Hamburg. Antoine Uitdehaag inszeniert „Der einsame Weg“ von Arthur Schnitzler mit einfachen Mitteln – und landet einen überragenden Erfolg.
Johanna Wegrat (Linda Stockfleth) tanzt. Sie steckt voller Lebenslust, wartet nur auf den Moment, an dem sie endlich loslegen kann. Doch ihre Mutter ist todkrank. Johanna spürt Widerwillen, sich um sie zu kümmern. Als dann ein alter Hausfreund, der Theaterautor Stephan von Sala (Dirk Ossig) vorbeischaut, sind Anziehung und Sehnsucht spürbar. Doch sie führen ins Verhängnis.
„Der einsame Weg“: Jede Sekunde Hochspannung am Ernst Deutsch Theater
Tom Schenk hat die Bühne des Ernst Deutsch Theaters mit ein paar Gartenstühlen und verschiebbaren Leinwänden mit zauberhaften Baumlandschaften versehen. In impressionistischen Farben spiegeln sie sich in Gewässern, die auf das Unbewusste der Figuren verweisen. Auf Verborgenes, Abgründiges und Geheimnisvolles, von dem es in Arthur Schnitzlers 1903 entstandenem Stück „Der einsame Weg“ reichlich gibt. Mehr als diese sparsamen Mittel – dazu noch ein paar sanfte Jazz-Klänge – braucht die Inszenierung von Antoine Uitdehaag nicht, um den Text mit all seinen zeitlos wohlgeformten Sätzen ins rechte Licht zu rücken – und einen Abend herausragenden Schauspiels zu kreieren, der so dicht und fein gewebt ist, so voller kluger Zwischentöne, dass er in jeder Sekunde Hochspannung erzeugt.
Dabei ist „Der einsame Weg“ kein Gassenhauer wie der „Reigen“. In den ersten Szenen wird das umfangreiche Personal beim Kunst-Professor Wegrat, zugewandt gegeben von Stephan Benson, eingeführt. Kaum angekommen, sind die Figuren meist schon wieder im Aufbruch. Wegrats kranke Frau Gabriele (Ulrike Knospe) findet in Doktor Franz Reumann (Oliver Warsitz) einen Vertrauten, mit dem sie letzte Geheimnisse teilt – um sie auf dem Totenbett der Familie subtil zu offenbaren. Ihr neben Johanna zweites erwachsenes Kind, der Jungoffizier Felix (Lennart Hillmann), kommt vom Militär zu Besuch. Und alle sprechen sie über einen abwesenden Familienfreund: den Maler und Freigeist Julian Fichtner.
Schnitzler erzählt viel über die Folgen von Bindungsangst, Mutlosigkeit und Egozentrik
Im zweiten Akt drehen sich die Rückseiten der Bilder zu Wänden mit Türen voller Patina. Das Atelier Fichtners. Christian Nickel gibt den inzwischen erfolglosen Künstler als etwas verwohnten Alt-68er in Turnschuhen (Kostüme: Erika Landertinger). Felix Wegrat schaut vorbei. Eine Mappe enthält das Bild, das Fichtner von der inzwischen verstorbenen Mutter gemalt hat, wobei Felix ahnt, dass der Künstler eigentlich sein Vater ist und der Mal-Akt in eine Liebesnacht mündete, der er seine Existenz verdankt. So verstört der junge Mann zunächst reagiert, so aufgeräumt wird er sich im weiteren Verlauf verhalten, sich enger an den Lebensvater binden – und vom Erzeuger abwenden. Es ist großartig, wie akkurat Lennart Hillmann diese Zerrissenheit und bald große Klarheit spielt.
Felix und Johanna, bei Linda Stockfleth ein wenig zu unwirsch, verkörpern die Jugend, der die Welt offensteht. Anders sieht es bei der Vätergeneration aus. Was ist aus ihren Träumen von Freiheit und Selbstverwirklichung geworden? Schnitzler erzählt viel über die Folgen von Bindungsangst, Mutlosigkeit und Egozentrik – auch über Generationenkonflikte. „Das Leben gehörte mir – aber nur dieses eine. Und um es ganz zu nehmen und ganz zu genießen, um es so zu leben, wie es mir bestimmt war, braucht‘ ich völlige Sorglosigkeit und Freiheit wie bisher“, wird Fichtner über seine Jugend sagen.
Dirk Ossig brilliert als desillusionierten Zyniker mit grantigem Humor
Damals scheute er die Verantwortung, wollte ins Weite, ins Unbegrenzte, zu den Hügeln seiner Zukunft „schimmernd von Glanz und Abenteuer.“ Nun aber droht ihm die Einsamkeit des Alters. Sein – todkranker – verwitweter Freund Stephan von Sala verdrängt die eigene Tragödie in abenteuerlichen archäologischen Expeditionen, in der Beschäftigung mit toter Vergangenheit. Dirk Ossig gibt ihn sensationell scharf als desillusionierten Zyniker, aus dessen grantigem Humor noch einiger Charme blitzt.
Auch Fichtners alte Flamme, die jugendlich-lebendige Schauspielerin Irene Herms, schaut vorbei. Selbst kinderlos geblieben, muss sie erfahren, dass er das Wissen um seine Vaterschaft insgeheim genießt. Wie die wundervolle Katharina Abt diesem Schmerz überzeugend Ausdruck gibt, ohne sentimental zu werden, ist große Kunst. Die Lebensbilanz vor allem der Männer sieht bescheiden aus: seelisch vereinsamt und künstlerisch gescheitert, projizieren sie ihre letzte Hoffnung auf ein wenig Gefühl, auf die Vertreter der jungen Generation, Felix und Johanna.
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Dem Ensemble und der präzisen Regie Antoine Uitdehaags gelingt das Kunststück, das der dem Text immanente pessimistische Ton niemals nervtötend klingt. Dass man diesen Figuren auf ihren Irrwegen mit Gewinn folgt und in ihnen das zeitlos Gültige erkennt. Schnitzler erspart seinen Figuren nichts. Lebenslügen, ungelebte Sehnsüchte und irgendwann eine Erkenntnis, die Dirk Ossigs Stephan von Sala aussprechen wird: „Den Weg hinab gehen wir alle allein“. Sehenswert.
„Der einsame Weg“ weitere Vorstellungen bis 31.5., Ernst Deutsch Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1, Karten unter T. 22 70 14 20; www.ernst-deutsch-theater.de
Alle Abonnentinnen und Abonnenten des Hamburger Abendblatts erhalten beim Kauf einer Karte für die Vorstellung „Der einsame Weg“ vom 26. April bis 5. Mai eine zweite Karte gratis dazu.