Hamburg. Sänger und Band-Sprachrohr Björn Both im Gespräch über die kommende Tour, Seenot und die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus.

Ob an der Strandperle, auf Kreuzfahrt, in Wacken oder im ZDF-Fernsehgarten: Immer, wenn irgendwo eine frische Brise geht, ist die Shanty-Rockschlager-Band Santiano mit ihren fünf (live nur noch vier) wettergegerbten Musikern aus dem Hamburger und Flensburger Raum nicht weit: „Hoch im Norden weht ein rauer Wind“. Sechs Nummer-eins-Alben in Folge haben Björn Both, Pete Sage, Axel Stosberg, Hans-Timm Hinrichsen und Andreas Fahnert seit 2012 aus den Stückpforten geschoben, um Schunkel-Salve auf Schunkel-Salve abzufeuern, zuletzt erschien im Oktober 2023 „Doggerland“.

Den günstigen Wind weiter abzusegeln und das Schiff auf Kurs halten, bleibt die Devise. Ein Jahr nach dem großen Jubiläumskonzert auf dem Großmarkt kommt Santiano im Oktober wieder nach Hamburg in die Barclays Arena. Björn Both, Bassist, Hauptsänger und Flüstertüte der Band, klimpert bereits vor Vorfreude mit den Ohrringen, wie man beim Gespräch über die anstehende „Auf nach Doggerland“-Tour, Seenot und das Fischen in trüben politischen Fahrwassern heraushören kann.

Santiano: Im Januar sprang die Band in die eisige Ostsee

Hamburger Abendblatt: „Auf nach Doggerland“ heißt Ihre im April beginnende Tournee. Dafür müssen Sie und Ihre Fans aber ganz schön tief tauchen, vor 8000 Jahren versank Doggerland in der Nordsee.

Björn Both: Jo, das könnte nass werden.

Sie haben ja schon dafür geprobt und sind im Januar in die 1 Grad kalte Ostsee gesprungen. Ich dachte, die Bandmitglieder sind „zu alt, um jung zu sterben“, wie es auf dem aktuellen Album „Doggerland“ heißt.

Both: Ganz so hart sind wir ja nun nicht. Es war ja rundum abgesichert, dass wir bei dem Stunt nicht draufgehen. Das war bei einem Tag, wo wir als Botschafter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger in Überlebensanzügen in die Ostsee gehüpft sind und wieder herausgefischt wurden. Damit ihr Journalisten schöne Bilder habt.

Trotzdem ist es bei allen Sicherheitsmaßnahmen schon eine mutige Aktion gewesen.

Both: Wir sind ja alle Segler, das sollte man schon können und nicht zu viel Angst davor haben. Diese Überlebensanzüge lassen sehr lange Zeit kein Wasser rein, die Luft da drin hält einen gut an der Oberfläche. In Jeans und Jacke wäre ich natürlich nicht reingesprungen.

Björn Both (Mitte, am Bass) ist das Sprachrohr, die Flüstertüte von Santiano.
Björn Both (Mitte, am Bass) ist das Sprachrohr, die Flüstertüte von Santiano. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Santiano: Sänger und Geiger Pete Sage geriet 2023 in Seenot

Tatsächlich ist ein Besatzungsmitglied von Santiano vor einem Jahr ernsthaft in Seenot geraten: Die Yacht „Jeanneau“ von Geiger Pete Sage und seiner Frau sank beim Törn von Heiligenhafen nach Olpenitz innerhalb von wenigen Minuten vor Schönberg in der Ostsee. Was ist da passiert?

Both: Pete fuhr bei schlechtem Wetter ohne Segel gegen die Welle, und dabei wurde das fehlerhaft eingebaute Bugstrahlruder eingedrückt und sorgte für einen erheblichen Wassereinbruch. Die beiden konnten sich gerade noch ins Beiboot retten und den Untergang filmen. Da sieht man auch, dass Pete wirklich Nerven wie Drahtseile hat: „It’s going down, Honey“.

Noch eisiger als die Ostsee war das Album „Wenn die Kälte kommt“ 2021. Alles sehr düster, dramatisch, unheimlich, traurig. „Doggerland“ hingegen ist wieder klassischer, fröhlicher Santiano-Strandpartyrock.

Both: Wir hatten erst nur den Titel „Doggerland“. Und dann hat es sich entwickelt, dass wir versucht haben, mit unseren Bordmitteln irischen Folk-Punk anzusteuern. Das war ganz erfrischend, ohne an Kommerzialität zu verlieren, das kann man ja mal sagen, warum sollten wir aufgeben, was wir erreicht haben. Trotzdem wollen wir neue Farben präsentieren.

Mehr zum Thema

Das Doug-Kershaw-Cover „Diggy Liggy Lo” gehört seit zehn Jahren zum festen Live-Repertoire von Santiano, hat es aber erst jetzt auf ein Album geschafft. War Ihre Antwort auf „Cotton Eye Joe“ bislang zu beknackt?

Both: Du musst das mal spielen, Digger. Das macht einen Affenspaß, weil es unser Song mit den meisten Freiheit ist, den wir kneten können, wie wir wollen! Bei dieser Cajun-Mucke musst du genau wie beim Irish Folk tief reintauchen, um die Raffinesse zu entdecken. Pete kam mit dem Lied damals um die Ecke, weil wir schnell mehr Material für unsere erste Tour brauchten, seitdem lässt uns das Ding nicht mehr los. Und die Leute drehen immer durch – und fragen seit Jahren, wann der auf Platte erscheint.

Santiano: „Ich bin dankbar, dass Sie Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sagen“

Gitarrist Andreas Fahnert ist jetzt seit zwölf Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bei Konzerten dabei, auf Tour-Plakaten sieht man Santiano entsprechend nur noch zu viert und auf der Bühne noch verstärkt um Dirk Schlag an der Gitarre, Arne Wiegand am Keyboard und Manne Uhlig am Schlagzeug. Aber Andreas Fahnert ist noch Teil der Band?

Both: In der Sat.1-Doku „Santiano – keiner geht verloren“ haben wir das im November zum Thema gemacht, dass er an Parkinson erkrankt ist. Trotzdem ist er vollwertiges Bandmitglied. Nur bei den Tourplakaten fehlt er, damit nicht falsche Erwartungen geweckt werden.

Santiano spricht bei Konzerten seit jeher auch ernste Themen an und steht für Freiheit ohne Grenzen. Geben die Großdemonstrationen gegen Rechtsextremismus da noch mehr Wind auf die Segel?

Both: Ich bin dankbar, dass Sie Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sagen und nicht gegen rechts. Das ist ein feiner, aber sehr wichtiger Unterschied. In einer Gesellschaft und einer politischen Landschaft wie dieser braucht es ganz klar auch eine rechte Partei. Aber man kann konservativ und bewahrend sein oder offen oder versteckt rechtsextremistisch, und das muss man genau unterscheiden. Aber die Lunten in der Gesellschaft sind kurz geworden, und da möchte ich schon meine Sichtweise anbringen, ohne Benzin in das Feuer zu gießen. Da möchte ich Worte finden, die einen. Wir müssen bei allen unterschiedlichen Meinungen von rechts bis links den Zusammenhalt, den Kitt wiederfinden. Und worauf wir uns einigen sollten, ist die Ablehnung von Rechtsextremismus. Bei den Bauernprotesten sehe ich das anders; wenn ich da lese, dass die den Rückhalt der Bevölkerung haben sollen, denke ich: Also meinen haben die nicht. Gerade wenn ich sehe, mit welchen Maßnahmen und Stigmata dagegen die sogenannten Klima-Kleber belegt werden.

Santiano: „Überall Hyänen, denen die Zukunft egal ist“

Der neue Song „Blauer Planet“ ist ja sehr deutlich, und ihr habt bei euren Touren genau erforscht, wie der ökologische Fußabdruck der Konzerte optimiert werden kann. Übrigens wirken 40 bis 90 Euro Kartenpreis für eine aufwendige Santiano-Show im Jahr 2024 im Vergleich mit der Konkurrenz eher unterdurchschnittlich kalkuliert.

Both: Das haben wir, weil wir wissen, wer unsere Fans sind. Natürlich ist die Versuchung groß, in dem Strom der mittlerweile aufgerufenen exorbitanten Preise für Großproduktionen mitzuschwimmen. Wobei mich das eher wütend macht. Wer soll denn kommen, wenn wir 300 Euro für eine Karte aufrufen? Ärzte und Anwälte? Ich war neulich bei Depeche Mode, und da waren viele Menschen, die sich die Tickets sehr hart zusammengespart haben. Depeche Mode ist das zwar absolut wert, aber danach haben die Leute keine 20 Euro mehr, um auch mal ein Konzert im Gruenspan oder Molotow zu sehen. Das trocknet aber den Humus aus, den die Szene braucht. Das ist in allen Branchen so, überall Hyänen, denen die Zukunft egal ist.

Aber Pete braucht ein neues Boot.

Both: Wir sind keine billige Show, das ist klar. Aber Sie verfolgen uns ja schon länger, und wissen, dass wir einige Sprüche wirklich ernst meinen und zugänglich bleiben wollen. Wir sind alle nicht nickelsüchtig und zufrieden mit dem, was wir haben. Und wenn uns das ein paar Mark weniger in die Kassen spült, reicht das immer noch für ein Boot. Das ist doch geil!

Santiano So 13.10., 20.00 Barclays Arena, Sylvesterallee 10, Karten ab 49,50 im Vorverkauf; www.universal-music.de/santiano