Hamburg. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, das Kunstspiel zum Mitmachen im Abendblatt. Diese Woche: „Marching Man“ von Bruce Nauman.
Wer das unterste Geschoss der Galerie der Gegenwart betritt, wird sogleich von diesem knapp zwei Meter großen, bunt blinkenden Kunstwerk empfangen: Vor einem schwarzen Hintergrund ist ein männlicher Körper aus verschiedenfarbigen Neonröhren zusammengesetzt. Jeweils ein Arm- und Beinpaar leuchten grün und orange; Arme und Beine beschreiben einen mechanisierten Bewegungsablauf wie beim Marschieren (daher heißt das Werk auch „Marching Man“). Der Oberkörper leuchtet rosa, das stehende Bein sowie das Gehirn sind blau. Und auch der Penis leuchtet blau – und rot, wenn er erigiert ist. Analog dazu sind Zunge und Mund des Mannes ebenfalls rot.
Der US-amerikanische Konzeptkünstler Bruce Nauman schuf den „Marschierenden“ 1985 und verwendete dafür neben den Leuchtstoffröhren Glas, Draht, Trafo, Kabel, Lack und einen Aluminiumpaneelkasten. Nauman wurde 1941 in Fort Wayne, Indiana, geboren. Nach einem angefangenen Mathematik-Studium wechselte er auf die University of California, um dort Kunst zu studieren; 1966 schloss er dort mit dem Master of Fine Arts ab. Heute lebt der Künstler in Galisteo, New Mexico.
Museum Hamburg: Der „Marching Man“ zeigt sich in ganzer Neon-Pracht
Nauman begann seine Karriere zwar als Maler, arbeitete aber ziemlich bald schon zwischen den Gattungen Skulptur, Film, Video, Fotografie, Rauminstallation, Neonarbeit und Performance. Kennzeichnend für sein Œuvre ist die fortwährende Fokussierung auf den menschlichen Körper, dessen Sprache und Verhalten im Raum. In den 1970er-Jahren experimentierte Nauman in den sogenannten Tunnel-Arbeiten mit den Möglichkeiten des Versteckens und Eingeschlossenseins.
Prägend sollten für ihn die 1980er-Jahre sein, das Jahrzehnt der Werbung, der Popkultur und der Videokunst. Schon in seinen visuellen Arbeiten beschäftigte er sich mit Bewegungsabläufen, mit Mimik und Gestik. Nauman stellte den Menschen in seinen sprachlichen, akustischen und skulpturalen Aspekten in unterschiedlichen Raumsituationen dar, etwa mit direkt auf die Wand projizierten Aufnahmen und Monitoren. Mit den Neon-Arbeiten, die ebenfalls in den 80er-Jahren entstanden, kommentierte der Künstler das Verhältnis von Sex und Macht in der amerikanischen Gesellschaft. Dazu gehört auch „Marching Man“.
Museum Hamburg: Der Mensch ist viel mehr als die Summe seiner Teile
Seit 1993 befindet sich das Werk in der Sammlung der Galerie der Gegenwart. Dessen Leiterin Brigitte Kölle schreibt darüber in der Sammlung Online: „Sex, Gewalt, Macht und Angst – das waren Mitte der 1980er-Jahre die großen Themen von Bruce Nauman. Inspiriert von den flackernden Neonreklamen seiner Zeit arbeitete er seit 1966 mit den bunten Leuchtröhren. In ‚Marching Man‘ zerlegt er die Bewegung des Menschen in einzelne Sequenzen, die Arme, Beine und der Penis der Figur leuchten im schnellen Rhythmus abwechselnd auf. So ergibt sich der Eindruck eines vorwärtsschreitenden Sex-Automaten.“
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Kölle ist der Ansicht, dass Nauman mit dem leuchtenden Gehirn darauf verweisen will, dass – bei allem Potenzgebaren – dieser Mann ein denkendes Wesen ist, „zu Reflexion und Gefühlen fähig. In seiner Nacktheit und Zurschaustellung ist er somit auch verletzlich. Nauman konfrontiert den Betrachter hier mit gesellschaftlichen Erwartungen an das männliche Geschlecht und führt gleichzeitig vor Augen, wie viel mehr den Menschen ausmacht als die Summe seiner Teile“.