Hamburg. Diesen Abend sollte man regelmäßig verschrieben bekommen: Julian Greis begeistert mit Lieder-Solo unter dem Dach des Thalia Theaters.

Man muss das kleine Glück erkennen, wenn es einem begegnet. Der Schokoriegelrest in der Sofaritze: bisschen durchgesessen vermutlich, etwas klebrig vielleicht. Aber, hey: Schokolade! Und mit kindlichem Strahlen wird die unverhoffte Schleckerei verdrückt. Es sind Momente wie diese, für die man Ole umstandslos ins Herz schließen muss, diesen „genau richtig dicken Mann in seinen besten Jahren“, wie Thalia-Schauspieler Julian Greis seine Figur umschreibt. Womit zwei Kernelemente seines durch und durch selbst gestrickten Soloabends eigentlich schon umrissen sind: ein Mann, ein Sofa.

Denn: „Alles Unglück in der Welt kommt daher, dass man nicht versteht, ruhig in einem Zimmer zu sein“, wusste einst schon der französische Philosoph Blaise Pascal – und Julian Greis fügt diese Erkenntnis unter dem Dach des Thalia Theaters nun zu einem fulminant verschrobenen Liederabend in der Theaterbar Nachtasyl: „Ole allein zu Haus“.

Theater Hamburg: „Ole allein zu Haus“: ein herzerwärmend skurriler Abend im Nachtasyl

Ole ist ein Couchpotato, ein Sozialphobiker, der die Tür mit Absperrklebeband verrammelt. „Meine Stärken sind die Schwächen“, singt Julian Greis unbekümmert. Davon besitzt er reichlich, und er hat sie – mit einem Text von Danger Dan – durchaus konkret im Blick: „Irgendwo in dieser großen Stadt/ Gibt‘s ein‘n imposanten Mann/So ein Gewinnertyp, der alles hat/Alles kriegt, alles weiß und alles kann (...) Aber meine Freundin wollte trotzdem lieber mich…“ Zumindest hat die „Freundin“ der Beziehung nicht widersprochen: Der Eigenbrötler Ole pflegt eine Romanze zu seiner Zimmerpflanze.

Stubenhockerei galore: Julian Greis begeistert im Solo „Ole allein zu Haus“ unter dem Dach des Thalia Theaters.
Stubenhockerei galore: Julian Greis begeistert im Solo „Ole allein zu Haus“ unter dem Dach des Thalia Theaters. © Salya Fink | Salya Fink

Im Grunde ist „Ole allein zu Haus“ das Stück zur Tapete im Nachtasyl (das als Ort ja ohnehin ein kleines Juwel ist). Stubenhockerei galore. Eine umwerfende Liebeserklärung an all die Nerds und Loser und Abgehängten, originell verpackt in eine Songauswahl, die Franz Wittenbrink kaum besser hingekriegt hätte. Draußen lauert das Ende der bösen Welt, drinnen summt Ole in einem Pulli, der jeden Bad-Taste-Wettbewerb gewinnen würde, Miley Cyrus‘ Selbstermächtigungshymne „Flowers“: „I can love me better…“ Manchmal scheint Julian Greis‘ Stimme, hier liebevoll am Klavier begleitet von Arne Bischoff, fast ein bisschen zu kraftvoll für den kleinen Raum und die trostlose Figur. Aber genau das wäre natürlich ein Fehler: zu glauben, dass dieser Ole bedauernswert wäre. Neurotisch ist er, keine Frage. Aber unglücklich? Nur manchmal.

Theater Hamburg: Mit wilder Entschlossenheit pflegt Julian Greis seine Schrullen

Und was ist schon „normal“? Ole sperrt nicht sich ein, sondern den Rest aus. Feiner Unterschied. Über das Radio, ein altmodisches Trumm mit Eigenleben, knarzt Angela Merkels Corona-Ermutigung an die Daheimgebliebenen, was das Stück zeitlich zumindest kurz verortet: „Uns allen fehlen die Begegnungen“, sagt sie da. Leichtes Kopfneigen bei Ole. Och. Ihm fehlt da eigentlich gar nichts.

Mit wilder Entschlossenheit pflegt er seine Schrullen, weiß die Wirkung von Cola zu schätzen, outet sich mit einem Song von Olli Schulz als schnarchiger Superheld „Bett-Mensch“ und kennt beim Zappen die beste „Post-Kevin-Costner-Position“. Mal ist das anrührend (mit Christina Aguileras „Beautiful“), mal entlarvend (mit Deichkinds „Bück dich hoch“), mal brüllend komisch (in der absurden Schweden-Eloge der Ärzte). Und selbst Loriots Staubsaugervertreter übertrifft Ole an dieser Stelle mit einer furiosen, aggressiven Hausputz-Orgie von Ingrid Lausund mühelos. „Friss Dreck!“

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„Ole allein zu Haus“ ist pure Außenseiter-Poesie. Julian Greis macht aus seinem Ole einen entfernten Verwandten des Norwegers „Elling“, mit feinem Spott und exzentrischer Verschmitztheit und einem kräftigen Schuss Borderline, ohne die Figur zu verraten. Am Premierenabend gibt es dafür Jubel und Standing Ovations. Zweimal steht das funkelnde Ein-Mann-Musical bislang noch im Spielplan, dabei bleibt es hoffentlich nicht. Dieser Abend ist so lustig und herzerwärmend, den sollte man eigentlich mindestens einmal im Monat verschrieben bekommen.

„Ole allein zu Haus“, Thalia-Nachtasyl, wieder am 21.4., 19 Uhr, und 8.5., 20 Uhr, Tickets unter T. 32814444 und www.thalia-theater.de