar nicht so viel Berührung gehabt.

Iranische Komponistin: „Was in der Neue-Musik-Szene geschieht, wird vom Regime nicht sehr wahrgenommen“

Wie würden Sie Ihre Tonsprache beschreiben? Westlich-klassisch, orientalisch, beides?

Es ist meine individuelle Sprache. Ich habe die westliche Kultur in mir, habe Tolstoi und Thomas Mann genauso gelesen wie Hedayat, Saedi und die iranischen Dichter.

Haben Sie manchmal das Gefühl, als Künstlerin auf Ihre Herkunft reduziert zu werden?

Oft sogar. Das ist die Dominanz der Identitätspolitik. Aber dieses Beharren geht darüber hinweg, dass Phänomene wie das Kopftuchtragen nicht Ausdruck einer kulturellen Zugehörigkeit sind, sondern in manchen Ländern schlicht Zwang.

„Frau Leben Freiheit“: „Es ist unglaublich, Teil so einer großen Bewegung zu sein“

Sie haben der iranischen Bewegung „Frau Leben Freiheit“ ein Orchesterwerk gewidmet. Hat Sie das in Gefahr gebracht?

Das weiß ich nicht. Ich hatte keine Bedenken, es zu tun. Was in der Neue-Musik-Szene geschieht, wird vom Regime noch nicht sehr wahrgenommen. Sie unterscheidet sich von Musikgenres wie Rap oder Popmusik, die sich direkt auf Texte beziehen und ein größeres Publikum haben. Ich bin bei den Protesten nach Mahsa Aminis Tod auch auf die Straße gegangen. Es ist unglaublich, Teil so einer großen Bewegung zu sein, die sich durch alle sozialen Schichten zieht. Dies hatte auch einen starken Einfluss auf meine Musik, sowohl in Bezug auf den klanglichen als auch auf den formalen Aspekt.

Wie ertragen Sie den Alltag?

Das ist eine gute Frage. Das Alltagsleben im Iran ist seit dem letzten Aufstand nicht mehr normal. Als Frau muss man immer damit rechnen, dass man verhaftet wird, wenn man kein Kopftuch trägt. Aber es geht nicht nur um Frauenrechte. Überall im Land gibt es täglich lokale Proteste von Arbeiterinnen, Rentnerinnen und Lehrerinnen, die auf die katastrophale wirtschaftliche Lage reagieren. Andererseits ist die Illegalität seit Langem ein fester Bestandteil des Lebens. Sie können jeden Abend Partys feiern, mit Drogen und Alkohol. Das Internet ist zensiert, aber es gibt ja VPN. Es ist sogar erwünscht, dass sich die junge Generation mit Unterhaltung beschäftigt und sich nicht in der Politik engagiert.

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Und wie geht es der Kultur dabei?

Auf künstlerischer Ebene besteht der Widerstand darin, Wege zu finden, um kulturell noch aktiv zu bleiben. Deshalb finden viele Aktivitäten in kleineren und privaten Räumen statt.

Haben Sie Kontakt zu exilierten Landsleuten wie dem Regisseur Mohammad Rasoulof, der gerade vor der Gefahr von Auspeitschung und Inhaftierung aus dem Iran geflohen ist?

Ich kenne ihn nicht persönlich. Es ist für mich immer wieder eine schwierige Abwägung, ob ich dort bleibe oder nicht. Ich bin zurückgekehrt, weil mir das künstlerische Umfeld wichtig war. Was hierzulande als exotisch gilt, wird dort viel kritischer bewertet. Ohne Bonus.