Hamburg. Beim ausverkauften Konzert feiern der Sänger und seine Fangemeinde eine Sommerparty. Mit Bier, Mitsingen und Momenten der Rührung.
Kaum ist man mal 41 Jahre nicht da gewesen, schon geht die neue Saison im Stadtpark los. Das weckt Erinnerungen ans erste Livekonzert. Men at Work, damals, 1983. Welthits wie „Down under“. Selbst bemaltes Shirt. Jugendliches Staunen. Und nachher: vergebliches Warten auf Autogramme. Seufz.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja. Stadtpark. Süße Wehmut. Das passt doch zu Loddo, mit bürgerlichem Künstlernamen Lotto King Karl. Seine Auftritte sind gelebte Nostalgie. Zum 54. Mal steht er auf der Freiluftbühne. Ein Heimspiel. Und wieder ausverkauft, sprich: pickepackevoll. Dicht an dicht steht das Publikum, darunter viele treue Fans. Sie feiern Sommerparty, mit reichlich kühlem Gerstensaft. Sonne macht durstig. „Home is where the pilsette is“ heißt es auf einem der Lotto-Motto-Trikots. Ja, das beinahe erotische Verhältnis zum Bier ist ein Leitmotiv des Abends. Aber erst mal geht’s um Gefühle für und zwischen Menschen.
Der Ohrwurmrocker Lotto King Karl und seine Fans feiern im Stadtpark
Lotto King Karl und seine Barmbek Dream Boys – samt den zwei Dreams Girls, als Backgroundsängerinnen – starten ihr knapp dreistündiges Programm mit Songs wie „Glaube, Liebe, Hoffnung“, „Ikarus“, und „Ich liege nirgendwo richtig“. Selbst wer die Musik nicht schon in- und auswendig kennt, merkt schnell: Lotto kann Refrain. Er ist ein begnadeter Ohrwurm-Rocker. Dass er seit sieben Jahren kein neues Album mehr herausgebracht hat, ist kein Problem, eher im Gegenteil. Man pilgert ja nicht zu Lotto in den Stadtpark, um musikalische Experimente oder Riesenüberraschungen zu erleben. Sondern wegen der Atmosphäre, wegen der griffigen Melodien und der vertrauten Rituale.
Dazu gehört auch der ausgiebige Bierkonsum. „Alkoholiker-Block“ nennt Lotto King Karl, leicht schief lächelnd, den Teil des Programms, in dem er sein Lieblingsgetränk besingt. Da outet er sich als „biersexuell“, während er mit der rechten Hand eine Knolle in den sommerlichen Himmel reckt. Die Menge prostet tausendhändig zurück.
Den Heimatsong „Mitten in Baaarmbeeek“ schmettern alle mit
Flaschenbier gibt’s zwar nicht. Aber üppig Pils vom Fass, in Recyclingbechern. Halbe Liter, Pitcher, immer her damit. Schon krass, welche Mengen da in die Kehlen und zunehmend auch, versehentlich, auf die Stadtparkwiese geschüttet werden. Hier und da auf Kosten des sicheren Stehvermögens. Aber: Wenn jemand schwankt, stützt man sich halt gegenseitig.
Es ist eine angenehme und gesellige Crowd. Feierlustig, fröhlich und kontaktfreudig („Was schreibst‘n da?“). Und beeindruckend textsicher. Gerade in der Abteilung Lokalpatriotismus und Heimatverklärung, Lottos Kernkompetenz. „Mitten in Baaarmbeeek“ schmettern selbstverständlich alle mit. Und bei „Unten am Hafen“ sitzt jedes Wort. Da glitzert das eine oder andere Tränchen in der Abendsonne. Ein feuchtes Zeichen der Rührung auf den Wangen der Hamburger Jungs und Deerns. Warum auch nicht?
Sogar Zotiges kriegt er halbwegs uncringe wegmoderiert
Ja, in solchen Momenten herrscht schon mächtig Pathos im Park. Aber den manchmal fast weihevollen Ernst untergräbt Lotto zwischen den Songs mit einer gesunden Portion Selbstironie. Schnoddrig schnacken kann er halt auch. Über die körperlichen Gebrechen infolge seines komplizierten Fußbruchs zum Beispiel, nach dem er es zum ersten Mal wieder schafft, auf der Bühne wirklich zu stehen. Aber, einen lauffreudigen Hund ausführen? „Nee, ‘ne Schildkröte wäre gut!“.
Lotto findet den richtigen Ton, wirkt nahbar und bodenständig. Auch wenn er Wünsche aus dem Publikum erfüllt. Er begrüßt einen Junggesellinnenabschied und gratuliert Franziska und Joachim, die ihren 28. Hochzeitstag feiern. Und irgendwie kriegt er sogar Ballermann-Humor samt zotigen Kosenamen halbwegs uncringe wegmoderiert.
Den Klassenverbleib des HSV lässt Lotto unerwähnt. Wozu auch in der Wunde bohren?
Er ist eine coole, hanseatische Rampensau. Ein Performer, der authentisch rüberkommt und, bei aller Feierlaune, doch auch ein paar wichtige Botschaften auf die Party schmuggelt. Dass man schöne Momente bewusst genießen sollte. Und nach schmerzhaften Niederlagen nicht die Hoffnung verlieren darf. „Wir werden wieder aufstehen“, singt Lotto mit seiner Band und den Fans. Und als er danach „Glaubt mir das mal!“ ins Mikro nuschelt, scheint das aus tiefstem Herzen zu kommen.
Natürlich geht’s bei so einer Hymne auch um seinen Verein, der am Abend zuvor gerade leider völlig verdient den Nichtaufstieg gesichert hat. Auf dem Weg zum Zweitliga-Dino. So bitter. Lotto, der langjährige Stadionbarde, spricht das gar nicht erst an. Die Stimmungslage ist eh klar, auch bei den Fans, die tapfer mit HSV-Mütze, Shirt oder Schal zum Konzert gekommen sind. Was würde es bringen, in der Wunde zu bohren?
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Nee, das lassen wir mal. Lieber der Realität entfliehen und in Erinnerungen an bessere Zeiten schwelgen. Als letzte Zugabe, nach Hits wie „Das ist wie Fliegen“, „(Liebe ist…) Wie Malaria“ und „Ich liebe dich“ kommt natürlich noch das „Lied aus der Kreidezeit“, wie er selbst sagt. Die Hymne, die in Hamburg weltberühmt ist. Die auch Leute kennen, die von Lotto noch nie gehört haben: „Hambuich, meine Perle“.
Der HSV ist zurück in der ersten Liga, wenigstens ein paar Minuten lang. Rührung im Park. Arme auf Schultern. Leuchtende Displays. So viel Nostalgie darf sein. Und der 17. Mai 2025 ist reserviert. Fürs nächste Mal Loddo im Stadtpark. Vielleicht ja dann mit Aufstiegshymne.