Hamburg. Alicja Rosinski brilliert in Stanislava Jevićs „Die Erfindung meiner Kindheit“ am Jungen Schauspielhaus.

Kindheit ist eine schwierige Zeit. Kindheit als Kind jugoslawischer Gastarbeiter in den 80ern ist noch mal schwieriger. Und Kindheit mit einer psychotischen Mutter ist besonders schwierig. Und Kindheit ist ein Paradies. Das Paradies und die Hölle, gleichzeitig. So etwas muss man erst mal verarbeiten.

Theater Hamburg: Alicja Rosinski macht aus der Erzählung einen atemberaubenden Monolog

Stanislava Jević beschreibt in „Die Erfindung meiner Kindheit. Oder: all das, was mir das Leben rettete“ so ein Aufwachsen zwischen Geborgenheit und Haltlosigkeit. Und Alicja Rosinski macht auf der Studiobühne des Jungen Schauspielhauses einen atemberaubenden Monolog aus dieser Erzählung: glückliches Baden im Mittelmeer, multikulturelles Matratzenlager im Heimaturlaub, Einleben in der neuen Heimat Hamburg. Und dann der nächste psychotische Schub, der jede Freude wieder umschmeißt. Man kann sich nicht freuen, wenn ständig die Gefahr besteht, dass die Mutter mit einem Messer auf einen losgeht.

Rosinski spielt das als Rückschau, als Erwachsene, die sich erinnert, wie sie Freundschaften knüpfte, wie sie sich jedes Jahr auf den Urlaub im serbischen Heimatdorf des Vaters freute und auf den Besuch an der kroatischen Küste, von der ihre Mutter stammte. Jeans unterm Rock, dicke Socken in hohen Schuhen, Wollschal: eine leicht angehipsterte Szenefrau, die sich fragt, wann ihre Kindheit eigentlich zu Ende ging. Als die Anfälle der Mutter häufiger wurden? Als der Vater starb? Als das Heimatland Anfang der 90er im Bürgerkrieg implodierte? Oder ist die Kindheit überhaupt nicht vorbei, bekommt man das nicht los?

Die zurückgenommene Regie bietet Rosinskis Performance viel Raum

Jević inszeniert ihren eigenen Text zurückhaltend, aber wirkungsvoll. Orts- und Stimmungswechsel werden meist nur durch Lichtstimmungen angedeutet, ansonsten gibt es Kisten, in denen Erinnerungssplitter versteckt sind, eine multifunktional einsetzbare Wäscheleine, mehrere Overheadprojektoren, mit denen alte Familienfotos an die Wände geworfen werden (Ausstattung: Katrin Plötzky). Einen Ausbruch in die Leidenschaft zeigt Jević nur einmal, mit einem dröhnenden, lange ausgespielten Nena-Song.

Diese zurückgenommene Regie bietet Rosinskis Performance viel Raum, den die Schauspielerin optimal nutzt: für eine tastende Annäherung an die Vergangenheit ihrer Figur. Ein bisschen traurig, ein bisschen glücklich, aber immer voller Sympathie, ohne Groll, ohne Vorwürfe. In einer berührenden Szene wird beschrieben, wie die Protagonistin ihre Mutter im Pflegeheim besucht, um im Anschluss festzustellen: Sie ist ihr nicht böse. Das Leben ist, wie es ist, sage niemand, dass es einfach wäre.

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Was sich so auch über „Die Erfindung meiner Kindheit“ sagen lässt. Der Abend ist in der Lage, ein Publikum ab 15 Jahren tief zu berühren. Wenn es sich darauf einlässt, zu akzeptieren, dass Trauer und Freude, dass Paradies und Hölle ganz nahe beieinander liegen können.

„Die Erfindung meiner Kindheit“ wieder am 13. und 14. Mai, 19 Uhr, Junges Schauspielhaus, Wiesendamm 28, Tickets unter 248713, www.schauspielhaus.de