Hamburg. Boris Lauterbach über sein neues Solo-Album „Disneyland After Dark“, eskalierte Partys und düstere Großstadt-Ecken. Freitag ist Konzert.
„Aufgewaacht, hier kommt Lauderbaach!“, schrie König Boris alias Boris Lauterbach 2005 im Song „Lauterbach“. Beinahe 20 Jahre später hat sich das erfolgreiche Hamburger Hip-Hop-Trio Fettes Brot nach zwei Abschiedskonzerten im September 2023 auf der Bahrenfelder Trabrennbahn aufgelöst. Und Lauterbach wacht auf mit „Disneyland After Dark“, seinem zweiten Solo-Album nach „Der König tanzt“ 2012.
Beim Gespräch im Büro von Buback Tonträger in der Neustadt erinnert sich Lauterbach an die menschenleeren Corner-Ecken, ausgestorbenen Clubs und einsamen Partymeilen der Corona-Zeit, die viele Texte von „Disneyland After Dark“ inspirierten. Es ist ein von aktuellem Elektro und UK-Rave der 90er geprägtes Konzeptalbum, das er am Tag des Erscheinens am 26. April mit einem Release-Konzert im Uebel & Gefährlich vorstellen wird. „Hier ist es gleichzeitig scheiße und schön“, sagt er über seine Heimatstadt, die ihn hörbar in Atem hält: Es gibt ein Leben nach dem Brot.
- Fettes Brot nimmt Abschied: „Ich muss gleich anfangen zu heulen“
- Fettes Brot: Die fetten Jahre des Hip-Hop-Trios sind vorbei? Jein!
- Clubs in Hamburg sterben aus: Wird Hansestadt jetzt Party-Provinz?
König Boris: „Ich wusste, ich muss ein Album über die Stadt machen“
Hamburger Abendblatt: Fettes Brot ist nach den finalen Konzerten im September 2023 auf der Trabrennbahn gerade erst Geschichte, da haben Sie bereits ein Solo-Album fertig. Haben die Pläne zum Alleingang die Entscheidung zur Auflösung von Fettes Brot beeinflusst?
Boris Lauterbach: Absolut nicht. Ich habe in der Corona-Zeit angefangen Songs zu schreiben, weil absehbar war, dass Fettes Brot direkt nach der 2019er-Tour zu „Lovestory“ erst mal kein neues Album machen wird. Ich bin dann durch die leere Stadt gelaufen, an Orte, die sonst so voller Leben waren. Ich drückte dann wie in einem Film auf „Pause“ und wusste, ich muss ein Album über die Stadt machen. Als sich herauskristallisierte, Fettes Brot aufzulösen, habe ich das Projekt erst mal zur Seite gelegt, um mich voll auf die Abschiedstour zu fokussieren. Als das vorbei war, war genug Zeit da, „Disneyland After Dark“ schnell fertig zu kriegen.
Auch bei genauestem Hinhören findet man auf „Disneyland After Dark“ keinen Querverweis, keine Anspielung auf Fettes Brot.
Lauterbach: Nee. Das stimmt, gut beobachtet. Das ist einfach nicht passiert. Ich glaube, dadurch, dass wir uns bis September 2023 extrem viel mit Fettes Brot, mit der Vergangenheit, Songs und Bildern beschäftigt haben, war das schon abgedeckt. Es wäre auch merkwürdig gewesen, wenn ich dasselbe gemacht hätte wie immer, nur ohne die anderen beiden.
Drei waren `ne Party, hinter „Disneyland After Dark“ stehen, abgesehen von einigen Gästen wie Heinz Strunk, nur zwei, Sie und Produzent – und Fettes-Brot-Tourbassist – Arne Diedrichson?
Lauterbach: Ja genau. Arne ist ja Multiinstrumentalist von Synthies über Bass bis Schlagzeug. Eine Maschine, was das angeht. Und für den geplanten Sound, der völlig undogmatisch in Richtung UK-Indie-Rave der 90er gehen sollte, genau richtig.
„Disneyland After Dark“: Wird der Albumtitel ein Problem?
Kenner der Rockmusik wissen natürlich sofort, dass die dänische Band D-A-D Namenspate für den Albumtitel ist. Die hieß bis 1989 Disneyland After Dark, änderte aber den Bandnamen, um einer drohenden Klage des Disney-Konzerns zu entgehen. Befürchten Sie Ähnliches und haben noch einen alternativen Albumtitel in der Schublade?
Lauterbach: Ich habe mir sagen lassen, dass die rechtliche Lage in diesem Fall deutlich anders ist, und befürchte da nichts.
Thematisch steht das Album auf drei Säulen: Erlebnis, Hunger – mit dem Song „Lieferservice“ – und … Erlebnishunger. Das ist die treibende lyrische Kraft. Und auch in den Feier-Songs wie „Zuhause angekommen“ und „Beste“ schwingt viel Melancholie mit.
Lauterbach: Wenn man sich mit einer Großstadt beschäftigt, stößt man auch automatisch auf die düsteren Seiten. Die nicht so ausgeleuchteten Ecken, die nicht auf Hochglanz polierten Partys auf Instagram. Diese Reibung dazwischen, wie ich sie zum Beispiel in „Unten an der Ecke“ beschreibe, erzeugt eine ganz bestimmte Energie: Hier ist es gleichzeitig scheiße und schön. Manchmal bin ich sehr dicht dran an einem Minikosmos wie in „Stadtratte“, manchmal zoome ich hinaus. Da bleibt es nicht aus, dass ein Song auch eine düstere Seite bekommt.
Wie im Peter-Fox-Song „Schwarz zu Blau“. Er war der Berliner „Stadtaffe“, Sie sind die Hamburger „Stadtratte“. Haben Sie eigentlich viel beim „Lieferservice“ bestellt während der Pandemie?
Lauterbach: Nein, ich habe tatsächlich viel selbst gekocht, es war ja genug Zeit dafür. Aber ich stand oft oben im fünften Stock auf dem Balkon wie so ein Roth-Händle-Opa und sah einen Lieferservice vorbeifahren, auch so ein Großstadt-Ding. Und da kam mir die Idee, daraus eine Lovestory über jemanden zu machen, der sich in eine Lieferservice-Fahrerin verliebt, von denen es ja nicht sehr viele gibt. Dabei ist das schon ein kollektives Erlebnis, die Lieferleute sind für uns überlebenswichtig und gehen von Tür zu Tür und wissen, hinter welcher ein Idiot lebt. Die haben bestimmt einige Geschichten zu erzählen.
König Boris: „Das ist jedenfalls amtlich eskaliert, so richtig mit Lebensmittelschlacht“
Ein zentrales Lied ist „Auf dem Balkon“. Wer hat nicht auch mal zu Hause eine Party geschmissen und Remmidemmi gemacht, bis es völlig eskalierte. Können Sie sich noch an Ihre derbste Hausparty erinnern und wie oft kam die Polizei?
Lauterbach: Zu Hause gab es schon schöne Partys, ganz klassisch mit iPhone-Tennis, wenn jeder mal an die Bluetooth-Boombox wollte. Die Polizei musste aber nicht kommen. Aber ich erinnere ich mich, wie wir mit Fettes Brot eine Show im Jugendzentrum in Schenefeld gespielt haben. Danach waren wir bei einem Freund, der mit seiner Mutter in einem Reihenhaus in Schenefeld gewohnt hat. Die Mutter war nicht da. Das ist jedenfalls amtlich eskaliert, so richtig mit Lebensmittelschlacht und allem Drum und Dran. Der Freund, der da wohnte, fand das nicht schlimm, sondern eher … angemessen. Bernd Begemann war übrigens auch dabei, ich weiß gar nicht, wieso.
Der Titelsong „Disneyland After Dark“ dreht sich um charmante bis groteske Geheimnisse, die hinter Fenstern und Gardinen versteckt sind. „Der Steuerberater gefangen im Online-Casino“. Jetzt wäre der Zeitpunkt zu erzählen, was ein Boris Lauterbach zu verbergen hat.
Lauterbach. Ja. Nee. Aber für mich ist es sowohl komplett abstrakt als auch inspirierend, wenn man zum Beispiel mit der Bahn an all diesen Fenstern vorbeifährt und überlegt, was dahinter gerade abgehen könnte. Das Leben in all seinen Facetten. Ich habe da einfach meiner Fantasie freien Lauf gelassen, ohne jemanden bloßzustellen. Türlich kenne ich auch ein paar Geheimnisse von Leuten, die da mit einfließen.
König Boris: „Beste“ ist auch ein Denkmal für den Club Waagenbau
„Beste“ ist eine schöne Hymne an die Stadt an der Elbe Auen. Aber auch teilweise schon wieder überholt: „Hier gibt es peinliche Promis, hier gibt‘s die „Tagesschau“, und unter der Sternbrücke gibt es durchgeravte Nächte im Waagenbau“. Der Waagenbau und die anderen Sternbrückenclubs sind zumindest an diesem Standort leider Geschichte.
Lauterbach: Das geht schnell, wenn man einen Großstadtsong schreibt. Aber umso schöner ist es, dass der Waagenbau so noch mal verewigt wurde, denn die Erinnerungen an durchgeravte Nächte bleiben ja.
Jedes Denkmal verwittert irgendwann, Erinnerungen verblassen, und was bleibt, ist Taubenkacke.
Lauterbach: Aber deshalb heißt es in dem Song auch: „Das Beste an der Stadt sind du und ich“, das ist ja der Twist an der Geschichte: Es kommt ja nicht auf die Orte an, sondern auf die Menschen, die man dort trifft.
König Boris: „Disneyland After Dark“ Album (Buback) ab 26.4. im Handel; Konzert: Fr 26.4., 21.00, Uebel & Gefährlich (U Feldstraße), Feldstraße 66, Karten zu 33,70 im Vorverkauf; www.koenigboris.shop