Hamburg. Am 1. Juni kombiniert der Hamburger in der Barclays Arena Klassik, Techno und Eurodance. Ein Gespräch über Rentner-Raves und Vorbilder.

Sein Spagat ist gewagt, aber erfolgreich: Auf bislang fünf Alben kombiniert der Hamburger Produzent und DJ Alex Christensen (57) orchestrale Klassik mit Pop, Techno und Eurodance. Vor seinem Konzert am 1. Juni in der Barclays Arena spricht er über Gemeinsamkeiten mit Bandleader-Legende James Last, harten Feiern mit East 17, Clubsterben und der schwer begreifbaren Tatsache, dass Techno-Tracks der 90er mittlerweile Oldies sind.

Hamburger Abendblatt: Herr Christensen, um an unser letztes Gespräch 2021 anzuknüpfen: Haben Sie es mittlerweile in die Elbphilharmonie geschafft, und sei es als Zuschauer?

Alex Christensen: Nein, immer noch nicht. Aber ich arbeite dran und werde erst einmal mit der Barclays Arena vorliebnehmen.

Ihren Nummer-eins-Hit „Du hast den schönsten Arsch der Welt“ in der Elbphilharmonie aufzuführen, das wäre schon was.

Christensen: Ich hatte ja noch ein paar mehr, aber natürlich ist der im Programm. Das ist auch ein sehr emanzipiertes, von Yass gesungenes Lied, das würde gut in die Elbphilharmonie passen.

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Alex Christensen: James Last ist sein großes Vorbild

Ihr aktuelles, im Oktober 2023 veröffentlichtes Album heißt „Classical 90s Dance – The Icons“. Davor kamen seit 2017 „Classical 90s Dance“, „Classical 90s Dance 2“, „Classical 90s Dance 3” und „Classical 80s Dance”. An welchen Produzenten und Bandleader muss man unweigerlich bei dieser Betitelung denken?

Christensen: An einen meiner großen Helden: James Last.

Exakt. „Non Stop Dancing“ 69, 70, 71, 72 und so weiter bis 85. Mich überrascht trotzdem, dass er eines Ihrer Vorbilder ist.

Christensen: Also zuerst einmal war Hansi auch Hamburger, und ich habe ihn öfter in den Chateau Du Pape Studios in Eimsbüttel getroffen. Er war immer einer der ganz, ganz freundlichen, unfassbar kreativen Kollegen, die ich treffen durfte. Und unglaublich erfolgreich weltweit. Er hat mir mal erzählt, wie er in den 70er-Jahren für 50 Prozent des Umsatzes seiner Plattenfirma verantwortlich war. Kein Wunder, wenn man nahezu monatlich Alben aufnimmt. Vor seinem Lebenswerk und seinem Fleiß kann ich nur den Hut ziehen. Überragend.

Produzenten wie James Last, George Martin, Quincy Jones, Rick Rubin, Timbaland, Dr. Dre …

Christensen: … Frank Farian, Giorgio Moroder …

… sind ja kreative Köpfe, die ebenso bekannt waren, oder sind wie die Stars, mit denen sie gearbeitet haben. Mittlerweile haben die Großen im Pop wie Taylor Swift ganze Zulieferketten mit 30, 40 Produzenten, Komponisten, Effektbastlern, Textern, Musikern. Bedauern Sie diese Entwicklung?

Christensen: Es gibt ja beides: Produzenten, die Künstlerinnen und Künstler unter Vertrag haben und mit denen eng zusammenarbeiten, sowie auch Einzelaufträge und Kooperationen für einen Song. Ich fand es klasse, so auch mal für einen Titel mit einem Udo Lindenberg oder Peter Maffay zusammenzukommen. Die Frage ist, worauf man sich einlässt. Ich habe mittlerweile beschlossen, meinen eigenen Kosmos zu schaffen, weil ich es sehr angenehm finde, Alben komplett durchzuproduzieren. Das Album an sich ist ja ein aussterbendes Produkt.

Vorhang auf für ein kleines bisschen Elektro-Klassik-Show: Alex Christensen lenkt sein Berlin Orchestra vom DJ-Pult aus.
Vorhang auf für ein kleines bisschen Elektro-Klassik-Show: Alex Christensen lenkt sein Berlin Orchestra vom DJ-Pult aus. © Marcel Brell/Semmel Concerts | Marcel Brell

Alex Christensen: „Gott sei Dank gab es damals noch keine Handys“

Sehen Sie sich auch als Bandleader wie ein James Last?

Christensen: Ein bisschen, ja. Das Berlin Orchestra ist ja mein Orchester, ich bin mit den Menschen bereits seit 2017 eng verbunden. Aber vielleicht bin ich eher ein Bandleader im modernen Sinne, auf der Bühne bin ich ja hauptsächlich DJ, auch wenn das vom Entertainment-Faktor nicht so spannend ist, wenn man aussieht, als würde man in der Küche Herdplatten abwischen. Aber ich singe und tanze mit. Ich bin … Bandleader-DJ.

Auf „Classical 90s Dance – The Icons“ ist auch die 90er-Boygroup East 17 bei „House Of Love” dabei. War die nicht seit einem Vierteljahrhundert aufgelöst?

Christensen: Ich habe mit East 17 wirklich sehr wilde Zeiten erlebt, wir sind Mitte der 90er zusammen in Paris bei einer Fernsehshow gewesen, und die waren total verrückt, haben gefeiert wie eine Rockband. Die Band hat eine Geschichte wie der Film „The Wrestler“, mit ganz extremen Höhen und Tiefen. Aber aus heutiger Sicht hat East 17 eine ganz interessante Patina, viel Geschichte. Als wir in London zusammen aufnahmen, haben wir uns von früher erzählt und waren uns einig: Gott sei Dank gab es damals noch keine Handys.

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Die Gäste auf Ihrem Album, trifft man die noch alle von Angesicht zu Angesicht oder schickt man sich zumeist nur noch Song-Dateien hin und her?

Christensen: Sowohl als auch. Während Corona wollte ich mit Gary Barlow aufnehmen und sagte zu ihm: „Du, ich komm schon irgendwie nach London“. Bis nach Calais habe ich es mit meinem Bus geschafft, aber es fuhren keine Fähren, nichts. Auf einem Zeltplatz bei Calais habe ich den letzten Rest Netz gefunden und so mit Gary in seinem Heimstudio in London über den Kanal hinweg „Don‘t Dream It‘s Over“ aufgenommen. Mit dem Bus ging es auch zu Bonnie Tyler nach Portugal. Denn ich mag es lieber, wenn man sich sieht und eine Beziehung aufbauen kann. Tolle Menschen wie Mel C oder Anastacia in meinem Beruf zu treffen ist das höchste Gut.

Alex Christensen: „Ich sehe diese Zeit heute durch einen Schleier aus Alkohol und Übernächtigung“

Das Abendblatt hat kürzlich geschaut, was aus einigen großen Clubs der 90er wie Front, Traxx, Palladium oder Pleasure Dome geworden ist. Sie stehe jetzt leer, verfallen oder stehen kurz vor dem Abriss. Waren Sie viel unterwegs in Hamburgs Clubs damals?

Christensen: Wenn ich in Hamburg war, dann bin ich natürlich auch feiern gegangen, ich sehe diese Zeit heute tatsächlich durch einen Schleier aus Alkohol und Übernächtigung, morgens um 9 Uhr in irgendeinem Frühclub. Aber jede Zeit überschreitet irgendwann ihren Höhepunkt, und die Menschen wenden sich anderen Sounds und Vorlieben zu. Front oder Traxx schlossen ja auch, weil die Reeperbahn durch den Wandel vom Rotlicht- zum Amüsierviertel immer attraktiver wurde. Aber es wurde außerdem schwieriger für Clubs durch Gentrifizierung und hohe Mietpreise. Dabei haben Clubs auch eine kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung. Mittags ins Miniatur Wunderland und abends in die Clubs, das hängt schon zusammen. Das muss die Politik schon im Auge haben.

Was man sich kaum noch vorstellen kann: Die damals jungen Raver, die Anfang der 90er Techno mit Tracks wie Ihr „Das Boot“ im Mainstream auftauchen ließen, sind heute 50, 60 Jahre alt. Die Hits von Marusha, Westbam oder Sven Väth sind: Oldies! Ist Ihnen das bewusst?

Christensen: Ich verstehe, was Sie meinen. Als wir damals angefangen haben, waren Oldies für uns die Rock-’n’-Roll- und Beat-Songs der 50er und 60er. Aber dadurch, dass wir Techno oder Eurodance so bewusst gelebt und in uns aufgenommen haben, sind die immer präsent geblieben und altern für uns einfach nicht.

„Ich singe und tanze mit. Ich bin … Bandleader-DJ“, sagt Alex Christensen.
„Ich singe und tanze mit. Ich bin … Bandleader-DJ“, sagt Alex Christensen. © Marcel Brell/Semmel Concerts | Marcel Brell

Alex Christensen: Rave-Partys statt Bingo im Altenheim

Und in 20 Jahren gibt es im Seniorenstift statt Bingo Raves für Rentner, nur die bunten Pillen ballern nicht mehr so?

Christensen: Das kann passieren, warum auch nicht? Ich würde hoffen, dass dort solche Musik läuft, wenn ich im Altenheim bin. Das habe ich noch nie so gesehen bislang, aber das wäre tatsächlich generationengerecht. Lustiger Gedanke.

Was einem auch erst über die Jahre bewusst wird: Ihr ESC-Beitrag „Miss Kiss Kiss Bang“ mit Alex Swings Oscar Sings! 2009 in Moskau war einer der erfolgreichsten deutschen Beiträge beim Eurovision Song Contest der letzten 20 Jahre – mit Platz 20 von 25.

Christensen: Ich liebe den ESC ja sehr und sehe es weniger als Wettbewerb, sondern als fantastische Show der kulturellen Vielfalt. Vielleicht ist das der einzige Moment, in dem man Europa komplett vereint erlebt.

Alex Christensen & The Berlin Orchestra Sa 1.6., 20.00, Barclays Arena (S Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten ab 69,50 im Vorverkauf; www.alexchristensen.net