Hamburg. Die Zaubermeisterinnen Belinda Sinclair und Alana über nützliche Tricks, Bloßstellungen des Publikums und besonders magische Momente.

In den „Bibi & Tina“-Hörspielen können nur Frauen hexen, in der echten Welt der Zauberkunst scheinen sie aber eine Minderheit zu sein. Dabei beherrschen sie seit Jahrhunderten alle Tricks, wie der Hamburger Zauberkünstler, Autor, TV-Moderator und Sammler Wittus Witt in seinem kleinen, aber liebevoll kuratierten Zaubermuseum Bellachini auf dem Hansaplatz zeigt. Vom 5. Mai bis zum 31. Oktober stellt er „Zauberkunst in Frauenhänden“, Biografien und Artefakte aus zwei Jahrhunderten vor und freut sich nach einer ausverkauften Zauber-Gala mit Alana, Belinda Sinclair und Michelle Spillner am 1. Mai im Sprechwerk auf die Vernissage am 5. Mai.

Bei der Vernissage sind auch Alana, die Hamburger Fashion-Zauberfrau „mit den hundert Händen“ und die New Yorker Meisterin der Close-up-Zauberei (direkt am Publikum) Belinda Sinclair zu Gast, wobei Sinclair auch noch an den drei Abenden vor der Vernissage Sondervorstellungen im Bellachini gibt. Wer die beiden Zauberinnen im Gespräch kennenlernt (und einige beeindruckende Tricks gezeigt bekommt), erfährt viel über die spirituelle und historische Geschichte der Magie, Technik und Schwierigkeiten und auch über lange Ausgrenzung aus magischen Männerzirkeln und Verbänden. Da gibt es noch einiges zu tun, da muss man sich keine Illusionen machen.

Alana: Ihre Eltern traten in den 70er-Jahren im Hansa-Theater auf

Hamburger Abendblatt: Viele Wege führen zur Zauberei. Wie sind Ihre verlaufen?

Alana: Ich bin in einer zauberhaften Familie aufgewachsen: Meine Eltern waren ebenfalls professionelle Zaubernde und als Duo Frederik & Margit bekannt. An meinem fünften Geburtstag stand ich das erste Mal selber auf einer Bühne. Für mich war Zauberei zuerst ein Beruf und erst später auch Hobby und Leidenschaft, weil meine Eltern mir zeigten: Um deinen Unterhalt zu verdienen, musst du abliefern.

Belinda Sinclair: Ich wuchs in New York in der Theaterszene auf und war Kinderdarstellerin am Broadway, hauptsächlich am The Public Theater. Und wenn ich gecastet wurde, dann bevorzugt für die Rolle als Hexe oder Verrückte, das lag wahrscheinlich an meinen Augen und Haaren. Nach meinem Abschluss an der High School for Per­forming Arts begann ich ein medizinisches Studium und wurde eines Tages gebeten, Kinderpatienten zu unterhalten. Also ging ich in New Yorks ältesten Zauberladen Tannen‘s Magic, wo man mir einen illustrierten Würfel zeigte. Ich fand den zu teuer und schlecht gestaltet und sagte, ich könne das besser machen. So bekam ich dort einen Job, illustrierte Zauberobjekte für den Katalog – und lernte so, wie sie funktionierten.

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Frau Sinclair, Sie sagen: „Zauberei ist die Kunst, beim Betrachter eine sofortige Veränderung des Bewusstseins zu bewirken.“ Wie ist das zu verstehen?

Sinclair: Hoffnung, Zufall und Glück existieren nur, weil wir denken, dass die Möglichkeit besteht, dass kleine Wunder möglich sind. Die Magie passiert, bevor wir überhaupt auf die Bühne gehen.

Alana: Das ist ein unglaublich starkes Gefühl, das Zaubernde und Publikum eint: die Gewissheit, dass gleich etwas Besonderes passieren kann.

„Wenn ich gecastet wurde, dann bevorzugt für die Rolle als Hexe oder Verrückte, das lag wahrscheinlich an meinen Augen und Haaren“: Die Zauberin Belinda Sinclair aus New York.
„Wenn ich gecastet wurde, dann bevorzugt für die Rolle als Hexe oder Verrückte, das lag wahrscheinlich an meinen Augen und Haaren“: Die Zauberin Belinda Sinclair aus New York. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Belinda Sinclair: „Zauberinnen sind generell anders. Sie schauen hinter den Vorhang“

Es gibt unzählbare Stile, Formen, Varianten und Möglichkeiten der Zauberei. Vom klassischen Kaninchen aus dem Hut bis zu spektakulären Illusionen. Haben Sie Tricks, die Sie selber von Grund auf entwickelt haben und die niemand zuvor gezeigt hat?

Sinclair: Ja (lacht).

Alana: Klar. Aber ich glaube, so richtig von Grund auf Ungezeigtes gibt es nur selten. Alles startet mit einer Idee, die nicht unbedingt von anderen Zaubertricks inspiriert sein muss, sondern auch im Alltag passieren kann. Einer meiner Tricks ist ein Topträger, der von allein die Schulter runter- und wieder hochrutscht. Ein typisches Sommerproblem von Frauen (lacht), das zum Zauberkonzept wurde. Das zu realisieren braucht viel Versuch und Irrtum.

Nutzen Sie Ihre Zaubertalente auch im Alltag? Um beim Date zu beeindrucken oder beim Einkaufen an der Kasse zu schummeln?

Alana: Ja, das ist durchaus nützlich. Ich war zwar gut in der Schule, aber manchmal – sicher ist sicher – war Zauberei nützlich, um an ... wichtige Informationen zu gelangen.

Sinclair: Zauberinnen sind generell anders. Sie schauen hinter den Vorhang. Sie können Menschen sofort durchschauen und lesen, an ihrer Erscheinung, ihrem Verhalten, ihren unbewussten Gesten. Das lässt sich sowohl auf sehr inspirierende Art nutzen, Vertrauen schaffen durch das Spiegeln von Körpersprache zum Beispiel, aber auch auf sehr dunkle, manipulative Weise. Letzteres habe ich zwar nie getan, aber ich verstehe die Prinzipien dahinter.

Alana und Belinda: Das Publikum zu veralbern ist ein absolutes No-Go.

Verstehen Sie grundsätzlich die Prinzipien diverser Zaubertricks von anderen Künstlerinnen und Künstlern, oder gibt es noch Momente, wo auch weltbekannte Profis wie Sie sich fragen: „Wie zum Teufel hat sie das gemacht?“

Alana: Oh, wenn das passiert, ist das wirklich großartig! Das sind die besten Momente! Auch wenn wir technisch eigentlich meistens die Prinzipien verstehen, ist die erste Verwunderung immer noch möglich und magisch. Da sind wir Teil des Publikums.

Sinclair: Im ersten Augenblick denke ich immer noch: wow! Und mein Herz bleibt fast stehen. Und dann fange ich an, den Trick zu analysieren. Denn Magie IST viel mehr als unentdeckte Wissenschaft, es ist die Verbindung von Forschungsgeist und Neugierde mit spirituellem Erlebnis und geistiger Gemeinschaft. Es ist wie in der Musik: Die Magie entsteht nicht nur durch die Noten, die gespielt werden, sondern auch die Noten, die nicht gespielt werden. Der Swing entsteht durch den Offbeat.

Gibt es Formen der Zauberei, die Sie ablehnen?

Alana: Ja, Showelemente, die das Publikum oder Einzelpersonen doof dastehen lässt. Bloßstellungen gehen gar nicht.

Sinclair: Ich kenne Zaubernde, die ihr Gegenüber bewusst in Zustände von Unbeholfenheit oder Peinlichkeit versetzen – als Scherz. Aber weiß man, ob der Scherz auch für die Betroffenen lustig ist? Mit der Verletzung von Würde und Integrität zu spielen kommt für mich absolut nicht infrage.

Belinda Sinclair: „Willst du ein Geheimnis bewahren? Schreib ein Buch darüber“

Im Gegensatz zu Zeiten, als Alanas Eltern noch im Hansa-Theater zauberten, sind viele magischen Geheimnisse heutzutage entzaubert. Im Internet kursieren diverse Erklärungen und Entlarvungen von Tricks. Bedauern Sie das?

Alana: Nein. Bei mir ist auch noch nie jemand bei einer Show auf die Bühne gekommen und hat gesagt: „Hey, ich weiß, wie der Trick funktioniert, ich habe das im Internet gesehen.“ Ich glaube, der Prozentsatz an Menschen, die sich wirklich dafür interessieren, wie bestimmte Tricks funktionieren, ist sehr klein. Und die Faszination am Live-Erlebnis ist ungebrochen.

Sinclair: In New York kann das manchmal schon anstrengend sein mit dreijährigen Erwachsenen (lacht): „Ich weiß, wie du das machst“ ...

Alana: ... ja, die sind beleidigt, weil sie es eben nicht verstehen, wie ein Trick funktioniert, und sich dadurch persönlich angegriffen fühlen. Hatte ich auch gerade. Ich sage dann immer: „Dann los, mach es mir nach.“

Sinclair: Dabei bleibt Magie Magie, ob man dahinterkommt oder nicht. Wie oft haben wir den Film „Singing In The Rain“ gesehen? Hundertmal? Und trotzdem bleiben Ensemble, Regie und Spezialeffekte einfach bezaubernd. Ich mag keine Entlarvungsvideos von Zaubertricks, die die Kunst der Zaubernden kleinreden wollen. Aber ich schaue sehr gern die, die die Künstlerinnen und Künstler, ihre Kunst und die Tricks dahinter respektvoll und mit Bewunderung vorstellen, zum Nachmachen anregen und neue Generationen von Zaubernden wecken. Abgesehen davon wird seit Jahrhunderten über Zaubertricks geschrieben, und wenig ist passiert. Mein Vater sagte immer: „Willst du ein Geheimnis bewahren? Schreib ein Buch darüber.“

Die Hamburger Zauberin Alana. 2012 wählte der Magische Zirkel von Deutschland, die nationale Vereinigung der Zauberkünstler, mit ihr erstmals in hundert Jahren eine Frau zum „Magier des Jahres“.
Die Hamburger Zauberin Alana. 2012 wählte der Magische Zirkel von Deutschland, die nationale Vereinigung der Zauberkünstler, mit ihr erstmals in hundert Jahren eine Frau zum „Magier des Jahres“. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Magischer Nachwuchs: Kann jeder Zauberkunst erlernen?

Kann jeder Zauberei lernen?

Sinclair: Ja.

Alana: Natürlich.

Warum gibt es dann vergleichsweise wenig zaubernde Frauen?

Sinclair: Es gibt so viele. So viele. So viele. So. Viele. Habe ich oft genug so viele gesagt? Es ist ein Missverständnis, dass es wenige zaubernde Frauen gab und gibt. 3500 vor Christus gab es weltweit ausschließlich nur Zauberinnen, in Mesopotamien. Mit fein zerstäubtem und entzündetem Lycopodium, den Sporen der gelben Bärlapp-Blüte, sorgten sie für spektakuläre, explosive Spezialeffekte. Daher tragen die Königinnen des Bycyle-Spielkartendecks, dem Standardkartenset für Zaubernde, auch gelbe Blüten in der Hand.

Alana: Dennoch muss gesagt werden, dass Frauen heute immer noch als Ausnahmeerscheinung in der Zauberkunst gelten und in der Minderheit sind bei Conventions, Treffen und Shows. Bei Veranstaltungen gibt es manchmal einen Comedy-Zauberer, einen Kartentrick-Zauberer, einen Pantomimen – und eine Frau, so als eigene Zauberkunst-Kategorie. Es kam auch schon vor, dass mir abgesagt wurde, weil man „schon eine Frau“ habe.

Da hat es keine bemerkenswerte Fortschritte gegeben in den vergangenen 20 Jahren?

Alana: Tatsächlich ist die Zauberkunst in vielen Bereichen noch sehr altmodisch geprägt, auch in ihrer Wahrnehmung. „Unterhaltung für Kinder“ höre ich zum Beispiel sehr oft.

Sinclair: Es ist auch immer noch nicht einfach, spezielle Apparate, Geräte oder Kleidung für Zauberinnen zu bekommen. Sagen wir es mal realistisch: Wie oft haben wir gesehen, wie auf der Bühne ein Mann von einer Frau in zwei Hälften gesägt wurde?

Alana: Nur in meinem Hinterhof (lacht).

Zauberkunst in Frauenhänden Vernissage So 5.5., 15.00, Eintritt frei; bis 31.10., Do–So und an Feiertagen 11.00–18.00, Zaubermuseum Bellachini (U/S Hauptbahnhof), Hansaplatz 8, Eintritt 12,50, erm. 8,50; www.hamburger-zaubermuseum.com Sondergastspiel: Parlour Magic mit Belinda Sinclair (englisch) im ZauberSalon 2.5., 3.5., 4.5., 20.00, Zaubermuseum Bellachini, Karten 42,50, begrenztes Platzangebot, Voranmeldung erforderlich: abc@hamburger-zaubermuseum.com, T. 0172 244 90 80