Hamburg. Die israelische Regisseurin bringt am Thalia Theater einen Abend nach dem Bestseller “21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ heraus.

Im knalligen Blaumann kommt Yael Ronen ins Café des Artistes, die Locken nur halbwegs gebändigt, die Probe im Thalia Theater ist gerade erst vorbei. Die Antworten kommen schnell, ihr stilles Wasser rührt Yael Ronen gar nicht an. Sie spricht Englisch, fließend und ziemlich rasant. Es ist ihre Produktionssprache, im Moment arbeitet die Regisseurin, die in Jerusalem geboren wurde und lange in Tel Aviv gelebt hat, ausnahmslos in der deutschsprachigen Theaterlandschaft, seit acht Jahren lebt sie in Berlin. Das Gorki Theater ist dort seitdem ihre künstlerische Heimat. Schon öfter war Yael Ronen zu den Lessingtagen in Hamburg eingeladen, zuletzt 2018 mit ihrer „Winterreise“. „(R)Evolution“ ist ihre erste Eigenproduktion am Thalia Theater.

Eigentlich hatten Sie am Thalia Theater die Bearbeitung eines anderen Bestsellers von Yuval Noah Harari geplant: „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ – nun bezieht sich Ihre Inszenierung auf „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Ebenfalls von Harari, ebenfalls ein Bestseller. Wie kam es zu der Änderung?

Yael Ronen Es passiert mir recht oft, dass ich für einen Theater-Spielplan lange im Voraus ein Thema und einen Titel ankündigen muss. Und dann merke ich, dass mein Interesse ganz woanders liegt. (lacht) Ich fand, die „21 Lektionen“ korrespondieren viel direkter mit meinen anderen Arbeiten. Das Nachdenken darüber, wohin wir als Gesellschaft steuern, wo die großen Herausforderungen liegen, denen wir begegnen müssen... Als Harari seine „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“ veröffentlichte, dachte ich: Wow, hier brennt wirklich etwas. Ich fühlte eine Dringlichkeit. Ich habe dieses Buch fast als „politische Mission“ begriffen.

Inwiefern?

Ich habe das Gefühl, wir befinden uns als Spezies an einer großen Kreuzung, an der wir besonders aufmerksam sein müssen. Er spricht vor allem über drei Dinge, die er als größte Herausforderungen der nächsten Jahre sieht. Die Möglichkeit eines Nuklearkrieges, die Klimakrise – und dann spricht er über die Revolution von Biotechnologien und Infotechnologien. Von diesen drei Themen werden die ersten beiden politisch bereits viel diskutiert. Die Klimakrise ist nicht mehr bloß etwas, worüber sich Esoteriker oder Umweltschützer austauschen. Über Atomkriege sprechen wir spätestens seit den 1950er-Jahren. Bei beiden Themen ist offensichtlich: Es kann keinen Gewinner geben. Was den letzten Punkt zum gefährlichsten macht – da sieht es nämlich für manche so aus, als könnte es Gewinner geben. Und das kann große disruptive Veränderungen zur Folge haben, die uns noch gar nicht bewusst sind. Erst nach „Cambridge Analytica“ begann die Diskussion darüber, ob einige der Tech-Unternehmen eigentlich irgendwie reguliert werden müssten. Neue Technologien kommen nie mit einer Anleitung dafür, wie die Gesellschaft sie eigentlich benutzen sollte. Und was sie ihr auch antun können. Das ist vielleicht die übergeordnete Mission von Harari: den Leuten diese Themen ins Bewusstsein zu rücken.

Teilen Sie diese Mission?

Ich muss sagen, dass ich – bevor ich dieses Buch gelesen hatte – auch zu denen gehörte, die den Atem im Nacken noch nicht gespürt haben. Indem ich begann, für diese Inszenierung zu recherchieren, veränderte sich mein Blick auf die Welt. Ich habe überhaupt nicht realisiert, wie weit diese Art der Technologie unsere Leben schon bestimmt!

Wie bringen Sie diese eher theoretischen Themen auf der Bühne zum Funkeln?

Es bleibt nicht theoretisch, da liegt etwas sehr direktes, sehr berührendes in diesem Thema. Wir versuchen, es auch über die Komik zu erzählen. Wir packen aber natürlich unsere Ängste und die moralischen Dilemmata hinein, die uns in der Zukunft begegnen werden. Wir erzählen Geschichten über einfache Menschen, die mit großen Fragen zu tun bekommen. Zum Beispiel gibt es da einen Erzählstrang über ein Paar, bei denen einer von beiden zu Hause überwacht wird, weil seine Krankenversicherung sonst nicht zahlt. Sie wollen ein Kind haben, aber dieses Kind muss genetisch manipuliert werden, weil auch da sonst keine Krankenversicherung zahlt. Und das erste Kind wird diskriminiert, weil es nicht genetisch verändert wurde und bestimmte Dinge darum nicht kann.

Noch klingt es nicht so lustig...

Nein, die Fragen, die wir behandeln, sind sehr ernst. Aber WIE wir sie behandeln, das bietet auch komische Perspektiven.

Die Dialoge dieses Paares zum Beispiel, das ja so im Buch gar nicht vorkommt, die haben Sie dazuerfunden?

Ja. Ich erfinde gewissermaßen die Geschichten zu den theoretischen Fragen. Ich mache das gemeinsam mit Dimitrij Schaad, einem der Schauspieler, mit dem ich auch am Gorki Theater schon gearbeitet habe. Mal sehen, wohin uns unsere Vorstellungskraft führt.

Arbeiten Sie auch mit Harari zusammen, ist er an der Produktion beteiligt?

Er weiß davon, ist aber nicht beteiligt.

Sein Buch ist jedenfalls ziemlich pessimistisch und düster. Wenn Ihre Arbeit komisch und humorvoll ist – wie passt das zusammen?

Die Tatsache, dass etwas komisch ist, heißt nicht, dass es nicht pessimistisch ist! (lacht) Und einige der pessimistischsten Leute, die ich kenne, sind sehr lustig! Was den Humor ausmacht, ist oft der Umstand, dass die Dinge so absurd sind. Ein Kühlschrank, der mich anschreit, weil ich die falschen Dinge esse!

Das Theater dagegen ist ja noch ein sehr analoges, fast altmodisches Unternehmen. Wenn wir über digitale Disruption sprechen – welche Veränderungen werden dem Theater wohl begegnen?

Dass Theater muss sich darauf besinnen, warum es all die Jahre überlebt hat. Harari schreibt schon in seiner „Kurzen Geschichte der Menschheit“ darüber, was uns zu Menschen macht: Geschichten erfinden und Geschichten hören. Das definiert uns als Menschen, aber auch als Gesellschaften. Das Bedürfnis, Teil einer Erzählung zu sein, definiert unsere Identitäten. Das Theater wird sich in der Zukunft durchaus verändern – schon jetzt sind unsere Sehgewohnheiten anders als früher, zuhause sagt dir Netflix, was du sehen willst. Das Theater ist dagegen wie der alte Marktplatz, wo man zusammen findet, sich austauscht, debattiert. Die Zukunft des Theaters sehe ich weniger in der Kunst oder der Form, sondern mehr in der Funktion als ein Ort, an dem politische Diskussionen stattfinden. So kann es eine wichtige soziale und politische Rolle erfüllen.

„(R)Evolution“, Premiere Sa 29.2., 19.30 Uhr, weitere Vorstellungstermine zwischen 1.3. und 17.6., Karten 8-79,- unter T. 328 14-444