Hamburg. Der 21-Jährige spielt in Guy Ritchies neuem Action-Hit. Stadtteilschule am Hafen hat ihn schon als Schüler für Filmsets beurlaubt.

Wenn Mert Dincer durch die Straßen Hamburgs flaniert, hat er zu jeder Ecke eine Anekdote auf Lager. Hier grüßt er den Kioskbesitzer, bei dem er sich als Kind die geliebte gemischte Tüte abholte. Dort drüben, in einem der künstlichen Kanäle in Planten un Blomen, ist ein Kumpel von ihm einmal ins Eis eingebrochen, erzählt er. Und da hinten, drei Ecken weiter, in der Stadtteilschule am Hafen, drückte er bis vor wenigen Jahren die Schulbank.

Das Filmplakat zu „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“ – in Deutschland hat der Film noch keinen Starttermin.
Das Filmplakat zu „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“ – in Deutschland hat der Film noch keinen Starttermin. © IMAGO/Capital Pictures | IMAGO stock

Jedenfalls dann, wenn er nicht gerade am Filmset zugange war. Denn Mert Dincer, gerade 21 Jahre alt geworden, steht seit zehn Jahren als Schauspieler vor der Kamera. Im „Tatort“, in Kinofilmen und Fernsehserien ist schon er aufgetreten – und seit wenigen Tagen auf den US-amerikanischen Leinwänden in der neuen Guy-Ritchie-Actionkomödie „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“ zu sehen. Hamburg im Doppelpack: Neben Dincer spielt nur ein weiterer Deutscher Darsteller in dem Film – Til Schweiger. Eine gemeinsame Szene haben sie leider nicht. Wann der Film in Deutschland seinen Kinostart feiert, steht noch nicht fest.

Hamburger Schauspieler: Guy Ritchie castet ihn erstmals als Deutschen

Ausgerechnet Starregisseur Guy Ritchie („Snatch – Schweine und Diamanten“) war auch der Erste, der Dincer als Deutschen castete, noch dazu für die Rolle eines Gestapo-Manns. Alle Figuren, die der Hamburger zuvor verkörpert hat, waren Ausländer. Das erzählt Dincer nicht, weil es ihn störe, sondern weil es ihm aufgefallen sei. Und weil es stimmt.

Der junge Mann ist Hamburger in zweiter Generation, geboren in Altona, aufgewachsen in Billstedt, groß geworden wieder in Altona, wo er bis heute gemeinsam mit seiner Familie, die türkische Wurzeln hat, wohnt. „Wir haben nicht die typische Gastarbeitergeschichte“, erzählt Dincer dazu. „Mein Opa ist damals zum Studieren nach Deutschland gekommen, und meine Oma ist zum Arbeiten hergekommen. Meine Oma und mein Opa haben sich dann hier, am Hamburger Hafen, kennengelernt.“ Mehr Nordlicht geht wohl kaum.

Mert Dincer steht am liebsten für wahre Geschichten vor der Kamera

Die Schauspielerei, die hat Dincer eher gefunden, als dass er sie gesucht hätte. Dass der 21-Jährige heute sein Geld vor der Kamera verdient, dafür durch Deutschland und um die Welt reisen kann, hat er einem Lehrer aus Billstedt zu verdanken. Denn der erkannte Dincers Potenzial schon in der Grundschule. „Wenn dir in der zweiten Klasse ein Lehrer sagt: ,Hey Mert, du machst das ganz gut‘, dann manifestiert man das. Also bin ich nach Hause gekommen und habe gesagt: ,Mama, ich will Schauspieler werden.‘ Da hat sie natürlich erst mal gelacht.“ In seiner Familie habe es Ingenieure gegeben, BWLer oder Schnitt- und Fertigungsdirektricen, aber „Schauspielerei, so etwas gab es nicht. Das war komplett Neuland“, erzählt Dincer. Unterstützt hat ihn seine Familie seit jeher trotzdem, wo sie nur konnte.

Guy Ritchie ist ein Meister der Filmexplosionen (hier eine Szene aus der Actionkomödie „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“). Auf den 21-jährigen Mert Dincer hat sein erstes Engagement für eine US-Produktion Eindruck gemacht.
Guy Ritchie ist ein Meister der Filmexplosionen (hier eine Szene aus der Actionkomödie „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“). Auf den 21-jährigen Mert Dincer hat sein erstes Engagement für eine US-Produktion Eindruck gemacht. © imago/Landmark Media | IMAGO stock

Seine erste Rolle, 2014 war das, spielte Dincer im Oldenburger „Tatort“. Noch im selben Jahr durfte er auch für den Kieler „Tatort“ vor der Kamera stehen. Es folgten Engagements für „Willkommen bei den Hartmanns“ mit Senta Berger oder „Bella Block: Am Abgrund“ sowie 2019 seine erste Hauptrolle als afghanischer Flüchtlingsjunge Zoro im Kinofilm „Zoros Solo“. Vor den Dreharbeiten hatte sich Dincer immer wieder mit Menschen getroffen, die selbst eine Fluchtgeschichte haben, um den fiktiven Zoro vor der Kamera möglichst authentisch zu mimen.

Politisch aussagekräftige Filme haben für den jungen Hamburger eine besondere Anziehungskraft. „Ich mochte es schon immer, Menschen zu unterhalten, aber auch, ein Sprachrohr zu sein“, sagt er. „Deshalb habe ich auch in so vielen Filmen nach wahren Begebenheiten gespielt, vor allem für Themen, die Aufmerksamkeit verdienen, die im Alltag Gewicht haben müssen.“ So etwa auch die Rolle des Cem in Andreas Dresens Spielfilm „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (2022) oder als Angehöriger des Mordopfers Enver Şimşek in einem Fernsehfilm der ARD-Reihe „Mitten in Deutschland: NSU“.

Urhamburger: Schauspieler Mert Dincer hat zu jeder Ecke der Hansestadt eine Anekdote auf Lager.
Urhamburger: Schauspieler Mert Dincer hat zu jeder Ecke der Hansestadt eine Anekdote auf Lager. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Schauspieler aus Hamburg: „Film war für mich immer wie Urlaub“

Dass die Stadtteilschule am Hafen es ihm stets irgendwie möglich gemacht hat, neben der Schule an seiner Schauspielkarriere zu arbeiten, dafür ist Dincer sehr dankbar. Denn während all dieser Engagements war der Darsteller noch schulpflichtig. Immer wieder verbrachte er seine Ferien vor der Kamera oder musste Unterrichtsstunden nacharbeiten.

Gestört habe ihn die Doppelbelastung dabei nicht im Geringsten: „Film war für mich immer wie Urlaub. Es ist der Zeitpunkt, wo du Gas geben kannst und Energie entladen kannst“, sagt er. Nur den verpassten Klassenreisen mit seinen Kumpels, den trauert er schon etwas nach. Während die anderen im Schullandheim ihre Späße machten und gemeinsame Erinnerungen sammelten, stand Dincer am Set.

Jetzt, da er seinen Abschluss in der Tasche hat, könnte der Hamburger seine ganze Arbeitszeit in die Schauspielerei stecken. Macht er aber nicht. Ein Studium – in seinem Fall International Management – muss schon sein, findet der 21-Jährige. Die Filmbranche ist schließlich hart und zu manchem wenig fair. Heute schon an morgen denken: Auch wenn Dincer sich derzeit über eine gute Auftragslage freut, ist er sich bewusst, dass jede Glückssträhne einmal reißen kann.

Sonntags, das ist ihm wichtig, geht es mit der Familie zum Kuchenessen

Wenn der Schauspieler nicht gerade dreht oder studiert, geht er boxen und ins Fitnesscenter. Oder aber er besucht niedliche Cafés in den kleinen Seitenstraßen Winterhudes. Und sonntags – das ist ihm wichtig – geht es mit Oma, Opa und Mama zum Kuchenessen auf der anderen Elbseite. Das ist ein (fast) unverrückbarer Jour fixe für ihn. „Ich bin ein absoluter Familienmensch“, begründet Dincer, der bei seiner Familie in Altona wohnt und für den der Umzug in eine Junggesellenbude oder WG vorerst gar nicht in die Tüte kommt.

Auch weil sein Zuhause ihm ein großes Stück Heimatkultur bietet: „Türkisches Fernsehen läuft bei uns permanent, auch Nachrichten und türkische Serien am Abend. Aktuell schaue ich auch viel auf Türkisch. Für mich hat das etwas Nostalgisches“, sagt er. Der Schritt in die internationale, allen voran die türkische Filmbranche sei sein nächstes großes Ziel, verrät er.

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Dafür könnte seine Rolle in „The Ministry of Ungentlemanly Warfare“ ein Türöffner sein. Denn die Szenen in dem US-amerikanischen Film, die in Deutschland spielen, hat Guy Ritchie im Sommer 2023 auf einem Messegelände in Antalya und dementsprechend mit einem amerikanisch-türkischen Team drehen lassen. Vermittelt hatte Dincer die Rolle sein türkischer Manager.

Auf den 21-jährigen Dincer hat sein erstes Engagement für eine US-Produktion ganz schön Eindruck gemacht. Zumal er nicht damit gerechnet hatte, welch große Teile der Kulisse der Regisseur tatsächlich in die Luft sprengen lässt, statt die Szenen mittels digitaler Effekte zu erstellen. „Guy Ritchie ist unter anderem für seine Action-Szenen bekannt, für riesige Explosionen. Das war mega, wie das Set aufgebaut ist. Da war man einfach in einer ganz anderen Welt“, schwärmt Mert Dincer. Es wird nicht sein letzter Abstecher nach Planet Hollywood gewesen sein.