Hamburg. Yael Ronen will in Hamburg eine Science-Fiction-Komödie auf die Bühne bringen. Ein Gespräch über Blutvergießen, Trauma und die Zukunft.

Yael Ronen, in Jerusalem geborene, seit Langem in Berlin lebende Theatermacherin aus Israel präsentiert am 4. Mai ihre neue Uraufführung „State of Affairs“ im Thalia Theater. Ein Gespräch über Trauma, Humor – und warum Science Fiction das Genre der Stunde ist im Angesicht der Katastrophe.

Hamburger Abendblatt: Ihre Science-Fiction-Revue „Planet B“, die den Klimawandel thematisiert, war kürzlich zu Gast in Hamburg bei den Lessingtagen. Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich im neuen Stück „State of Affairs“?

Yael Ronen: Letztendlich handelt es sich um eine Science-Fiction-Komödie, die sich mit dem Gedanken befasst, dass Individuen die Geschichte formen und mit der Rolle der Kunst bei der Gestaltung historischer Erzählungen, insbesondere in Zeiten von Konflikten. Es wird hoffentlich auf eine nuancierte Art und Weise vermittelt, mit mehreren Ebenen.

In Ihren Arbeiten tauchen Sie oft in ferne Galaxien ein und denken über das Überleben von Zivilisationen im Angesicht einer drohenden Katastrophe nach. Was schlagen Sie den Menschen diesmal vor, um mit solchen Herausforderungen umzugehen?

Das Stück dreht sich um einen fiktiven Krieg, der durch eine Nachricht aus der fernen Zukunft inspiriert wird, die in einem Theater empfangen wird. Es ist ein Aufruf zum Handeln, der sich an eine bestimmte Person im Publikum richtet, die möglicherweise den Verlauf der Ereignisse, die zu einem Konflikt führen, verändern könnte. Sie reflektiert auch historische Momente, in denen Kunst Ereignisse in der realen Welt beeinflusst hat.

Regisseurin Yael Ronen am Thalia: „Science Fiction ist keine Flucht vor der Realität“

In Ihren Inszenierungen verhandeln Sie aktuelle Themen häufig in Formaten leichter Unterhaltung – etwa als Musical. Als Regisseurin sind Sie für Ihren Humor bekannt. Gibt es Situationen, in denen Humor nicht angebracht ist?

Die Wirksamkeit von Humor hängt vom Timing und vom Kontext ab. Ein gewagter Witz kann zwar relevante Einsichten vermitteln, aber seine Wirkung hängt von der jeweiligen Situation ab. Sensibilität für den gegenwärtigen Moment ist der Schlüssel und bietet eine breitere Perspektive auf komplexe Themen.

Ihre neue Inszenierung befasst sich mit dem Zusammenbruch der Kommunikation zwischen der zukünftigen und der gegenwärtigen Welt. Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?

Auslöser für das Stück war ein nachdenklich stimmender Facebook-Post, der auf unsere Tendenz hinwies, in der Gegenwart zu handeln und zu versuchen, die Vergangenheit zu reparieren, anstatt in der Hoffnung zu handeln, die Zukunft in Ordnung zu bringen. Ich mochte diesen Gedanken sehr und hatte das Gefühl, dass er die aktuelle politische Dynamik widerspiegelt.

Gleichzeitig trifft diese Science-Fiction-Erzählung, in der ein Zeitreisender versucht, bedeutende historische Ereignisse zu verändern oder zu verhindern, genau den Nerv unseres angeborenen Wunsches, katastrophale Ergebnisse umzukehren. Sie verkörpert ein Gefühl der Hilflosigkeit und Frustration, das die erschreckende Realität widerspiegelt, Zeuge entscheidender historischer Momente zu werden, die sich unserer Kontrolle entziehen. Science Fiction ist keine Flucht vor der Realität, sie kann das Tor zu einem furchtlosen Blick auf sie öffnen.

Die erfolgreiche Produktion „The Situation“ (die auch in Hamburg gezeigt wurde), in der syrische und israelische Schauspieler jüdischer und palästinensischer Herkunft in einem Deutschkurs an einer Neuköllner Volkshochschule über den Nahostkonflikt debattieren, wurde vorübergehend aus dem Repertoire des Berliner Maxim Gorki Theaters genommen. Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der das Stück auf die Bühne zurückkehren kann?

Ich glaube, die wichtigere Frage ist, ob wir uns wieder eine palästinensisch-israelische Gemeinschaftsproduktion vorstellen können. Und die Antwort lautet: Wir müssen uns das vorstellen können. Die Fähigkeit, gemeinsam zu arbeiten, zu träumen, eine Vision zu entwickeln und eine Sprache für den Dialog zu finden, ist das Herzstück dessen, was das Theater in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft tun kann. Und meine Hoffnung ist, dass der künstlerische Dialog etwas ist, das weiterhin stattfinden wird. Die Show „The Situation“ ist eine schwarze Komödie aus dem Jahr 2013 und wahrscheinlich mein autobiografischstes Stück. Ich liebe diese Show von ganzem Herzen, aber da sie vor einem Jahrzehnt geschrieben wurde, könnte sie sich heute veraltet und fast naiv anfühlen angesichts der aktuellen Katastrophe und dem Ausmaß von Gewalt und Blutvergießen.

Yael Ronen: „Ich hoffe, dass mehr palästinensische Regisseure und Autoren Raum auf deutschen Bühnen bekommen“

Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Zusammenarbeit geben wird, die versucht, die Scherben dieser verheerenden neuen Realität aufzusammeln und neue, relevante Theaterstücke zu schaffen. Und ich hoffe auch, dass mehr palästinensische Regisseure und Autoren den Raum und die Möglichkeit bekommen, auf deutschen Bühnen ihre Visionen und ihre Sicht der Dinge zu präsentieren. Im Moment habe ich das Gefühl, dass das nötiger ist und mehr fehlt als die Leitung eines weiteren Ko-Kreationsprojekts.

Sie haben im Dezember 2023 an der Berliner Schaubühne eine schnelle Produktion nach dem Hamas-Terror vom 7. Oktober mit dem Titel „Bucket List“ inszeniert. Wie erleben Sie die Realität im Moment?

Ich würde nicht sagen, dass „Bucket List“ sich ausschließlich mit den Ereignissen des 7. Oktober befasst, für mich ist es der Versuch, den emotionalen Zusammenbruch, den Krieg und Gewalt mit sich bringen, einzufangen. Im Kern ist es eine Show über Trauma. Und das ist es, was ein Trauma bewirkt: Es lässt die frühere Realität zusammenbrechen.

Yael Ronen inszeniert gerade das neue Stück „State of Affairs“ am Thalia Theater in Hamburg.
Yael Ronen inszeniert gerade das neue Stück „State of Affairs“ am Thalia Theater in Hamburg. © Esra Rothoff | Esra Rothoff

Der Krieg dauert nun schon sieben Monate an, und das Ausmaß der Gewalt und der Zerstörung, die er mit sich bringt, übersteigt meine kühnsten Albträume. Er wird noch Generationen nachwirken und einen langen und schmerzhaften Heilungsprozess erfordern. Und da wir die Vergangenheit nicht ungeschehen machen können, können wir nur versuchen, die Gewalt zu stoppen, die in der Gegenwart immer noch stattfindet. Und wir müssen damit beginnen, eine echte, nachhaltige Vision der Zukunft zu haben, die wir uns wünschen, auch wenn sie sich unmöglich anfühlt oder von der gegenwärtigen grausamen Realität losgelöst ist. Wir müssen damit beginnen, uns ein Bild der Freiheit, der Sicherheit und des Wohlstands für ALLE vorzustellen, die zwischen dem Fluss und dem Meer leben. Alle anderen Optionen verdammen uns zu einem Leben in ständigem Krieg. Wir müssen in der Lage sein, uns das Unmögliche vorzustellen.

Was kann die Kunst da beitragen? Kann sie überhaupt etwas ausrichten?

Ich würde sagen, Theater ist ein Fitnessstudio für die Muskeln des Herzens. Es ist der Ort, an dem man sich in Empathie übt, an dem man in den Schuhen anderer Menschen steht und mit ihnen fühlt. Es ist der Ort, an dem man übt, seine eigene Geschichte und Identität für ein paar Stunden loszulassen, um zuzuhören und sein Herz zu öffnen. Und in den aktuellen Diskursen ist es vielleicht das, was am meisten fehlt.

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„State of Affairs“ Uraufführung: 4. Mai, 20 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de