Hamburg. In dieser Woche steigt Julia-Niharika Sen als feste Moderatorin bei den „Tagesthemen“ ein. Hier spricht sie über ihren Werdegang.
Sie spricht die „Tagesschau“, moderiert das „Hamburg-Journal“, jetzt die „Tagesthemen“ und demnächst auch einmalig die „NDR Talk Show“ an der Seite von Bettina Tietjen: Julia-Niharika Sen (56) hat eine besondere Karriere im deutschen Fernsehen gemacht und ist im Moment so erfolgreich wie noch nie. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht sie über Kinder, die sie sehr früh bekommen hat, über ihren indischen Vater und einen blauen Pass – und warum sie so gern und so viel arbeitet. Das komplette Gespräch ist unter www.abendblatt.de/entscheider zu hören.
Das sagt Julia-Niharika Sen über …
… die Aufregung vor einer „Tagesschau“ zur Hauptsendezeit: „Ich bin vor einer ‚Tagesschau‘ um 20 Uhr wesentlich aufgeregter als vor jeder Sendung, die ich moderiere. Zum einen, weil in der Spitze bis zu 13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer live dabei sind, aber auch, weil ich Texte verlese, die ich nicht selbst geschrieben habe und die laufend aktualisiert werden.“
... die Prominenz, die das Fernsehen mit sich bringt: „Seit ich bei der „tagesschau“ bin, werde ich zwar schon häufiger erkannt, aber ich finde, die Hamburgerinnen und Hamburger sind sehr angenehm und zurückhaltend. Da kommt mal so ein nettes „Moin, wir sehen uns heute Abend“. Das ist überhaupt nicht störend. Und viele jüngere Leute sind in Zeiten digitaler Angebote gar nicht mehr so fixiert auf die Gesichter, die die „tagesschau“ präsentieren. Im Fokus stehen die Nachrichten selbst. Und so soll es ja auch sein.“
… die Gesichter der „Tagesschau“, die alle Selbstständige sind: „Wir Sprecherinnen und Sprecher sind freie Mitarbeiter, wir werden pro Sendung gebucht, und wir werden auch pro Sendung bezahlt. Für die 20-Uhr-‚Tagesschau‘ gibt es zum Beispiel 285 Euro. Dazu kommen über den Tag verteilt aber viele weitere Ausgaben der ‚Tagesschau“, es gibt unterschiedliche Schichten, in denen man zum Einsatz kommt. Ich war noch nie irgendwo fest angestellt, und das ist eine bewusste Entscheidung. Ich wollte immer das Gefühl haben, frei zu sein und selbst entscheiden zu können, was ich mache. Und ja, es hat Anfragen von privaten Sendern gegeben, aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Denn mir ist die journalistische Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtig.“
… ihre neue Aufgabe als „Tagesthemen“-Moderatorin: „Ich bin schon viermal als Moderatorin der ‚Tagesthemen‘ eingesprungen, weil kurzfristig Ingo Zamperoni oder Caren Miosga ausgefallen waren und auch die Vertretung verhindert war. Weil das ganz gut funktioniert hat, bin ich jetzt angesprochen worden, ob ich in der Babypause von Aline Abboud abwechselnd mit Helge Fuhst, dem Zweiten Chefredakteur, die ‚Tagesthemen‘ moderieren kann. Ich freue mich sehr darauf! Die Interviews mit Politikerinnen und Politikern sind sicher das Herausforderndste an dieser Aufgabe.“
… eine Dokumentation über Indien, der Heimat ihres Vaters: „Ich hatte für Anfang dieses Jahres eigentlich geplant, eine Dokumentation über Indien zu machen. Seit Indien China als bevölkerungsreichster Staat der Erde abgelöst hat, ist das Interesse am Land deutlich gestiegen, und ich hätte große Lust gehabt, dort vor den anstehenden Wahlen zu drehen. Das klappt jetzt im Moment nicht, weil ich so viele andere Aufgaben habe. Aber ich werde das sicher nachholen, weil es interessant zu sehen ist, wie selbstbewusst und stark Indien heute auftritt. Die Zeit, dass man sich vor den großen und mächtigen Europäern verneigt hat, ist endgültig vorbei.“
… ihren kleinen, blauen Pass: „Ich habe ein sogenanntes OCI, das heißt, ich bin ein Overseas Citizen of India. Ich habe einen kleinen, blauen Pass, der so etwas wie ein lebenslanges Visum ist und den man bekommt, wenn man indische Vorfahren hat oder mit einem Inder verheiratet ist. Der Pass erlaubt mir, nach Indien zu reisen, ich könnte dort auch ein Bankkonto eröffnen und ein Haus oder eine Wohnung kaufen. Das habe ich noch nicht getan, könnte mir das irgendwann aber gut vorstellen.“
… ihren Vater, der aus Westbengalen stammt und früher für die Sietas-Werft gearbeitet hat:
„Mein Vater stammt aus Kalkutta und ist Mitte der 1960er-Jahre nach Hamburg gekommen, wo er eigentlich studieren wollte. Doch er hatte nur ein Visum, das ihm erlaubte, bei der Sietas-Werft zu arbeiten, obwohl er nicht sonderlich handwerklich begabt war. Zum Glück konnte er so gut singen, dass er über seine Auftritte Menschen kennengelernt hat, die ihm über Umwege dabei geholfen haben, am Ende eine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann zu machen. Er hat dann 30 Jahre bei Hapag-Lloyd gearbeitet.“
… ihre erste Reise nach Indien: „Als Kind wäre ich so gern mit meinem Vater nach Indien gereist, aber wir konnten uns das leider nicht leisten. Ich war 20 Jahre alt, als ich zum ersten Mal die Heimat meines Papas und die gefühlt hundert Verwandte besuchen konnte, die wir dort haben. Damals hatte ich übrigens meine kleine Tochter, die gerade erst acht Monate alt war, im Gepäck, das war ein extrem aufregender Trip. Es hat dann noch mal zehn oder zwölf Jahre gedauert, bis ich wieder hingefahren bin. Aber seitdem habe ich eine tiefe Indien-Sehnsucht und das Gefühl in mir, dass ich dort länger leben möchte. Meiner Großmutter mussten wir früher übrigens immer Nivea-Dosen aus Deutschland mitbringen, das war das Größte für sie. Sie hat die am Ende sogar unter die Beine ihres Bettes gesteckt, als Schutz vor Insekten. Heute habe ich vor allem Kontakt zu meinen Cousinen.“
Entscheider treffen Haider
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... die Freude an der Arbeit: „Ich habe immer Lust, etwas Neues zu machen. Ich arbeite viel, aber ich habe auch das Gefühl, dass ich etwas aufzuholen habe. Ich bin sehr früh Mutter geworden, habe meine Kinder mit Anfang 20 bekommen und damals überhaupt keine Zeit gehabt, mich richtig auf die Arbeit zu konzentrieren. Inzwischen sind die Kinder Mitte 30, längst aus dem Haus, und ich habe die Gelegenheit, das, was mir beruflich Spaß macht, in aller Ruhe zu tun. Und ja: Ich arbeite wahnsinnig gern.“
… ihren Auszug mit 16 Jahren: „Ich war sehr früh selbstständig, bin mit 16 Jahren von zu Hause ausgezogen – zu meinem Freund, der ein kleines eigenes Haus auf dem Grundstück seiner Eltern hatte. Ich war damals ein totaler Freigeist und wollte immer mein eigenes Geld verdienen. Ich habe neben der Schule gekellnert oder auch mal in einer Baumschule gearbeitet.“