Hamburg. „Hamburg, ich kann nicht glauben, wie viele ihr seid“: Berlinerin liefert in der ausverkauften Großen Freiheit 36 ein Wechselbad der Gefühle.

Bunter Bühnennebel. Technoides Flirren. Und dann diese Stimme: klar und durchdringend. Mit „Schattig“ startet die Berliner Popkünstlerin Mine ihr Konzert in der ausverkauften Großen Freiheit. Ein Song über den inneren Rückzug. Doch Hamburg, das ist Tour-Auftakt. Also zunächst einmal ran an die Bühnenrampe und raus mit den großen Gefühlen: „Hamburg, ich kann nicht glauben, wie viele ihr seid“, ruft die Musikerin.

Mine in der Großen Freiheit: „Hamburg, ich kann nicht glauben, wie viele ihr seid“

Mit ihren klugen, vor Ideen strotzenden Popsongs erreicht Mine die hippen Youngster in Jogging-Klamotte und Trend-Vokuhila ebenso wie das Allwetterklamottenpärchen, das hinten neben dem Tresen versonnen mitsingt.

Zum Disco-Funk von „Elefant“ bewegt sich Mine in kantiger Geschmeidigkeit. Die stockende Kommunikation in einer Beziehung, die sie da besingt, löst sich in diesem Moment im Tanz auf. Das ist der Zauber des Pop, wie Mine ihn macht: Das Unbehagen verwandelt sich. Und trotz der musikalischen Überhöhung ist die Künstlerin äußerst nahbar, zudem eine amüsante Entertainerin und physisch knallpräsent in einer Art luftigem Oversize-Blaumann sowie markanter Panoramabrille. „Fesch“, steht auf den Socken, die sie am Merchandise-Stand verkauft. Stimmt. Alles ist Augenzwinkern und Aufrichtigkeit gleichermaßen.

Sehr bewegend: Den Song „Staub“ widmet Mine ihrer gestorbenen Mutter

Von Rave bis Chanson reicht die Bandbreite der studierten Jazzsängerin, Produzentin und Komponistin. Ihre Themen sind Wechselbad der Gefühle und Spiegel der Gesellschaft. In „Unfall“ reflektiert sie darüber, ob Menschen mit Privilegien oder in Armut geboren wurden. „Staub“ widmet sie, solo am Piano und sehr bewegend, ihrer gestorbenen Mutter. Und das wummernde „Danke gut“ intoniert sie aufgrund von Mikrofon-Problemen direkt zweimal. Im Duett mit Nicola Rost von der Formation Laing, die das Vorprogramm bestritten hat, wird diese Nummer um eine Beinahe-Trennung zugleich zur freundschaftlichen Hymne.

Ein Highlight des abwechslungsreichen Abends ist „Einfach so“ mitsamt Freejazz-Ausflug und kongenialem Rap von Bassistin Vroni Frisch. Wie überhaupt die fünfköpfige Band sehr fein detailliert und mit Wumms aufspielt – inklusive einem Schlagzeuger und einem Percussionisten, die Sound und Rhythmik vielschichtig aufladen.

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Zum Finale erklingt unter anderem „Baum“, Mines musikalische Selbstvergewisserung und Titelsong ihres aktuellen Albums. Auch das Bühnendesign zeigt zahlreiche Verästelungen. Ein passendes Bild für die stilistischen Zweige, die Mine austreibt. Verwurzelt in ihrer Person, in ihrer Kunst. Interessant und eingängig. Nach der letzten Zugabe „Audiot“ plus anarchischer Theremin-Einlage jubelt der Saal. Und die Musikerin ist sehr gerührt. Schön.